Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Innovationsförderung durch Kooperationen von Hochschulen und Industrie

Von Monika Lessl, Leverkusen


Editorial

(15.07.2022) Kooperationen zwischen Hochschulen und Industrie bieten hohes Innovationspotenzial, um die anstehenden globalen und fundamentalen Transformationsprozesse zu gestalten. Dazu braucht es hierzulande aber nicht nur strukturelle Änderungen, sondern vor allem mehr Offenheit und Vertrauen zwischen den Akteuren. Einige Vorschläge.

Wir stehen vor den größten globalen Herausforderungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges: Der Klimawandel, die COVID-19-Pandemie, der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die damit verbundene Gefahr einer internationalen Hungerkrise bringen unsere Gesundheits- und Ernährungssysteme weltweit an ihre Grenzen.

Deutlich wird in diesem Zusammenhang auch, dass wir uns bedingt durch die Klimakrise inmitten eines Paradigmenwandels vom grenzenlosen Wachstum zum Wachstum innerhalb unserer planetaren Grenzen befinden. Um die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen, braucht es einen fundamentalen und globalen Transformationsprozess, der die Gesundheit – sowohl der Menschen als auch des Planeten – in den Mittelpunkt stellt. Diese Transformation umfasst alle gesellschaftlichen Bereiche und reicht von Unternehmen über Regierungen, das Bildungs- und Hochschulwesen bis hin zur Zivilgesellschaft.

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Editorial

Damit diese ganzheitliche Transformation gelingen kann, brauchen wir neben technologischen auch soziale Innovationen, um Ungleichheit abzubauen und gemeinsam den Fortschritt zu gestalten.

Bei technologischen Innovationen wird viel über das Zeitalter der Digitalisierung gesprochen. Dabei wird oft übersehen, dass es auch in der Biologie im letzten Jahrzehnt bahnbrechende Fortschritte gab. Dazu gehören nicht zuletzt die Entwicklung von RNA-Impfstoffen, die Entdeckung der Genschere CRISPR oder auch neuartige Krebstherapien. Wir stehen am Beginn einer neuen Ära: Biologie und Digitalisierung verschmelzen und ermöglichen Innovationen, die ein solches Potenzial haben, dass man von einer Biorevolution sprechen kann.

Diese Innovationen haben das Potenzial, unsere Ernährung, unsere Gesundheit und damit viele unserer Lebensbereiche grundlegend und nachhaltig zu verbessern. Im Gesundheitsbereich eröffnen neue Technologien die Möglichkeit, Krankheiten nicht nur zu behandeln, sondern zu heilen oder durch frühe Diagnostik zu verhindern. Die neuen Gentherapien für seltene Erbkrankheiten sind hierfür erste Ansätze. Auch in der Landwirtschaft gibt es vielversprechende neue Möglichkeiten. Beispielsweise können mit Hilfe der Genschere CRISPR Pflanzen trocken- oder krankheitsresistenter gemacht werden, um eine bessere Anpassung an Klimaveränderungen zu ermöglichen.

Technologische Innovationen allein können jedoch die Herausforderungen, vor der wir als Gesellschaft stehen, nicht lösen. Wir brauchen auch wirksamere und nachhaltige Wege, um gesellschaftliche Ungleichheiten – sei es im Zugang zu Vermögen und Einkommen oder zu Gesundheit, Ernährung oder Bildung – zu adressieren. Dafür braucht es soziale Innovationen.

Bei diesen geht es darum, neue Geschäftsideen zu entwickeln, die langfristig wirtschaftlich tragfähig sind, aber auch eine starke gesellschaftliche Wirkung haben. Ich bin überzeugt, dass wir langfristigen Wandel nur durch unternehmerisches Handeln erreichen können. Daher ist der Bereich „Soziale Innovationen“ auch einer der Schwerpunktbereiche der Bayer Foundation. Ein Programm der Bayer Foundation fördert zum Beispiel Kleinbauern in Senegal, überwiegend Frauen: Mit Hilfe geeigneter Trainingsprogramme und digitaler Spar-Plattformen können sie so langfristig selbst erfolgreiche Unternehmerinnen werden, um damit nicht nur ihre Familien und sich ausreichend ernähren, sondern auch ihren Kindern den Schulbesuch ermöglichen zu können.

Ein weiteres Beispiel ist die Zusammenarbeit der Bayer Foundation mit dem Sozialunternehmen mTOMADY. Dieses hat eine einzigartige digitale Gesundheits-Plattform entwickelt, über die Geldgeber, Kleinbauern und Gesundheitsanbieter vernetzt werden, um so den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Menschen in ländlichen Gebieten Madagaskars zu verbessern. So können diese selbst, Verwandte oder auch Spender einfach Gelder für eine verlässliche Gesundheitsversorgung bereitstellen.

Deutlich wird, dass der fundamentale Transformationsprozess mit Hilfe von technologischen und sozialen Innovationen nur gelingen kann, wenn alle Stakeholder aus Wissenschaft, Industrie, Politik und von NGOs zusammenarbeiten und das notwendige gesellschaftliche Vertrauen geschaffen werden kann.

Eine Schlüsselrolle nehmen dabei Forschungskooperationen von Hochschulen und Unternehmen ein.

Nur durch eine enge Zusammenarbeit können Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in gesellschaftlich wertvolle Innovationen umgesetzt werden. Die Entwicklung der COVID-Vakzine ist hierfür ein Paradebeispiel.

Allerdings ist es auch in anderen Bereichen höchste Zeit, aus den Silos herauszukommen, aufeinander zuzugehen und gemeinsam an gesellschaftlichen Lösungen zu arbeiten. Das geht nur mit größtmöglicher Offenheit. Alle Institutionen müssen sich stärker öffnen und kooperieren.

Dies ist auch ein Gebot der aktuellen Stunde, in der nicht zuletzt aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der drohenden globalen Rezession sowohl für Unternehmen aber auch für Hochschulen und zivilgesellschaftliche Akteure wie NGOs die Ressourcen und Budgets immer knapper werden.

Allen gesellschaftlichen Akteuren ist bewusst, dass wir die eingangs skizzierten globalen Herausforderungen nur durch die Zusammenarbeit aller Stakeholder bewältigen können. Dabei spielt die Zusammenarbeit von Hochschulen und Industrie eine Schlüsselrolle, um möglichst schnell und effizient neue Ideen aus der Forschung in die Umsetzung zu bringen.

Zwar fördert die Bundesregierung mit zahlreichen Maßnahmen – wie beispielsweise dem Spitzencluster-Wettbewerb, dem Programm Innovative Hochschule oder der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) – die Zusammenarbeit zwischen akademischen Einrichtungen und Unternehmen, zugleich sinken laut Deutschem Stifterverband das dritte Mal in Folge de facto die Drittmittel der Wirtschaft an Hochschulen – um 0,2 Prozent auf rund 1,5 Milliarden Euro.

Dafür gibt es zahlreiche Gründe.

Transferbüros an Hochschulen sind personell oft nicht adäquat besetzt und ausgestattet – und haben auch im eigenen Haus nicht den nötigen Stellenwert.

Zudem lässt sich beobachten, dass Kooperationen zwischen Universitäten und Unternehmen häufig nicht strategisch und langfristig konzipiert werden, sondern vielfach einen Projektcharakter haben. Dies verhindert letztendlich innovative Durchbrüche, von denen alle profitieren würden.

Auch ist die Durchlässigkeit von Karrierewegen nach wie vor von beiden Seiten nicht wirklich gegeben. Wissenschaftler müssen sich in vielen Fällen für einen Karriereweg entscheiden: entweder an Hochschulen beziehungsweise öffentlichen Forschungseinrichtungen oder in der Industrie.

Insgesamt sind die bürokratischen Hürden und der administrative Aufwand hoch. Selbst für kleine Kooperationen sind häufig lange und komplexe Verhandlungen notwendig. Selbstkritisch müssen wir als Industrie aber auch lernen, dass nicht jede Zusammenarbeit mit einer Geheimhaltungserklärung beginnen muss und es kreativer Wege bedarf, frühe, forschungsbasierte Kooperationen zu gestalten.

Die weiteren Gründe für die bisweilen herausfordernde Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft liegen weniger auf der administrativen als vielmehr auf der gesellschaftlichen Ebene.

Das Vertrauen in die Wissenschaft ist dem Wissenschaftsbarometer von „Wissenschaft im Dialog“ zufolge in Deutschland mit 61 Prozent insgesamt recht hoch. Bei der Frage, warum Misstrauen gegenüber der Wissenschaft existiert, ist das Thema Abhängigkeit vom Geldgeber – und damit insbesondere auch Industrie-finanzierte Forschung – mit 48 Prozent der wichtigste Grund für die Befragten.

Besonders kritisch werden in Deutschland Beratertätigkeiten von Professoren und anderen akademischen Mitarbeitern gesehen. Diese haben oftmals Sorge vor dem Verlust der eigenen Unabhängigkeit beziehungsweise ihrer öffentlichen Reputation. Wenig überraschend gibt es in den USA oder im angelsächsischen Raum eine höhere Offenheit gegenüber der Zusammenarbeit von Universitäten und Unternehmen.

Was also können wir tun, um die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Industrie insgesamt zu verbessern und zugleich das gesellschaftliche Vertrauen in Kooperationen zu steigern?

Transparenz und zielgerichtete Kooperationsformate sind wesentliche Mittel, um das Vertrauen in Kollaborationen zu steigern. Sie ermöglichen gegenseitiges Kennenlernen und die Entmystifizierung von intersektoralen Kooperationen.

Der Zugang und die proaktive Bereitstellung von Informationen über Kooperationen sind dabei ein Schlüssel für mehr Transparenz. Wir haben uns daher bei Bayer entschieden, offen mit dem Thema umzugehen und klar zu zeigen, mit wem wir kooperieren, an welchen Themen gearbeitet wird und wie viel Geld fließt. Für uns als Wissenschaftsunternehmen ist die Integrität und Glaubwürdigkeit von Forschung und Entwicklung essenziell.

Wir möchten daher zum Dialog über die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft einladen, um die Zusammenarbeit weiter zu verbessern und auszubauen. In unserer Online-Datenbank „Bayer Science Collaboration Explorer“ veröffentlichen wir als erstes DAX-Unternehmen neue, vertragsbasierte wissenschaftliche Kooperationen mit Universitäten, öffentlichen Forschungseinrichtungen und Einzelpersonen in Deutschland.

Durch verschiedene Kooperationsformate kann der Austausch intensiviert und dadurch das Vertrauen zwischen den verschiedenen Akteuren nachhaltig gestärkt werden. Die Zusammenarbeit ist oft davon geprägt, dass beide Seiten zu wenig übereinander wissen. Bei den Kooperationen, die ich mit Hochschulen auf den Weg gebracht habe, war es sehr wichtig für den Erfolg, dass man zunächst Vertrauen aufgebaut und sich offen über die gemeinsamen Ziele verständigt hat.

Dazu gehört beispielsweise auch eine Verständigung über Terminologien, die in der Wirtschaft vielleicht anders verwendet werden als in der akademischen Forschung. Gerade zu Beginn von Kooperationen ist es zudem essenziell, die Beziehungsebene zu klären, anstatt direkt in die Sachebene einzusteigen. Mehr als 60 Prozent der Kooperationen scheitern auf der Beziehungsebene. Strategische Fragen sind viel seltener das Problem. In einer Analyse haben wir das RESOLVE-Modell entwickelt, das Erfolgsfaktoren der guten Zusammenarbeit zusammenfasst [Details siehe https://tinyurl.com/2pshyvjz].

Doch verlassen wir die Managementebene – und schauen uns vielmehr Beispiele für Kooperationsformate an, die sich aus meiner Sicht bewährt haben:

  • Joint Labs beziehungsweise Translation Centers bieten die Möglichkeit zum Forschen und Arbeiten unter einem Dach. Im Rahmen der Bayer-Kooperation mit dem Broad Institute in Boston haben wir beispielsweise ein gemeinsames Labor zur Erforschung von Herz-Kreislauf-Therapien eingerichtet und ermöglichen so die enge Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus beiden Institutionen. Das geplante Translationszentrum für Zell-und Gentherapie in Berlin in Kooperation mit der Charité geht in eine ähnliche Richtung. Hier werden zudem noch Start-ups beteiligt.
  • Open-Campus-Modelle wie der Bayer CoLaborator Berlin bieten Wissenschaftlern und jungen Start-ups vollständig eingerichtete Labor- und Büroräume und die Möglichkeit zum direkten Austausch mit erfahrenen Wissenschaftlern aus Forschungsunternehmen.
  • Scientists-in-Residence-Programme ermöglichen es erfahrenen Wissenschaftlern aus Hochschulen oder Forschungseinrichtungen, für einen bestimmten Zeitraum in die Forschungsabteilung eines Unternehmens zu wechseln. Das ermöglicht beiden Seiten einen Perspektivwechsel. Bei Bayer hat beispielsweise ein Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) für sechs Monate als Scientist-in-Residence gearbeitet und praktisch erlebt, wie wir forschen beziehungsweise arbeiten und zugleich umgekehrt seine Erfahrungen einbringen können. Ein Gewinn für beide Seiten.

Das sind nur einige wenige Beispiele für Kooperationsformate. Es gibt endlose Variationen, und alleine darüber könnte man viel diskutieren. Entscheidend für den Erfolg bleibt jedoch das Vertrauensverhältnis: Fehlt diese Basis, kann auch das beste Modell nicht helfen.

Einen anderen Ansatz, der viel früher greift und den „Entrepreneurial Spirit“ in der Wissenschaft fördert, möchte ich an dieser Stelle auch kurz erwähnen. Ein schönes Beispiel ist hier das „Young Entrepreneurs in Science Program“ der internationalen Wissenschaftsplattform Falling Walls. Es ermutigt junge Wissenschaftler, bereits während oder kurz nach der Promotion zu stärkerem unternehmerischen Denken und Handeln – und vermittelt auch erste Einblicke und Kontakte in die Industrie. So wird das Nachdenken, ob eine Idee gegebenenfalls in eine Innovation und gar eine Firmengründung umgesetzt werden kann, schon früh angestoßen.

Dies sind nur einige Maßnahmen, um die Zusammenarbeit und das Vertrauen in Kooperationen zwischen Industrie und Wissenschaft zu verbessern. Weitere Ansätze zur Stärkung der Kooperationsfähigkeit liegen auf Seiten der Hochschulen beziehungsweise der Politik – drei sind aus meiner Sicht besonders wichtig:

  1. Entsprechende Anreizsysteme für den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in konkrete Innovationen beziehungsweise Produkte sollten etabliert werden.
  2. An den Hochschulen braucht es auf Leitungsebene jeweils einen Verantwortlichen für Kooperationen.
  3. Kooperationsaspekte müssen stärker in die Lehre integriert werden, sodass Studierende schon früh für den Wissenschaftstransfer sensibilisiert werden.

Was bleibt demnach als Fazit?

Es zeigt sich, dass wir die globalen Herausforderungen nur gemeinsam als Gesellschaft bewältigen können. Zur Umsetzung des fundamentalen Transformationsprozesses braucht es sowohl technologische als auch soziale Innovationen – und Vertrauen in diese. Großes Innovationspotenzial bieten Kooperationen zwischen Hochschulen und Industrie. Auch wenn dies allen Akteuren bewusst ist, so ist der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit noch zu groß. Um diese Lücke zu schließen, bedarf es einer Kraftanstrengung aller Beteiligten – von Hochschulen über die Politik bis hin zur Industrie.



Zur Autorin

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Monika Lessl ist Senior Vice President und Leiterin des Bereichs Corporate R&D and Social Innovation bei der Bayer AG und leitet als Executive Director die Bayer Foundation. Zudem ist sie Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Sie hat am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik im Bereich Biochemie promoviert und besitzt ein Diplom in General Management der Ashridge Business School London.