Editorial

Brennen für die Wissenschaft

Von Anna Müllner, Heidelberg


Essays

(03.07.2018) Fake News verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Doch es gibt eine Möglichkeit, den Brand einzudämmen: Aufklärung und Transparenz. Wissenschaftler sollten ihr Smartphone also öfter mal zur Hand nehmen, um die Außenwelt in ihren Forscheralltag eintauchen zu lassen.

Als Biologin hat man es nicht leicht. Von Zeit zu Zeit fühle ich mich komplett allein gelassen mit meinem Wissen, dem entgegen zahlreiche moderne Märchen und Halbwahrheiten stehen. Etwa wenn ein Kollege mir sagt, dass die Quantenverschränkung die Wirkweise der Homöopathie belegen werde, aber auch, wenn die Frau meines Cousins besorgt berichtet, dass in einer Dokumentation auf arte Impfungen als schädlich für Kinder präsentiert werden. Wenn die Mutter einer Freundin mir überzeugt erzählt, dass menstruierende Frauen keine Sahne steif schlagen können, weiß ich darauf keine Antwort, die nicht zynisch klingen würde.

Vielleicht ist es irgendein Euphemismus, den ich nicht verstehe, aber auf jeden Fall ist alles davon faktisch und sachlich falsch. Wenn ich versuche zu erläutern, warum diese Mythen falsch sind, stoße ich auf taube Ohren. „Aber vielleicht ist ja doch was dran“, „Es gibt einfach mehr Dinge zwischen Himmel und Erde“ und ähnliche Antworten erschweren die Diskussion. Im Grunde sollte man angesichts dieser Ignoranz resignieren – oder?

Lange haben Wissenschaftler in dem sagenumwobenen Elfenbeinturm gelebt, bis irgendwann Pressestellen begannen, auch mal darüber zu berichten, was im Inneren des mystischen Bauwerkes geschah. Dieser Auszug schien und scheint vielen bis heute zu genügen. Irgendjemanden muss man halt haben, der sich um dieses Journalistenpack kümmert und lästige Fragen beantwortet. Doch es tut sich viel in der Wissenschaftskommunikation, auch „Wisskomm“ oder „Scicomm“ genannt. Es ist, als formiere sich der Widerstand gegen das Unwissen. Doch Lügen gehen um die Welt, ehe die Wahrheit ihre Stiefel angezogen hat, und so kommt die Wisskomm spät, behäbig und in viel zu geringer Zahl hinterhergehumpelt.

Menschen lassen sich und ihre Kinder nicht mehr impfen, trinken „Mondwasser”, ernähren sich ohne Not glutenfrei, akkumulieren Orgon und streichen Barcodes durch, weil sie es irgendwo im Internet aufgeschnappt haben. Schon Abraham Lincoln sagte ja bekanntlich, dass man Zitate aus dem Internet nicht einfach glauben solle. Trotzdem fallen immer wieder tausende Menschen auf die Lügen und verqueren Vorstellungen selbsternannter Gurus herein. Das ist zwar seit jeher so, aber durch das Internet scheinen diese fehlgeleiteten oder schlicht falsch informierten Menschen immer mehr zu werden. Sie sind gut organisiert und sehr präsent.

Warum ist das so? Fake News erwecken Emotionen und sind leicht verständlich. Wissenschaft dagegen ist von Natur aus sachlich und komplex. Fakes mit Fakten zu bekämpfen, ist, wie mit einem Zweijährigen zu diskutieren. Verschränkungen mit Verschwörungstheorien erschweren das Ganze noch. Die Annahme, dass alles um uns ein abgekartetes Spiel ist, dass „die da oben“ alles lenken, liegt immer nahe.

Man kann Fake News und Verschwörungstheorien eigentlich sehr einfach dekonstruieren. Aufgrund der Fülle an Falschinformationen und deren schneller Verbreitung ist das allein jedoch bereits ein Kampf gegen Windmühlen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in die Filterblase der Fake-News-Verbreiter vordringt, ist extrem gering. Die Wahrscheinlichkeit, die Fake News in der eigenen Filterblase zu verbreiten und somit unfreiwillig zu streuen, ist dagegen relativ hoch – auch, wenn man sie dadurch eigentlich dementieren wollte.

Der Impf-Lügner Andrew Wakefield veröffentlichte im Jahr 1998 ein Paper, welches belegen sollte, dass Masernimpfungen Autismus auslösen würden. Obwohl die Fälschung belegt, die Veröffentlichung zurückgezogen und Wakefield die Approbation entzogen wurde, werden noch heute Studien durchgeführt, die seine gefälschten Ergebnisse widerlegen. Dass Masernimpfungen nicht zu Autismus führen, ist nun felsenfest und fehlerfrei belegt – dennoch glauben Menschen weiter daran. Warum sollte man Wakefield sonst so vehement bekämpfen? Unwissen wissenschaftlich zu widerlegen, bedeutet für viele Menschen, die falsche Information als eine plausible Hypothese heranzuziehen.

2013 verfasste ich meinen allerersten Blog-Post. Ich dachte, wenn wir Wissenschaftslaien ernst nehmen und ihnen Probleme verständlich darlegen, würden sie mit der Zeit mehr Vertrauen in die Wissenschaft haben. Die Grundannahme war jene, dass man, solange jeder Quacksalber seine Thesen ins Internet schreiben kann, einen bedeutend schwereren Gegenpol brauche. Das funktioniert zumindest dann, wenn wir es schaffen, dass Menschen Inhalte hinterfragen und durch Medienkompetenz Informationen im Netz als plausibel und vertrauenswürdig einzustufen lernen.

Aber dürfen wir erwarten, dass sich Lieschen Müller in jedes Thema freiwillig hineindenkt und Quellenanalyse betreibt? Können wir es jemandem wirklich zumuten, sich aus Eigeninitiative in ein Thema, welches wir selbst jahrelang studiert haben, einzulesen und dieses zu verstehen? Das funktioniert vielleicht punktuell und in gewissen Zusammenhängen, aber nicht im Alltag. Muss ich wissen, wie ein Otto-Motor funktioniert, um Auto zu fahren? Nein, ich brauche eigentlich nur genug Vertrauen in meine Autoschrauberin. Woher kann ich aber wissen, dass sie mich nicht übers Ohr haut?

Neben Prüfsiegeln und Regulation ist das einzige Mittel gegen Betrug und für Vertrauen Transparenz. Um beim Gleichnis des Autos zu bleiben: Ich muss einfach die Möglichkeit haben, jederzeit meiner Schrauberin über die Schulter zu blicken und zu schauen, welche Teile sie weshalb austauscht. Ich habe zwar so viel Ahnung von Autos wie Fische von Fahrrädern, obwohl ich eine gute Fahrerin bin, aber wenn sie mir die Teile zeigt, dann nicke ich wissend und murmle „Ja, war wohl nötig.“ Es geht gar nicht darum, zu kontrollieren, sondern darum, jederzeit nachschauen zu können, einen Einblick zu erhalten und Antworten auf Fragen zu bekommen. Das ist Transparenz.

Systematische Ansätze zu Transparenz gibt es schon, sie nennen sich Open Science und Open Access. Open Access ist heute schon weit verbreitet – Publikationen werden unentgeltlich online zugänglich gemacht. Das könnte man so weit treiben, dass es keine Verlage als Mittelsmänner mehr braucht. Open Science kann so weit gehen, dass man die eigene Forschungsarbeit komplett online stellt. Oder dass man einer Publikation alle Rohdaten beilegt.

Da läuft vielen sicher schon der Schauer über den Rücken, weil es das System, so wie es jetzt ist, auf den Kopf stellen würde. Was, wenn die Konkurrenz einen Fehler findet oder die Idee klaut? Das ist in der heutigen Lage problematisch – in Zukunft jedoch könnten wir Wissenschaft auch endlich als gemeinsames Anliegen der Welt anerkennen und zusammenarbeiten. Schließlich sind die Daten eines Papers eigentlich als Diskussionsgrundlage und nicht als unumstößlicher Fakt gedacht. In der Informatik wird übrigens schon lange der Code Open Source online gestellt und von anderen geprüft und weiterentwickelt.

Open-Ansätze schaffen zwar Transparenz, aber sie erreichen die Konsumenten eigentlich nicht. Sicherlich finden es auch Bürgerinnen und Bürger gut, dass die steuerfinanzierte Forschung theoretisch zugänglich ist. Praktisch ist sie das natürlich gar nicht. Englischsprachiges Forschergeschwurbel über seltsame Akronyme – da arbeiten sich nicht mal Fachleute freiwillig durch.

Zurzeit erfreuen sich stattdessen „Science Slams” großer Begeisterung. Vor ausverkauften Hallen bringen Wissenschaftler ihre Forschung meistens irgendwie witzig auf den Punkt. Manchmal ist es aber nur der pointierte Klamauk, der rüber- und gut ankommt. Auf Slams, bei denen ich selbst zugegen war, wurde der Redeslot auch schon einmal für Verschwörungstheorien missbraucht, oder bestimmte Sachverhalte wurden auf bedenkliche Art und Weise vereinfacht. Hinzu kamen einige Vorträge, die nicht mal im weitesten Sinne die eigene Forschung zeigten, sondern nur aus etwas Internet-Recherche mit schönen Powerpoint-Effekten bestanden.

Seriöse Wissensanbieter, wie zum Beispiel die Pressestellen von Instituten, sind zwar offen zugänglich, aber immer noch gedacht und geschaffen für Journalisten. Diverse Forschungseinrichtungen versuchen sich daher in neuen Methoden der „Wisskomm“ – über Blogs, Podcasts und Social Media. Der Resonator-Podcast der Helmholtz-Gesellschaft oder der Twitter-Account „realScientist“ sind da Vorreiter.

Auch einzelne Wissenschaftler kommunizieren über ihre Podcasts, Youtube, Blogs unter den Hubs „Science Blogs“ und „Scilogs“. Oft wird der Ruf laut, Wissenschaftler sollten noch tiefgehender und mehr ihre Arbeit kommunizieren. Dabei wird vergessen, wie viel Zeit man dafür benötigt. Ein Blogbeitrag – bei dem man recherchieren muss – dauert bei mir schon mal zwischen vier und acht Stunden. Ein Podcast bei mir etwa sechs – nach langer Einlernphase. Bei Videos kommt es vor allem auf den Aufwand an. Für einen Science Slam bin ich meistens den ganzen Abend weg, muss früher von der Arbeit gehen und komme erst weit nach Mitternacht heim. Wir sind keine Entertainer, keine gelernten Autoren, die wenigsten von uns Medienprofis.

Nehmen wir einmal an, dass ein ganzer Arbeitstag dabei draufgeht, eine Portion Wissenschaft zu kommunizieren, die dann halbwegs ansprechend und interessant ist. In der sowieso schon lose gehandhabten Arbeitszeit der öffentlichen Forschung ist das kaum noch unterzubringen. Als reines Hobby ist es meiner Erfahrung nach sehr anstrengend und erfordert viel Disziplin. Es müssen also entweder Freiräume dafür geschaffen werden oder man sorgt für eine angemessene Unterstützung.

Es gibt vielleicht einen einfacheren Weg, Wissenschaft für alle zugänglich zu machen. Gerade mit Sozialen Medien wie Facebook, Twitter, Instagram oder Snapchat. Warum nicht häufiger mal direkt von der Arbeit berichten? Selbst wenn es nur den Freundeskreis erreicht – beziehungsweise, gerade wenn es nur den Freundeskreis erreicht. Neben Transparenz schafft auch die emotionale Bindung zur Kommunikatorin Vertrauen.

Von den Influencern auf Instagram kann man sich dabei einiges abschauen. Diese lassen immer auch Persönliches mit in ihre Posts einfließen. Echte Wissenschaft hautnah zeigen, vielleicht kurz erklären, was man da macht, und so den Vorhang ein wenig lüften. Dabei kann man auch zeigen, was für Menschen hinter der Wissenschaft stecken. Welche Interessen haben sie, wieso haben sie sich für die Wissenschaft entschieden und warum begeistert sie die Forschung so? Der Mix aus Fachwissen und so viel Privatem, wie man zeigen möchte, macht nahbar. Ein paar Snaps, Instas oder Tweets zwischendrin gehen schnell, verbinden und machen ganz nebenbei auch verdammt viel Spaß! Und Likes für die eigene Arbeit sind Balsam für die Seele in den harten Zeiten.

Apropos harte Zeiten: Auch Misserfolge gehören zur Forschung und machen sie glaubhaft! Hässliche Western Blots, leere FACS-Plots oder ein zerschrumpeltes Gel sind manchmal genauso spannend wie hübsche, bunte Zebrafischchen. Sie zeigen Authentizität.

Kleine Einblicke in die Wissenschaft, schnell geknipst mit dem Handy, verdeutlichen, dass hinter den Ergebnissen viel Arbeit steckt. Vielleicht erwecken sie die Neugierde: Man muss nicht alles glauben, man kann auch selbst entdecken.

Wenn dann überall viele kleine Feuer der Wissenschaft brennen, können wir vielleicht mit vereinter Kraft Licht ins Dunkel bringen. Und wer weiß, vielleicht inspiriert es ja den ein oder anderen, selbst den Weg der Forschung einzuschlagen.


Zur Autorin

Anna Müllner ist Biologin und promovierte 2015 an der Universität Heidelberg. Sie arbeitet seitdem als Wissenschaftskommunikatorin, bloggt nebenher und geht als Science Slammerin auf die Bühne.


Letzte Änderungen: 03.07.2018