Editorial

Durchstarten in der Life-Science-Industrie (2)
Ich möchte Laborleiter werden

Morna Gruber, Laborjournal 4/2022


(12.04.2022) Viele Absolventen der Naturwissenschaften geben als Wunschposition „Laborleiter in der Industrie“ an. Auf Nachfrage, welche Labore genau sie gerne leiten würden, folgt dann meist das Geständnis, dass sie das gar nicht so genau wüssten. Verständlich, denn sie kennen die Gegebenheiten in der Industrie meist noch gar nicht. Wir verraten heute, welche Labore in der Industrie überhaupt eine Leitung brauchen.

Wie ich in der ersten Folge dieser Kolumne schon berichtete, schwebte auch mir während meiner Postdoc-Zeit als Wunschposition in der Industrie eine Stelle als Laborleitung oder als Projektmanager vor, obwohl ich mir unter beiden Positionen nur verschwommen etwas vorstellen konnte. Erst recht stellte sich mir die Frage, wo genau der Unterschied zwischen den beiden Berufen sein sollte. Denn muss ein Laborleiter nicht auch Projekte – nämlich Forschungsprojekte – managen oder managt er doch eher das Labor? Welche Aufgaben zählen in der Industrie eigentlich zu Labormanagement? Im Zuge dieser Überlegungen hatte ich manchmal das Gefühl, dass die Worte „Projektmanager“ und „Laborleiter“ in meinem Kopf zu komplett inhaltslosen und sinnfreien Worthülsen verschwammen. Dennoch meinte ich „irgendwie“ zu wissen, was da auf mich zukommen könnte. Denn immerhin gab es doch auch an der Uni Labore zu leiten und Projekte zu managen. Das konnte doch alles gar nicht so unterschiedlich sein.

Trotz meiner scheinbaren Sicherheit zweifelte ich immer wieder an meinem Berufswunsch. Vielleicht kannte ich einfach keine Alternativen, die mich zudem sicherlich aus meiner Komfortzone katapultiert hätten. Aber richtig greifen konnte ich all diese Gedanken nicht – eben gerade aus Ermangelung an Wissen, welche Jobs in der Industrie denn sonst noch auf mich warteten.

Kommt Ihnen dieses Gedankenkarussell und Gefühlschaos so oder so ähnlich bekannt vor? Dann lassen Sie uns doch jetzt einfach gemeinsam ein wenig Licht ins Dunkel bringen.

Gleich vorweg: Es gibt keine einheitliche Definition beziehungsweise keine hundertprozentig eindeutige Stellenbeschreibung für die Position des Laborleiters. Das genaue Stellenprofil unterscheidet sich von Unternehmen zu Unternehmen, kann sogar zwischen verschiedenen Abteilungen desselben Unternehmens variieren und hängt von inhaltlichen, strukturellen und organisatorischen Parametern ab. Schauen wir uns zunächst die inhaltlichen Parameter an.

Labore in Forschung und Entwicklung (Pharma)

In Forschungslaboren mit dem Ziel, ein neues Medikament zu entwickeln, muss zunächst ein biologisch relevantes Target, zum Beispiel ein Enzym oder Rezeptor, identifiziert und charakterisiert werden. Während der Lead Optimization werden Strukturen optimiert, die über das Potenzial verfügen, durch Wirkung am Target einen therapeutischen Nutzen zu haben. Die rein inhaltliche Arbeit und das angewandte Methodenspektrum in diesen Laboren für Forschung und Entwicklung (F&E-Labore) hat durchaus noch sehr große Ähnlichkeit mit der Arbeit an Forschungsprojekten an der Uni. Erst recht, wenn man schon an der Uni eher an translationalen Forschungsprojekten, zum Beispiel in Uniklinik assoziierten Laboren gearbeitet hat und es sich um non-GLP-Labore handelt. GLP steht für Good Laboratory Practice, aber dazu gleich mehr.

Labore in der Präklinik

Ist ein potenter Wirkstoff-Kandidat dann gefunden, muss dieser in präklinischen Studien weiter geprüft werden: In-vitro-Studien an Zellkulturen und In-vivo-Studien an Tiermodellen untersuchen die Wirksamkeit, die Sicherheit und die pharmakokinetischen Eigenschaften des Wirkstoff-Kandidaten. Auch in diesen Laboren entspricht die inhaltliche Arbeit in vielen Aspekten noch der Arbeit in Laboren an der Uni. Dies trifft insbesondere zu, wenn man an der Uni schon intensiv mit Zellkulturmodellen, Zell-Assays und im Kontext von Tierversuchen gearbeitet hat.

Allerdings haben wir hier den entscheidenden Unterschied, dass in der präklinischen Phase auf jeden Fall unter GLP-Bedingungen gearbeitet werden muss, wodurch sich die Abläufe im Labor doch deutlich von denen an der Uni unterscheiden. Das bedeutet, Sie und Ihre Kollegen müssen sich penibel an die SOPs (Standard Operating Procedures) halten, die Ansprüche an die Dokumentation sind enorm hoch und folgen einem genau vorgegebenen Modus operandi. Des Weiteren gilt das Vier-Augen-Prinzip und man unterliegt regelmäßigen Auditierungen – um nur einige Aspekte zu nennen.

Labore in der Qualitätskontrolle

Die im vorherigen Abschnitt beschriebenen strengen Regeln der GLP sind wichtig, um die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des späteren Medikaments sicherzustellen. Aus denselben Gründen gelten auch für die Produktion von Arzneimitteln strenge Qualitätsstandards. Die Anforderungen an die Qualitätssicherung in der Produktion von Medikamenten sind von der Europäischen Kommission in den Grundsätzen und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice, kurz GMP) dargelegt. In Deutschland ist die konkrete Auslegung des GMP-Regelwerkes in der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung geregelt.

Die Einhaltung der Qualitätsanforderungen muss durch die Pharma-Unternehmen sichergestellt und detailliert dokumentiert werden, die zuständigen Behörden überwachen dann alles. Eine besondere Bedeutung kommt in Pharma-Unternehmen deshalb den Laboren zu, die für die Qualitätskontrolle (QC) zuständig sind. Ihre Aufgabe ist es, die Qualität, Stabilität sowie Kontaminationsfreiheit der Rohstoffe, des Wirkstoffs, der Zwischenprodukte und vor allem des finalen Medikaments zu untersuchen und zu dokumentieren. Besonders wichtige Methoden sind hier nass-chemische Methoden, die instrumentelle Analytik (zum Beispiel Hochleistungsflüssigkeitschromatographie oder Gaschromatographie) und bei Biologika auch zellbasierte Assays. Man agiert in solchen Laboren also nicht als Entwickler für ein neues Medikament, sondern eher als Anwalt für dessen Qualität. Allerdings gibt es auch in der QC Entwicklungsprojekte in der Hinsicht, dass neue Methoden zur noch besseren Qualitätskontrolle entwickelt oder bestehende Methoden optimiert und angepasst werden müssen. Auch hier gelten wieder sehr strenge Regeln für die Einhaltung aller Abläufe und für die GMP-konforme Dokumentation.

Aber es gibt doch nicht nur Pharma, oder?

Richtig, es gibt nicht nur Pharma. Es gibt noch eine Vielzahl weiterer Felder, in denen Laborarbeit stattfindet. Zum Beispiel das Feld der medizinischen In-vitro-Diagnostik (IVD). Biologische Proben werden mithilfe von IVD-Tests (beispielsweise Lateral-Flow-Assays und ELISAs) untersucht und deren Ergebnisse zu Diagnostikzwecken verwendet. Die berühmtesten Beispiele sind Schwangerschaftstests, Blutzuckerteststreifen und mittlerweile die SARS-CoV-2-Schnelltests. Der IVD-Markt ist stark wachsend und es werden immer weitere Anwendungsgebiete erschlossen. Die Test-Kits müssen natürlich auch erst mal entwickelt und produziert werden, sie unterliegen ebenfalls einer Qualitätskontrolle – das alles bedeutet wiederum Jobmöglichkeiten im Laborumfeld.

Daneben gibt es viele Unternehmen, die Tools, Kits und Geräte entwickeln und diese an akademische oder industrielle Forschungseinrichtungen vertreiben. Ohne diese Unternehmen wäre Forschung, so wie wir sie aktuell betreiben, nicht möglich. Der neueste Apoptose-Kit, der nun wirklich perfekte ELISA-Kit zur Zytokinquantifizierung oder der Antikörper, der nun endlich zwischen Protein A und B differenzieren kann – all diese Dinge müssen unter Einbeziehung des neuesten Stands der Forschung entwickelt und optimiert werden. Es ergeben sich in der Wissenschaft ständig neue Fragestellungen, die mit geeigneten Methoden erforscht werden sollen. Die Arbeit in der F&E-Abteilung eines solchen Unternehmens muss damit stets auf dem neuesten Stand der Forschung sein sowie zukünftige Entwicklungen antizipieren und selbst mit vorantreiben, um die richtigen Produkte zu aktuellen Fragestellungen zur Verfügung stellen zu können.

Was ist mit strukturellen und organisatorischen Parametern gemeint?

Nachdem wir uns nun die verschiedenen Labortypen und die inhaltlichen Fragestellungen angeschaut haben, mit denen Laborleiter sich zu beschäftigen haben, wollen wir nun betrachten, welche Aufgaben ein vollumfänglich verantwortlicher Laborleiter zu übernehmen hat. In einem größeren Unternehmen ist man selbst gar nicht mehr an der Bench. Der Fokus der Arbeit liegt auf der strategischen und betriebswirtschaftlichen Leitung der Abteilung und der Führung des Teams. Sie müssen Zeit-, Budget- sowie Ressourcenpläne erstellen. Aus diesen heraus definieren Sie Abteilungsziele, die dann wiederum auf Ziele für die einzelnen Mitarbeiter heruntergebrochen werden. Den Mitarbeitern müssen Sie die Aufgaben und Ziele in Mitarbeitergesprächen kommunizieren, häufig werden diese auch über sogenannte Zielvereinbarungen schriftlich fixiert. Das Erreichen der Ziele aus diesen Zielvereinbarungen ist auch die Grundlage für eventuelle Auszahlungen von Boni an die Mitarbeiter. Zudem müssen Sie sich über die weitere Personalplanung und die Weiterentwicklung der Mitarbeiter Gedanken machen.

Neben der Supervision des operativen Tagesgeschäfts müssen Sie stetig die Möglichkeiten zur Prozessoptimierung im Blick haben, um die betriebswirtschaftliche Effizienz und die Qualität der Arbeit sicherzustellen. Darüber hinaus entwickeln und kalkulieren Sie zukünftige Investitionsprojekte und besprechen alles mit der nächsthöheren Managementebene.

Selbstverständlich sind Sie auch verantwortlich für die Einhaltung von rechtlichen Vorgaben und müssen sich deshalb permanent über rechtliche Neuerungen auf dem Laufenden halten.

Da Sie dann auch betriebswirtschaftlich verantwortlich für Ihre Abteilung sind, sollten Sie immer das Budget im Blick haben und monatlich, quartalsweise und jährlich Reports für die Geschäftsführung erstellen.

Das wären also die Aufgaben einer vollumfänglich verantwortlichen Laborleitung. Nun gibt es aber auch Unternehmen, die unter der Position „Laborleitung“ Aufgaben verstehen, die eher denen eines wissenschaftlichen Projektmanagers entsprechen, der ein spezifisches Forschungsprojekt eventuell unter Einbeziehung eines kleinen Teams aus TAs leitet. Oder die Stelle ist von einem kleinen Unternehmen ausgeschrieben und Laborleitung bedeutet in diesem Fall vielleicht, dass man über Projektplanung, Budgetkontrolle und Durchführung der Forschungsarbeit alles alleine macht – und man dabei auch gleichzeitig selbst seine beste TA ist.

Es sind hier viele Variationen möglich. Da hilft es nur, die Stellenanzeigen genau zu lesen und im Vorstellungsgespräch detaillierte Fragen zum eigentlichen Umfang der Position zu stellen.

Take-Home-Messages
  • Es muss nicht immer gleich die Laborleitung sein. Eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Research Associate, Lab Scientist, Scientific Project Manager, und wie sie alle heißen, ist ein super Einstieg, auch wenn sie nicht die fancy Worte „Head of“ oder „Leitung“ im Namen haben. Sie geben einem die Möglichkeit, sich erstmal in der Industrie zurechtzufinden und zu etablieren. An der Führungslaufbahn arbeitet man erst im nächsten Schritt, wenn man fachlich fest im Sattel sitzt.
  • Stellenanzeigen genau lesen: Laborleiter ist nicht gleich Laborleiter. Wenn es bei der Position eher um die rein inhaltliche Betreuung eines Forschungsprojektes geht und vielleicht die Anleitung eines kleinen Teams von zwei bis drei Personen umfasst, dann ist die Stelle durchaus für Absolventen geeignet. Wenn es sich jedoch um eine vollumfängliche Laborleitung handelt, ist das für den Einstieg eine Nummer zu groß.
  • Schließlich sollte man sich über all die anderen Jobmöglichkeiten informieren, die die Industrie noch zu bieten hat. Damit können Sie überprüfen, ob Sie wirklich Laborleiter werden wollen oder ob nicht eine andere Position doch besser zu Ihnen passt.