Zwischen prahlen und tiefstapeln

Juliet Merz


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Illustr.: Juliet Merz
Editorial

(12.10.2020) Der Gender Gap hat sich auch in die geschriebene Sprache von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eingeschlichen. Das Ergebnis: Männer und Frauen kommunizieren ihre Forschung auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Wie diese Unterschiede aussehen, woher sie kommen und was wir dagegen tun können.

Frauen haben es im Wissenschaftsbetrieb nicht leicht. Sie verdienen im weltweiten Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weniger (und das nicht nur in der Wissenschaft), erhalten seltener Forschungsstipendien und werden nicht so häufig zitiert. Sie veröffentlichen weniger Artikel, und diese erscheinen dann auch noch in weniger bekannten Zeitschriften. Und je weiter wir die Karriereleiter emporklettern, desto weniger Frauen werden uns dort oben begegnen. Die Gründe für den Gender Gap verstehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allmählich immer besser.

Editorial

Einen bislang noch wenig beachteten Aspekt hat ein deutsch-US-amerikanisches Forscherteam um den Ökonomen Marc Lerchenmüller von den Universitäten Mannheim und Yale aufgedeckt. „Wir wollten wissen, ob sich Männer und Frauen in der Art und Weise unterscheiden, wie sie Forschungsresultate darstellen“, beschreibt Lerchenmüller die Ausgangsfrage. Das Autoren-Trio nahm deshalb die Titel und Abstracts von über sechs Millionen Publikationen aus den Medizin- und Biowissenschaften unter die Lupe und suchte in den wissenschaftlichen Texten gezielt nach einem Set von insgesamt 25 als positiv geltenden Begriffen – darunter Adjektive wie novel, unique und excellent (siehe unten). Das Geschlecht der Autoren ermittelte das Team mithilfe eines Programms namens Genderize, das dank einer umfangreichen Datenbank die Geschlechter der Personen anhand ihrer Namen vorhersagen kann – ein etablierter Ansatz, um bei einer großen Autorenzahl die Geschlechter schnell und automatisiert einschätzen zu lassen.

Männer prahlen mehr

Das Ergebnis der Textauswertung: Männer nutzten im Gegensatz zu ihren Forscherkolleginnen eine positivere Sprache, um Ergebnisse mit ähnlicher Qualität zu präsentieren (BMJ 367: 16573). Man könnte auch salopp sagen: Männer prahlen mehr. In Artikeln, in denen sowohl der Erst- als auch Letztautor weiblich war, tauchten im Schnitt zehn Prozent weniger Begriffe wie novel oder unique auf. Der Effekt zeigte sich besonders in klinischen Artikeln und in High-Impact-Journalen. Ebenfalls interessant: Bestand das Autoren-Duo aus einem Mann und einer Frau, schlich sich auch hier eine positivere Ausdrucksweise in die Titel und Abstracts ein.

Lerchenmüller und Co. machten noch eine weitere beunruhigende Beobachtung: Der vergleichbaren Qualität zum Trotz erhielten Artikel mit einer positiveren Sprache mehr Aufmerksamkeit, denn sie wurden häufiger zitiert. Die geschmückten Texte erhielten im Schnitt 9 Prozent mehr Zitierungen, bei den High-Impact-Journalen waren es sogar 13 Prozent.

Bedeutet das, Frauen sollten sich von ihren männlichen Kollegen eine Scheibe abschneiden? Sollten Wissenschaftlerinnen anfangen, ihre Forschung besser zu verkaufen? „Im Kontext der wissenschaftlichen Forschung herrscht die Norm, objektiv zu sein“, meint Lerchenmüller. „In unserer Untersuchung konnten wir allerdings zeigen, dass in wissenschaftlichen Texten immer häufiger positive Begriffe verwendet werden. Diesen Trend haben auch schon Forscher vor uns erkannt, wir konnten diesen mit neuen Ergebnissen nun noch einmal bestätigen. Es stellt sich deshalb ganz generell die Frage, mit welcher Sprache wir als Wissenschaftsgemeinschaft unsere Forschungsergebnisse in Zukunft kommunizieren wollen.“ Denn Begriffe wie excellent hätten eine starke Signalwirkung – nach dem Motto: Wenn der Review-Prozess einen solchen Begriff durchgelassen hat, dann muss es vielleicht wirklich exzellent sein, und ich muss den Artikel lesen. „Und so kann es passieren, dass Ergebnisse overhyped präsentiert werden.“

Die beiden US-amerikanischen Medizinerinnen Reshma Jagsi und Julie K. Silver greifen in einem Editorial das Thema auf und diskutieren folgenden Lösungsansatz: „[…] rather than encouraging women to frame their research findings more positively, interventions should be deployed to help men exercise more restraint“ (BMJ 367: l692). Sie ergänzen noch einen anderen wichtigen Punkt: „[…] caution is warranted as this ‚fix the women’ approach lacks an understanding of the current evidence base on gender equity. We should instead use an approach aligned with experts in equity, diversity, and inclusion who favor fixing the systems that support various types of bias including implicit (unconscious), structural, and organizational.“ Die beiden Autorinnen sprechen dabei einen Aspekt an, den auch Lerchenmüller kommentiert: „In unserer Untersuchung sehen wir quasi nur das Resultat. Wir sehen aber nicht, ob Frauen schon in ihren Manuskripten eine unterschiedliche Sprache wählen oder ob dies nachträglich durch Reviewer und Editoren verstärkt oder sogar verursacht wurde.“

Tatsächlich lieferte die britische Ökonomin Erin Hengel bereits 2015 ein spannendes Indiz dafür in ihrer Dissertation „Publishing while female“. Sie teilte unter anderem über 1.500 Artikel-Abstracts eines ökonomischen Journals anhand des Geschlechts der Autoren in zwei Gruppen und verglich die Lesbarkeit der Texte – und zwar vor und nach dem Review-Prozess. Hengels Untersuchungen zeigten, dass die eingereichten Manuskripte von Frauen und Männern vergleichbar in der Lesbarkeit abschnitten. Die Abstracts der Frauen waren dann aber nach dem Peer-Review-Prozess zwei- bis dreimal lesbarer als die ihrer Kollegen. Hengel fragte sich, wie dieser Unterschied zustande gekommen war. Sie formulierte zwei Hypothesen: Entweder setzen Frauen die Kritik der Begutachter bereitwilliger um oder sie versuchen, hohe Anforderungen der Begutachter durch besser geschriebene Arbeiten zu kompensieren. Hengel ergänzte schließlich ein paar Tests und kam zu einem anderen Schluss: Die klarer formulierten Abstracts rührten daher, weil Frauen einfach höheren Standards ausgesetzt waren. Hengel schließt: „Higher standards hurt women’s productivity and labour market outcome. […] This will reduce women’s wages and distort measurement of their productivity.

Höhere Standards für Frauen

Eine im August 2020 veröffentlichte Publikation könnte die Schlussfolgerung der britischen Ökonomin stützen. Ein Team um Matthias Egger von der Universität Bern hatte untersucht, ob es im Peer-Review-Prozess von Forschungsanträgen geschlechtsbezogene oder andere Verzerrungseffekte gibt (BMJ 10: e035058). Die Gruppe analysierte die Berichte von über 12.000 Forschungsanträgen in den unterschiedlichsten Disziplinen. Die Ergebnisse zeigten, dass männliche Bewerber günstigere Bewertungsergebnisse erhielten als weibliche Bewerber. Die Autoren kamen ebenfalls zu dem Fazit, dass Reviewer männliche und weibliche Bewerber an unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben messen.

Jagsi und Silver geben in ihrem Editorial schließlich einen Hinweis, wie sich die Unterschiede zumindest in der Wortwahl bei wissenschaftlichen Texten entwickelt haben könnten: „Girls are socialized from childhood to act with modesty and take up little space, and this norm affects adult behaviors that can have meaningful consequences“ – und das wohlgemerkt auf allen Seiten; von den Verfassern der Texte zu denen, die sie veröffentlichen.

Für Lerchenmüller steht derweil noch eine weitere Frage im Raum: „In unserer Studie haben wir uns auf die Sprachunterschiede zwischen Männern und Frauen in wissenschaftlichen Titeln und Abstracts beschränkt. Ich vermute allerdings, dass der Effekt auch in anderen Bereichen zu finden ist – etwa wenn Forscherinnen ihre Ergebnisse bei Lab Meetings oder Konferenzen präsentieren oder sich bei Gehaltsverhandlungen und Jobinterviews positionieren müssen.“ Ob Lerchenmüller mit seiner Vermutung richtigliegt, muss in zukünftigen Studien erst noch geklärt werden.

Ein Indiz dafür liefert ein Arbeitspapier von Christine Exley von der Harvard Business School und Judd Kessler von der University of Pennsylvania („The Gender Gap in Self-Promotion“). Sie befragten über 4.000 Frauen und Männer und stellten dabei fest, dass Frauen ihre eigene Leistungsfähigkeit weniger günstig bewerteten als Männer mit gleicher Leistung.

Die Problematik ist komplex. Eine Angleichung der Sprache trage jedoch nicht zu dessen Lösung bei, steht zumindest für Lerchenmüller fest. „Man würde sich ja wünschen, sowohl als Wissenschaftsbetrieb als auch als Gesellschaft, dass die besten Ideen und Beiträge wahrgenommen werden – und nicht, was am grellsten verkauft wird“, so der Ökonom. Leider sei es ganz intuitiv, dass die Gemeinschaft oft denen zuhöre, die am lautesten sind – die internationale Politik zeigt das gerade ganz deutlich. „Natürlich ist es problematisch, wenn ich nur darauf höre, wie etwas kommuniziert wird, und nicht was.“

Wichtig sei es also weniger, das Verhalten korrigieren zu wollen, als vielmehr sich der Unterschiede bewusst zu werden. Jagsi und Silver ziehen in ihrem Editorial einen vergleichbaren Schluss, nehmen aber dennoch auch die Journal-Redakteure in die Verantwortung: „Journal editors must address gender equity within their own organizations and develop training and procedures focused on eradicating implicit bias, as undeniably manuscripts are altered by journal processes from submission to publication. […] It may be useful for journal editors to work together to establish common standards and more transparent, shared expectations regarding the strength of evidence required to support the use of certain terms when framing research findings.“ Lerchenmüller: „Ich würde mir wünschen, ich könnte Ihnen sagen, es gäbe die eine oder mehrere Interventionen. Es ist aber wohl viel realistischer, dass ein gradueller Kulturwandel stattfinden muss. Wir brauchen einen offenen, evidenzbasierten Diskurs, um dadurch allmählich Veränderungen hervorzurufen.“ Und das dürfte dann nicht nur die Situation der Frauen verbessern, sondern die Wissenschaft als Ganzes vorantreiben.



Nach diesen 25 positiven Begriffen suchte das Team von Lerchenmüller in wissenschaftlen Texten: Amazing, assuring, astonishing, bright, creative, encouraging, enormous, excellent, favourable, groundbreaking, hopeful, innovative, inspiring, inventive, novel, phenomenal, prominent, promising, reassuring, remarkable, robust, spectacular, supportive, unique, unprecedented.



Letzte Änderungen: 01.09.2020