Editorial

Traumberuf Wissenschaftlerin

Von Lorenz Adlung, Rehovot (Israel)


Essays

(03.07.2018) Eigentlich könnte die Wissenschaft ein Traumberuf sein. Wer ihn jedoch träumt, sieht sich beim Erwachen oft mit einigen realen Fehlern konfrontiert. Allerdings können Träume manchmal auch wahr werden...

Der Laborschuh aus Glattleder quietscht ein wenig auf dem frisch gebohnerten Hartgummi-Boden, als ich an die Steril-Werkbank herantrete. Die Reinigungsfachkraft wünscht mir einen guten Morgen und schließt mit einem Lächeln sanft die Tür zum Zellkultur-Raum. Die große Fensterfront eröffnet mir den Blick auf einen bilderbuchreifen Sonnenaufgang. Es wird ein milder Frühlingstag werden.

Ich entnehme die benötigten Seren und Wirkstoffe den alphanumerisch indizierten Plastikboxen des Gefrierfachs. Behutsam hole ich die eingelagerten Blutproben aus dem Brutschrank. Alles befindet sich in ausreichenden Mengen an den vorgesehenen Plätzen. Schnell habe ich sämtliche Reagenzien beisammen. Der Versuch kann beginnen. Welche der zu testenden Medikamente besitzt die beste Wirkung? Ein komplexes Experiment liegt vor mir, doch am Ende des heutigen Tages werde ich der Antwort auf diese Frage hoffentlich ein Stück näher gekommen sein.

Wenn wir Wissenschaftlerinnen den Daumen nach oben recken, dann bedeutet das nicht notwendigerweise: „Gefällt mir.“ Vielmehr ist es der Beginn einer alltäglichen Handbewegung. Beim Pipettieren kann man Flüssigkeiten in kleinsten Mengen transferieren. Dazu drückt man den (zuvor gereckten) Daumen gefühlvoll auf den Stempel einer Kolbenhub-Pipette, deren Griff man mit den vier übrigen Fingern umschlossen hält. Mit dieser Bewegung kann man beispielsweise die Medikamente in die Nährlösung der Blutzell-Proben überführen. Die Pipette ist frisch kalibriert und entlässt präzise den Bruchteil eines Mikroliters der Medikamentlösung in die Kulturschale.

Nachdem alle Reagenzien auf diese Weise pipettiert sind, muss ich warten. Der Wirkmechanismus der zu testenden Medikamente ist bekannt. Es benötigt allerdings Zeit, bis die nötigen biochemischen Reaktionen in den Blutzellen der Patienten angestoßen sind. Zunächst müssen die Wirkstoffe im Medium von den Zellen aufgenommen werden. Sie diffundieren durch die Nährlösung, passieren die Zellmembranen und finden in der dickflüssigen Eiweißsuppe des Zellplasmas zielgerichtet den Ort ihres Wirkens. In den engmaschig vernetzten Signalwegen der Zellen blockiert jedes Medikament die Arbeit eines bestimmten Enzyms. Ist die molekulare Maschinerie erst einmal lahmgelegt, kommt der Verkehr auf dem zellulären Signalweg zum Erliegen und die Zelle wird in ihrem krankhaften Verhalten gestoppt.

Heute werde ich zwei Medikamente testen: A(KT VIII) und U(0126). Sie sollen die massenhafte Vermehrung der Blutzellen einschränken, die ansonsten zu Blutkrebs führen kann.

Die Vermehrung der Blutzellen bestimme ich, indem ich diese anfärbe sowie unter dem Mikroskop begutachte und zähle. Damit die Zählung exakt nach dem Ablauf der im Messprotokoll festgelegten Inkubationszeit beginnen kann, hatte ich das Mikroskop bereits frühzeitig im elektronischen Buchungssystem reserviert. Ich zähle die Blutzellen per Hand mit einem Zähl-Ei. Bei dessen Betätigung ist wieder der gereckte Daumen zu sehen. Der Vorgang gefällt mir. Es mag stumpfsinnig anmuten; zumal sich diese Arbeit über mehrere Stunden in einem dunklen, fensterlosen Raum vollzieht, in dem sich das Mikroskop befindet. Doch für mich besitzt das Zellenzählen einen meditativen Charakter.

Die Versuchsbedingungen sind randomisiert, also zufällig gemischt, und durch ein Kürzel verschlüsselt, sodass ich nicht unbewusst im Sinne eines zu erwartenden Ergebnisses zähle. Erst als ich später am Computer sitze, werden die eingetragenen Messwerte den tatsächlichen Bedingungen zugeordnet. Ich tippe den entsprechenden Befehl in das Programm ein, und die Ergebnisse werden graphisch aufgetragen. Kleine Pünktchen in Diagrammen samt Fehlerbalken, gruppiert nach Medikament und Dosis. Statistische Tests werden automatisch berechnet.

Die Resultate sind zu schön, um wahr zu sein. Medikament A zeigt eine deutliche Wirkung und hemmt die Vermehrung der Blutzellen schon in geringen Mengen. Medikament U bewirkt hingegen keinen nennenswerten Effekt. Zudem bringt die Kombination von A & U keinen zusätzlichen Nutzen. Der ermittelte Vertrauensbereich der Messergebnisse ist eng gefasst. Deshalb sind die beobachteten Unterschiede in der Wirkung der beiden Medikamente höchst signifikant.

Ich lade die Graphiken direkt auf den Preprint-Server, wo sich für alle Menschen zugänglich und transparent die Vorabdruck-Version des entsprechenden Manuskripts befindet. In dem Artikel beschreibe ich, wie mit dem systembiologischen Ansatz in Zukunft eine personalisierte medizinische Behandlung von Blutkrebs-Patienten durchgeführt werden kann.

Diese Grundlagenforschung mit Anwendungsbezug ist demnach offen für alle. Auf dem Server kann der Begutachtungsprozess unserer Arbeit in Echtzeit mitverfolgt werden. Kurz nach dem Hochladen der neuen Version der Abbildung erscheint der erste Kommentar eines Kollegen oder interessierten Bürgers dazu auf Twitter. Die Daten seien sehr überzeugend. Ich hoffe, die anonymisierten Gutachterinnen und Gutachter sehen das genauso und akzeptieren das Manuskript zeitnah zur Veröffentlichung in dem angesehenen wissenschaftlichen Journal.

In Anbetracht der vielversprechenden Ergebnisse passe ich als nächstes den Bericht für die Drittmittelgeber an. Meine Stelle als Nachwuchswissenschaftlerin ist unbefristet und wird anteilig über eine Stiftung finanziert, die ebenfalls über die tollen Resultate erfreut sein wird. Die Frist zum Einreichen des Berichts läuft erst in der nächsten Woche ab. Dennoch ist es ein befreiendes Gefühl, als ich auf die Schaltfläche zum Senden klicke.

Ich begebe mich in die Küche und vollziehe mein alltägliches Tee-Zeremoniell. Über einer dampfenden Tasse meiner neusten Sencha-Mischung diskutiere ich mit einer Kollegin einen interessanten Artikel der aktuellen Ausgabe des Laborjournals über einen Mikroskop-Untersatz für das Smartphone. Danach schaue ich noch kurz im Büro meiner Chefin vorbei. Die Tür ist geöffnet; sie hat Zeit. Meine Chefin meint, die vielversprechenden Ergebnisse seien der Lohn für meine akribische Arbeit, für die sie mich ausdrücklich lobt. Außerdem unterbreitet sie konstruktive Vorschläge für nachfolgende Experimente, aus denen sich ganz eigenständige Projekte für eine meiner Master-Studentinnen ergeben könnten.

Als ich das Institut verlasse und mich in Richtung des Kindergartens aufmache, ist es noch hell. Laue Frühlingsluft umweht mein Gesicht, auf dem sich ein merkliches Lächeln abzeichnet. Ich werde meine Tochter heute etwas eher abholen können. Die zusätzliche Zeit können wir auf dem Spielplatz verbringen und anschließend meine Freundin mit einem selbst zubereiteten Abendessen überraschen.

Doch plötzlich ertönt ein Piepen. Habe ich etwa aus Versehen eine Zeitschaltuhr aus meinem Laborkittel in meine Jacke gesteckt? Nein. Ich realisiere erst mit reichlich Verzögerung, dass mich mein Wecker aus dem Schlaf reißt. Draußen ist es noch stockdunkel. Es war alles nur ein Traum...

Laut einer Umfrage von Nature aus dem Jahr 2017 gab mehr als ein Viertel von über 5.700 befragten Promotionsstudierenden an, unter mentalen Problemen wie Angststörungen und Depressionen zu leiden [1]. Gleicht ein Platz im wissenschaftlichen System folglich einem Albtraum? Mitnichten. Denn allen Problemen zum Trotz kann sich mit 52 Prozent die Mehrheit vorstellen, nach Abschluss der Doktorarbeit in der akademischen Welt zu verbleiben. Andererseits sei die kritische Nachfrage gestattet, wieso die verbleibenden 48 Prozent die Wissenschaft verlassen wollen. Warum sollte man einem System den Rücken kehren, das mit Offenheit, Neugier und Innovation universelle Werte repräsentiert, die in einer modernen Gesellschaft hohes Attraktionspotenzial besitzen?

Die Gründe sind mannigfaltig. Aber die Erörterung meines persönlichen Erfahrungsberichts liefert eventuell etwas Aufschluss darüber, wie diffizil die Sachlage ist. Vornan gestellt sei, dass der oben geschilderte Traum freilich etwas überspitzt idealisiert und romantisiert. Prinzipiell kommt mir mein Beruf dennoch tagtäglich wie ein Traum vor. Ich erachte es nicht als Arbeit, wenn ich in Computersimulationen und Laborversuchen der Ursache von Krankheiten auf der Spur bin. Für mich ist es ein persönlicher Glücksfall, Wissensschaffender sein zu dürfen. Dennoch will ich die Augen nicht verschließen vor den kleinen und großen Fehlern im System. Dabei schreibe ich nicht im Groll oder in Anklage, sondern im Streben nach Verbesserung im Interesse aller.

Der Traum beginnt in Schutzkleidung nach Dienstvorschrift auf frisch gereinigtem Untergrund. Leider erlaubt der hektische Laboralltag nicht immer Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten der Reinigungsfachkräfte. Wenn man wie ich interdisziplinär zwischen den Instituten unterwegs ist, trägt man zwar zumeist sicheres, geschlossenes Schuhwerk, nicht immer wechselt man jedoch in die vorgesehenen Clogs, sobald man das Labor betritt. Aber keine Sorge, auf dem Fußboden werden meines Wissens zufolge keine Experimente durchgeführt.

Wobei dies die verfügbaren Arbeitsflächen eigentlich extrem vergrößern würde. Denn – Scherz beiseite – anders als in meinem Traum sind in der Realität bisweilen nicht ausreichend Räumlichkeiten vorhanden. Die existierenden Stellmöglichkeiten müssen daher effektiv genutzt werden. Sperrige Messgeräte müssen ebenso Platz finden wie Steril-Werkbänke, Gefrier- und Brutschränke.

Forschungsinstitute fungieren folglich nicht als pure Hallen der Erkenntnis, in denen Genies ihrer Neugier frönen. Die wissenschaftlichen Einrichtungen sind vielmehr strategisch ausgerichtete Zentren, die sich neben bildungspolitischen selbstverständlich auch finanzwirtschaftlichen Kriterien beugen müssen. Institute sind Arbeitgeber mit immensem Kostendruck.

Deutsche Bürokratie lässt nicht zu, dass am Verwaltungsapparat gespart wird. So kommt es vor, dass Hausmeister- und Reinigungstätigkeiten an externe Firmen ausgelagert werden, die bei der hohen Konkurrenz mitunter auf Zeitarbeitsmodelle zurückgreifen, die weitreichende Konsequenzen für die Arbeitnehmer nach sich ziehen. Deshalb besäße die Putzfachkraft im Vergleich zum Traum allen Grund, in der Realität minder gut gestimmt zu sein.

Auch die Vorratsschränke sind mithin nicht so vorbildlich ausgestattet und aufgeräumt wie im Traum. Forschungsgruppen sind oft bunt durchmischte Teams mit individuellen Charakteren, die in Eigenregie hochkomplexe Experimente planen und durchführen. Da kann es schon mal vorkommen, dass versäumt wird, Versuchsmaterialien rechtzeitig zu bestellen. Dasselbe gilt für die Mikroliter-Pipetten, die nicht immer genau kalibriert sind, weswegen wohl schon so mancher Versuch wiederholt werden musste.

Allzu schlimm kann das gleichwohl nicht sein. Immerhin reckt man den Daumen beim Pipettieren häufig nach oben.

Der genaue Wirkmechanismus von pipettierten Medikamenten ist im Vorhinein zumeist unbekannt. Die verabreichten Moleküle werden häufig in großen pharmazeutischen Testreihen identifiziert. Wobei nur danach ausgewählt wird, was wirkt – und nicht, wie es wirkt. Die Spezifität der Medikamente ist freilich meistens geringer als im Traum. Jeder Stoff besitzt Nebenwirkungen. Im Körper gelangen die Moleküle vielleicht nicht direkt in die richtigen Zellen. Außerdem hemmen sie weder nur ein Enzym noch ausschließlich einen Signalweg. Stattdessen wird ein chaotischer Zustand in den Zellen ausgelöst, mit teilweise schwer abzuschätzenden Konsequenzen für den Gesamtorganismus. Systematische Grundlagenforschung lässt uns immerhin Stück für Stück das vielteilige Puzzle des gesunden oder kranken Körpers verstehen.

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Des Weiteren treffe ich manchmal auf Unverständnis, wenn ich versuche, ein Messgerät zur benötigten Zeit zu benutzen. Zwar existieren vielerorts Buchungssysteme; der Zeitplan der Teammitglieder einer Forschungseinrichtung ist allerdings nicht notwendigerweise mit den avisierten Reservierungen kompatibel. Es kann vorkommen, dass zum Beispiel das Mikroskop gewartet werden muss. Oder die zu mikroskopierenden Zellen vermehren sich zu langsam. Anders als im Traum verzögern sich dann nachfolgende Messungen. Aber das ist Biologie. Man arbeitet mit lebenden Materialien. Alles andere wäre wohl leblos, sodann minder abwechslungsreich und langweilig.

Selbst wenn experimentelle Daten schließlich generiert worden sind, ist keineswegs gesichert, dass die gemessenen Unterschiede statistisch signifikant sind. Im Arbeitsalltag bemerke ich immer wieder, wie wenig Kenntnisse in angewandter Statistik vorhanden sind. Wirklich vorwerfen kann ich das den Leuten im Labor nicht. Ausbildung und Studium befinden sich selten mit den späteren Anforderungen bei drängenden Forschungsfragen im Einklang. Das war auch einer der Gründe, warum ich damals gemeinsam mit vier Freunden ein Lehrbuch zu dem Thema „Mathematik für Biologen“ verfasst habe [2].

Andersherum jedoch erwecken einige wissenschaftliche Veröffentlichungen den Eindruck, es gehe zuvorderst um statistische Signifikanz statt um profunde Beobachtungen mit entsprechenden Kontrollbedingungen. Dabei impliziert Signifikanz nicht unbedingt Relevanz.

Ob die Erkenntnisse einer Forschungsarbeit letztlich relevant sind, zeigt sich regelmäßig erst im wissenschaftlichen Begutachtungsprozess. Immer mehr biomedizinische Untersuchungen werden im Zuge dessen als Vorabdruck bereitgestellt. Beispielhaft ist diesbezüglich die Plattform bioRxiv, wo die wöchentlichen Einreichungen seit 2014 deutlich steigen [3]. Diese Entwicklung ist tatsächlich traumhaft für eine offene, freie und transparente Wissenschaftskultur.

Im Gegensatz dazu ist es weiterhin illusorisch, dass in den Wissenschaften mehr Stellen entfristet werden. Die Arbeitsverträge in den Biowissenschaften gelten üblicherweise nur über wenige Jahre, wobei das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) verbindlich festlegt, dass nach zwölf Jahren in befristeten Angestelltenverhältnissen dem Arbeitnehmer kein neuer befristeter Vertrag mehr angeboten werden darf – und die Stelle stattdessen zu entfristen sei. In der Praxis führt dies jedoch dazu, dass zumeist gar kein neuer Vertrag mehr angeboten wird. Die Stelle wird dann neu ausgeschrieben, und zwar wiederum befristet.

Dies führt letztlich zu drohender Arbeitslosigkeit gut ausgebildeter Akademiker oder deren Abwanderung in andere Tätigkeitsfelder jenseits der Wissenschaft. Daran muss sich etwas ändern. Promovierenden-Netzwerke in Deutschland führten unter anderem deshalb 2017 eine Befragung zur Wissenschaftspolitik durch. Dabei kam unter anderem heraus, dass die AfD das WissZeitVG in seiner jetzigen Form für „eine gute Lösung“ hält [4]. Das ist ein wahrer Albtraum.

Schade ist gleichwohl, dass meist keine Zeit für Muße bleibt – etwa um im Laborjournal zu schmökern, wo auch viele der hier angesprochenen Themen bereits Eingang in streitbare Essays fanden [5].

Die freie Zeit der Forschungs- und Nachwuchsgruppenleiter ist meiner Erfahrung nach ebenfalls deutlich eingeschränkter als im beschriebenen Traum. Neben allerlei Konferenzen und Symposien kommen lauter strategische Treffen und anderweitige Veranstaltungen hinzu, die zusätzlich zu den Lehrveranstaltungen sowie Begutachtungsprozessen wenig Zeit für die eigentliche Forschung lassen. Von der Betreuung der Mitarbeiter ganz zu schweigen. Abgesehen davon werden Wissenschaftler kaum dafür gewürdigt, sich außerordentlich in Lehre, Ausbildung oder gar Wissenschaftskommunikation zu engagieren – selbst wenn sie sich die Zeit dafür nehmen.

Deshalb brauchen wir als Gesellschaft ein Umdenken. Zunächst bedarf es der Aufklärung über die tatsächlichen Arbeitsbedingungen in den Wissenschaften. Die Studierenden werden ausgebeutet. Beschäftigungsverhältnisse sind familienfeindlich. Frauen sind unterrepräsentiert. Ist Ihnen, geneigter Leser, aufgefallen, dass im Traum ausschließlich von weiblichen Wissensschaffenden (einschließlich mir selbst) die Rede war, in der Nachbetrachtung hingegen von männlichen? Unter anderem dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen.

Der gesellschaftliche Stellenwert der Wissenschaften in Deutschland sollte aber insgesamt deutlich angehoben werden. Die Voraussetzungen für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Wissenschaften wären dann gegeben. Das System ist keineswegs schlecht. Im Gegenteil.

Als wir in der Grundschule einmal Poesie-Alben ausfüllen sollten, gab es dort die Frage nach dem persönlichen Traumberuf. Meine Klassenkameraden schrieben: „Feuerwehrmann“, „Polizist“, „Traktorist“, „Koch“. Mein Eintrag lautete: „Wissenschaftler“. Dabei kannte ich nicht mal einen Menschen, der in der Wissenschaft tätig war. In meiner Familie hatte überhaupt noch nie jemand studiert. Mein Bild eines Wissenschaftlers entstammte damals den Comic-Büchern, die ich zu der Zeit las.

Als ich während des Studiums schließlich zum ersten Mal ein Labor betrat, wurde (m)ein Traum wahr. Ich konnte eigene Versuche durchführen, um Dinge herauszufinden, die schlichtweg noch unbekannt waren. Man hätte alle Lehrbücher und wissenschaftlichen Veröffentlichungen dieser Welt lesen können, und hätte vor meinen Versuchen dennoch nicht gewusst, wie sich die von mir getesteten Medikamente auf die Blutzellen auswirken. Zwar ist das nur ein kleiner Teil unseres gemeinschaftlichen Kampfes gegen den Krebs, aber immerhin kann ich etwas beitragen.

Für mich ist es traumhaft, dass in den Wissenschaften diese Freiheitsgrade existieren, damit man sich seiner Passion verschreiben kann. Man wird Teil einer Gemeinschaft, in der alle diese Neugier und den Forscherdrang teilen. Und obwohl diese Gemeinschaft bestimmte Werte eint, ist sie wunderbar vielfältig. Es gibt nicht den einen Weg zur Erkenntnis. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir in den Wissenschaften ein Leben lang miteinander und voneinander lernen.

Übrigens: Das im Traum geschilderte Forschungsprojekt existiert wirklich und wurde mittlerweile frei zugänglich in einem anerkannten wissenschaftlichen Journal veröffentlicht [6]. Dies zeigt an, dass tatsächlich ideale Berufe innerhalb der Wissenschaften geschaffen werden können. Es liegt an uns. Gemeinsam können wir diesen Traum wahr werden lassen.


Referenzen


[1] https://www.nature.com/naturejobs/science/articles/10.1038/nj7677-549a (8.6.2018)
[2] https://www.springer.com/de/book/9783642377853 (8.6.2018)
[3] https://timoast.github.io/2017/10/04/biorxiv-2017-update/ (8.6.2018)
[4] https://www.phdnet.mpg.de/31169/BTW2017-Parteien_zur_Wissenschaftspolitik.pdf (8.6.18)
[5] https://www.laborjournal.de/rubric/essays/index.php (8.6.18)
[6] http://msb.embopress.org/content/13/1/904 (8.6.18)


Zum Autor

Lorenz Adlung studierte Systembiologie in Heidelberg und promovierte dort am Deutschen Krebsforschungszentrum. Mittlerweile ist er Wissenschaftler am Weizmann-Institut in Israel. Lorenz ist bekannt als Wissenschaftsenthusiast und rappt gelegentlich über seine Forschung.


Letzte Änderungen: 03.07.2018