Editorial

Knochenjob für Darmbakterien

Larissa Tetsch


ERLANGEN: Darmbakterien produzieren aus Ballaststoffen kurzkettige Fettsäuren, die neben unserem Immunsystem auch den Knochenstoffwechsel positiv beeinflussen. Dies könnte neue Ansätze für die Behandlung chronisch-entzündlicher Knochenerkrankungen liefern.

jc_18_03_01a
Knochenschutz via ballaststoffreicher Kost? Unsere Darmbakterien machen‘s offenbar möglich. Foto: Deutsche Gesellschaft für Ernährung

Keine Frage – morgendliches Vollkorn-Müsli ist gesund, solange es nicht zu viel Zucker enthält. Die Ballaststoffe im Getreide regen die Verdauung an und schützen vor Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und hohem Cholesterin. Das Kalzium in der Milch ist wichtig für den Knochenaufbau.

Weniger bekannt ist dagegen, dass die Ballaststoffe indirekt auch einen positiven Einfluss auf den Knochenstoffwechsel ausüben. „Die Verbindung zwischen Ballaststoffen und Knochenstoffwechsel sind die Darmbakterien und die von ihnen produzierten kurzkettigen Fettsäuren“, erklärt Mario Zaiss, Gruppenleiter am Fachbereich Rheumatologie und Immuno­logie des Universitätsklinikums Erlangen.

Bestimmte Darmbakterien verstoffwechseln für den Menschen unverdauliche Ballaststoffe und produzieren daraus kurzkettige Fettsäuren wie die C3- und C4-Körper Propio­nat und Butyrat. Diese Fettsäuren sind auch dafür bekannt, dass sie das Immunsystem positiv beeinflussen. „Zu den Fettsäuren bin ich über meine Arbeit mit Darmparasiten gekommen“, fährt Zaiss fort, der früher mit Fadenwürmern gearbeitet hat. „Wir konnten zeigen, dass Darmparasiten die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändern – und somit auch die ausgeschiedenen Fettsäuren. Dieser Aspekt hilft den Parasiten, das Immunsystem ihres Wirts zu beeinflussen. Die immunologischen Mechanismen, welche durch kurzkettige Fettsäuren induziert werden, schienen uns förderlich für Anwendungen bei chronisch entzündlichen Gelenkerkrankungen.“

Zu diesen zählen Krankheiten aus dem rheumatischen Formenkreis wie rheumatoide Arthritis und Spondylitis ankylosans, besser bekannt als Morbus Bechterew. Im Gegensatz zu langkettigen Fettsäuren haben kurzkettige Fettsäuren einen positiven Einfluss auf arthritische Erkrankungen. „Langkettige Fettsäuren stimulieren die Bildung von TH17-Helferzellen, die an der Entstehung chronischer Entzündungen beteiligt sind – während kurzkettige Fettsäuren die Differenzierung von regulatorischen T-Zellen begünstigen, was Entzündungen entgegenwirkt“, fasst der Immunologe zusammen.

Ebenso gab es bereits Hinweise, dass bestimmte Darmbakterien mit der Entstehung von chronisch-entzündlichen Gelenkerkrankungen in Verbindung stehen und dass eine vegetarische sowie damit ballaststoffreiche Ernährung die Symptome einer rheumatoiden Arthritis verbessern kann. Es schien also attraktiv, die Knochendichte über eine Manipulation des Darmmikrobioms zu beeinflussen, wie es über Prä- und Probiotika relativ einfach möglich ist.

Probiotika gegen Arthritis?

Experimente mit Mäusen hatten jedoch bis dahin widersprüchliche Ergebnisse geliefert: Das Darmmikrobiom scheint zwar insgesamt die Entstehung von Arthritis zu verhindern, doch einzelne Bakterienstämme können diese sehr wohl fördern. So spielt im Anfangsstadium einer rheumatoiden Arthritis vermutlich eine vermehrte Darmbesiedlung mit dem Bakterium Prevotella copri eine Rolle. „Insgesamt scheint es aber unwahrscheinlich, dass eine einzelne Bakterienart für die Entstehung von Arthritis verantwortlich ist“, schließt Zaiss aus den unterschiedlichen Forschungsergebnissen.

Mit seinem Team wählte er deshalb einen anderen Ansatz (Nat. Comm. 9: 55): Die Forscher gaben den Versuchstieren kurzkettige Fettsäuren direkt ins Trinkwasser und konnten daraufhin im Blutserum der Mäuse eine erhöhte Fettsäure-Konzentration nachweisen. Außerdem war im Blut ein molekularer Marker für den Knochenabbau reduziert. Und auch knochenabbauende Osteoklasten waren weniger vorhanden als bei den Kontrollmäusen, während Marker für den Knochenaufbau erhöht waren. Eine Computertomographie bestätigte die Zunahme der Knochenmasse.

Interessanterweise nahm bei den Mäusen, die kurzkettige Fettsäuren erhalten hatten, auch die Anzahl an regulatorischen T-Zellen zu, die Immunreaktionen regulieren und Entzündungen unterdrücken. „Wir haben in mehreren Arbeiten zeigen können, dass regulatorische T-Zellen die Differenzierung von Osteoklasten unterdrücken können und dass Mäuse mit genetisch erhöhter Anzahl an regulatorischen T-Zellen eine höhere Knochendichte aufweisen“, erläutert Zaiss.

Eine ballaststoffreiche Ernährung mit dreißig Prozent Hafer über acht Wochen erhöhte ebenfalls die Konzentration von kurzkettigen Fettsäuren im Blut­serum und zeigte die gleichen Effekte wie die direkte Gabe der Fettsäuren. Das Gewicht der Versuchstiere änderte sich durch die ballaststoffreiche Ernährungsweise dagegen nicht.

jc_18_03_01b
Hat kurzkettige Fettsäuren im Verdacht: Mario Zaiss Foto: Univ. Erlangen
Fettsäuren machen Mäuse fit

Ein positiver Einfluss der Fettsäuren auf den Knochenstoffwechsel gesunder Mäuse war damit bewiesen. Aber wie sah es bei kranken Mäusen aus? Um dies zu untersuchen, nutzten die Forscher zwei Mausmodelle für rheumatoide Arthritis, denen sie wieder Fettsäuren mit dem Trinkwasser verabreichten. Auch hier verringerte sich die Entzündung in den betroffenen Pfoten der Tiere – und die Osteoklastenzahl und Osteoklasten-spezifische Genexpression sanken, während die Knochenmasse zunahm. Ähnlich wirkte eine ballaststoffreiche Ernährung.

Eine weitere Erkrankung des Knochenstoffwechsels ist die Osteoporose, eine Form des Knochenschwunds, der durch einen Mangel an Östrogen ausgelöst wird und bei Frauen häufig nach den Wechseljahren auftritt. Diesen Zustand riefen die Forscher bei den Versuchs­tieren durch eine Entfernung der Eierstöcke hervor, da diese das meiste Östrogen bilden. Infolge des Hormonmangels kam es bei den Versuchstieren zu einer verstärkten Osteoklastenbildung, die sich jedoch durch die Gabe von kurzkettigen Fettsäuren verhindern ließ. Eine ballaststoffreiche Ernährung zeigte keinen Effekt. „Woran das liegt, können wir derzeit noch nicht beantworten“, gibt Zaiss zu. „Möglicherweise spielt die im Körper und in den Knochen erreichte Konzentration der kurzkettigen Fettsäuren eine Rolle.“

Gehemmte Osteoklasten

Übertrugen die Forscher ihren Versuchstieren Bakterien der Gattung Prevotella, stieg wie erwartet die Anzahl der Osteoklasten, während die Menge an kurzkettigen Fettsäuren im Blut und die Knochendichte abnahmen. „Für dieses Experiment verwendeten wir Mäuse mit einer normalen Darmflora, bei denen wir im Prinzip simulierten, was passieren würde, wenn wir mit probiotischen Nahrungsmitteln unser Mikrobiom verändern würden“, so der Forscher. Bei den Bakterien handelte es sich um einen zahlenmäßig erhöhten Stamm aus Patienten, die im Begriff waren, eine Arthritis zu entwickeln.

Wie genau wirken die kurzkettigen Fettsäuren? Die Erlanger konnten zeigen, dass diese in den Stoffwechsel der Osteoklasten-Vorläuferzellen eingreifen und deren Differenzierung verhindern. „Im Reagenzglas geschah das schon bei niedrigeren Fettsäure-Konzentratio­nen als im Knochenmark der Mäuse“, betont Zaiss. Insbesondere stimulieren die Fettsäuren die Glykolyse in den Vorläuferzellen, in denen normalerweise hauptsächlich eine oxidative Phosphorylierung abläuft. Die verstärkte Glykolyse in den ersten 24 bis 48 Stunden der Differenzierung löste einen Zellstress in den Vorläuferzellen aus und verhinderte die korrekte Differenzierung. „Durch eine Hemmung der Glykolyse in diesem Zeitraum konnten wir die Differenzierung zu reifen Osteoklasten wiederherstellen“, hebt Zaiss die Bedeutung dieses Ergebnisses hervor.

Mediterrane Küche im Vorteil

Der Effekt auf die Osteoklasten war dabei unabhängig von den beiden Oberflächenrezeptoren für freie Fettsäuren (GPR41 und GPR43). Stattdessen unterdrückten die kurzkettigen Fettsäuren die zwei Komponenten TRAF6 und NFATc1 eines Signalwegs, der für die Differenzierung der Osteoklasten nötig ist. Dabei bindet der Ligand RANKL (Receptor Activator of NF-κB Ligand) an den Transmembran­rezeptor RANK, der sich auf der Oberfläche von nicht vollständig entwickelten oder ausgereiften Osteoklasten befindet. Dadurch werden Differenzierung und Aktivität der Osteoklasten erhöht und der Knochenabbau verstärkt. So wird auch der Verlust der Knochensubstanz im Rahmen der rheumatoiden Arthritis auf ein erhöhtes Level von RANKL zurückgeführt, denn der Ligand wird von aktivierten T-Zellen exprimiert – also bei Entzündungsprozessen.

Am Ende sind es also nicht die Darm­mikroben selbst, die den Knochen stärken, sondern die von ihnen ausgeschiedenen Produkte. Dies könnte auch erklären, warum die mediterrane Küche vor chronisch-entzündlichen Gelenkerkrankungen schützt, denn sie ist sehr ballaststoffreich und kann die Produktion kurzkettiger Fettsäuren ankurbeln. „Mich fasziniert an diesem Forschungsgebiet, wie einfach wir über die Nahrung viel bewirken können, auch ohne teure Medikamente“, schließt Zaiss. „Wir alle wissen das, aber es sollte wieder mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.“



Letzte Änderungen: 10.10.2019