Editorial

Gefühltes Wissen – eine Gefahr für die Demokratie

Von Ludger Weß, Hamburg


Essays
Foto: iStock / Csaba Toth (bearbeitet)

(03.07.2018) Fast über Nacht verwandelten sich im letzten Jahr tausende Menschen in Experten für Toxikologie, Epidemiologie und Co. Sie alle glaubten zu wissen, dass und warum Glyphosat verboten werden muss. Es spielte keine Rolle, für was sie das Herbizid fälschlicherweise hielten – was zählte, waren die Gefühle. Der Populismus vergiftet das politische Klima und die Gesellschaft. Was sind die Konsequenzen?

Es ist gut, sich von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass unsere Demokratie auf den zentralen Elementen Vernunft und Wissen sowie der Überzeugung beruht, dass die Menschen nur so von Vorurteilen und Aberglauben befreit werden können. Das war im allergrößten Teil der Menschheitsgeschichte nicht selbstverständlich. Zwar ist auch heute noch jeder Mensch frei, an Magie, Götter und Hexen, Seelenwanderung oder Astrologie zu glauben und sein Leben danach auszurichten, aber die gesellschaftliche und staatliche Ordnung beruht nicht auf Glauben, sondern auf überprüfbaren Fakten und der Anwendung von Vernunft. Das gilt auch dann, wenn lautstarke Minderheiten etwas anderes einfordern, etwa die Behandlung der biblischen Schöpfungslehre im Biologieunterricht.

Aus diesem Grund gilt auch, dass alle Entscheidungen über Fragen, die die Sicherheit und Gesundheit von Mensch und Umwelt betreffen, nach wissenschaftlichen Kriterien getroffen werden. Neue Technologien, Arzneien oder Chemikalien beurteilen wir anhand von überprüfbaren Fakten und nicht durch Auspendeln, anekdotische Evidenz oder Berufung auf Glaubenssätze („Der Mensch darf nicht Gott spielen!“). Die Risikobewertung beruht dabei auf der Sammlung und Sichtung aller vorhandenen Forschungsergebnisse sowie Daten und dient anschließend der Politik für Entscheidungen über das Management etwa vorhandener Risiken.

Doch das Prinzip, nachprüfbare Fakten und verfügbares Wissen zur Grundlage von Entscheidungen und öffentlicher Ausgaben zu machen, erodiert in Europa mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Je mehr unsere Gesellschaft durch Technik und Wissenschaft dominiert und damit komplexer wird, umso größer wird offenbar die Sehnsucht nach einfachen Erklärungen. Orientierungspunkt ist heute die „Natur“. „Naturbelassene Nahrung“, „Naturheilkunde“ und das „natürliche Durchmachen von Kinderkrankheiten“ sind Trumpf. Natur ist für viele Menschen die sanfte und bessere Alternative zu den „Chemiekeulen“ aus den Labors der Weißkittel, die den Atomen unnatürliche Bindungen aufzwingen und damit Stoffe erschaffen, die „die Natur“ nicht kennt und deshalb nicht verträgt.

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Wissenschaftlich-medizinische Expertise und Fachinstitutionen gelten in der öffentlichen Meinung immer weniger; selbsternannten Experten, die wissenschaftliche Erkenntnisse oder sogar Naturgesetze in Zweifel ziehen und einfache, „natürliche“ Lösungen anbieten, wird immer mehr Gehör geschenkt, nicht nur in den Medien. EU-Bürger erhalten inzwischen Steuermittel, um sich zum Astrologen umschulen zu lassen. Krankenkassen erstatten Therapien, denen jeder Evidenznachweis fehlt. Universitäten und Hochschulen bieten Lehrveranstaltungen und Studiengänge in Geomantie, Homöopathie und biodynamischer Landwirtschaft an, bei der zum Beispiel die Aussaat nach der Konstellation von Mond und Planeten erfolgt. Allein in Deutschland gibt es weit mehr als ein Dutzend Hochschulen mit pseudowissenschaftlichen Lehr- und Forschungsangeboten. Vor kurzem wurde sogar bekannt, dass ein öffentlicher Bau in einer europäischen Hauptstadt mit Steuermitteln „energetisch entstört“ wurde.

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Verschwendung von Steuermitteln für derlei Unsinn ist schlimm. Wesentlich schädlicher – weil demokratiefeindlich – wiegt jedoch die mit dieser Abwendung von Wissenschaft einhergehende Aufweichung von wissenschaftlicher Beratung und Bewertung neuer Technologien. Organisationen ohne jede demokratische Legitimierung, aber mit einer klaren Agenda gegen Industrie, Forschung und Welthandel mischen sich ein. Sie nutzen die Skepsis und Aversion in der Bevölkerung, schüren sie und erwecken den Eindruck, noch nie in der Geschichte der Menschheit sei es schlimmer um die Umwelt und die Gesundheit der Menschen bestellt gewesen. Schuld sind in diesem Narrativ Kapitalismus, Industrie und Welthandel, die den Planeten rücksichtslos vergiften und Umwelt und Nahrung vollständig „chemisiert“ haben. Hierin liegt angeblich die Ursache für alle Leiden – von A wie Autismus, Allergien und Alzheimer, über Krebs bis Z wie Zika-Virus, das als Folge gentechnischer Eingriffe in die Natur ausgegeben wird. Scharlatane und Ablasshändler stehen dem verunsicherten Publikum mit Rat und Tat zur Seite. Manche verkaufen Diäten, Nahrungsergänzungsmittel und Pseudokuren, andere – meist assoziiert mit der Öko-Industrie – propagieren Bioprodukte („gesünder für Mensch und Umwelt!“) und sammeln Spenden ein, um „Monsatan“, der Agrochemie und den „Tierquälern“ in Forschung und Landwirtschaft den Garaus zu machen. Die PayPal-Überweisung an Greenpeace und die Unterschrift unter eine Campact-Petition vermitteln Bürgern dabei das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. So konnten populistische Kampagnen erschreckende Erfolge erzielen.

Beispiele gibt es genug: Unter dem Trommelfeuer von Vereinen wie Greenpeace oder Friends of the Earth, die niemand gewählt oder beauftragt hat, die sich selbst aber als „Vertretung der Zivilgesellschaft“ apostrophieren und über Millionenetats für Werbung und Agitation verfügen, knickte die EU-Kommission 2014 ein und schaffte die Position des EU-Chief-Scientific-Advisors (CSA) ersatzlos ab. Der Grund: Die amtierende Ann Glover hatte sich in ihrer Beratung auf die wissenschaftliche Evidenz gestützt und die Erforschung und Anwendung moderner Methoden der Pflanzenzucht unterstützt. Das trug ihr den Vorwurf ein, ein U-Boot der „Gen-Industrie“ zu sein und führte zu massiven Protesten international agierender Vereine, die Gentechnik ablehnen.

Deren vehemente Opposition gegen „Genmanipulation“ hat darüber hinaus zu einer einmaligen Situation geführt: Zahlreiche „Genpflanzen“ (als ob nicht alle Pflanzen Gene hätten!) sind in Europa zugelassen, dürfen aber dennoch in den meisten Mitgliedsländern nicht angebaut werden. Die wissenschaftliche Bewertung durch die zuständigen Einrichtungen der EU hat bei allen bislang zur Zulassung eingereichten Pflanzen klar ergeben, dass Anbau und Konsum für Mensch und Umwelt sicher und unbedenklich sind – mehr noch: Ihr Anbau brächte erhebliche ökologische und gesundheitliche Vorteile. Die Kolben des so genannten Bt-Maises etwa, der selektiv Fressfeinde schädigt, sind signifikant weniger von Schimmel befallen, dessen Produkte gesundheitsgefährdend sind. Und allein der Anbau dieses insektenresistenten Maises könnte das Ausbringen Tausender Tonnen Insektizide einsparen und damit Milliarden von Insekten in Europa vor dem Tod bewahren. Dennoch ist der Mais bei den Organisationen, die doch Gesundheit und Umwelt schützen wollen, verhasst. Der Grund: Die Insektenresistenz geht auf Industrieforschung zurück und wird als Symbol für eine Landwirtschaft genommen, die von den Aktivisten in Bausch und Boden abgelehnt wird. Hinzu kommen religiöse und sinnfreie Begründungen: Gentechnik sei „unnatürlich“ (dabei nutzt Gentechnik natürlich vorkommende Mechanismen), ein „Eingriff in die Schöpfung“ (was auf nahezu alle menschlichen Tätigkeiten zutrifft und impliziert, dass es einen Gott gibt, der die Natur geschaffen hat und seither verwaltet) und die Gentechnik-Pflanzen seien „nicht rückholbar“ (was auch auf alle durch konventionelle Zucht geschaffene Pflanzen zutrifft).

Da es für das Anbauverbot keine wissenschaftlichen Argumente gibt, hat die EU unter dem Druck der Populisten eine „Opt-Out“-Regelung geschaffen, die es einzelnen Mitgliedsstaaten ermöglicht, den Anbau auf ihrem Territorium aus „sozioökonomischen, landwirtschaftspolitischen oder kulturellen“ Gründen zu untersagen. Damit wurde das nahezu vollständige Ende der Anwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft in Europa besiegelt.

Beispiellos war auch die eingangs erwähnte Kampagne gegen die Wiederzulassung des Herbizids Glyphosat, das bereits vier Jahrzehnte angewandt wurde, ohne dass es dagegen irgendwelche Widerstände gegeben hätte. Geschürt wurde sie von weltweit etwa fünfzig Aktivisten, die den „Kampf gegen Glyphosat“ als Kraftprobe begriffen, um der konventionellen Landwirtschaft ein wichtiges Produktionsmittel zu nehmen und den Anbau der verhassten Glyphosat-resistenten „Gensoja“ endlich stoppen zu können. Diesem überschaubaren Kreis gelang es, den Entscheidungsprozess der EU mehr als zwei Jahre zu blockieren und führte schließlich dazu, dass die Zulassung nur um fünf Jahre verlängert wurde.

Dabei war die Meinung der Scientific Community eindeutig: Glyphosat ist bei sachgerechter Anwendung sicher, umweltverträglich und im Vergleich zu anderen Methoden der Unkrautentfernung schonender für Böden und Bodenlebewesen.

Den Aktivisten gelang es, den wissenschaftlichen Bewertungsprozess als von der Industrie gekapert darzustellen. Mehr noch, respektierte europäische Einrichtungen wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die Europäische Chemikalienagentur (ECHA )und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) denunzierten sie als gekauft und beschuldigten sie des Plagiats von Industriestudien. BfR-Mitarbeiter erhielten daraufhin Morddrohungen, leitende Beamte benötigten Personenschutz und der EFSA wurde eine Briefbombe zugeschickt. Im Verein mit grünen Politikern boten die Glyphosat-Gegner Gegenexperten auf, deren Alternativstudien sich auf zweifelhafte Methoden und dubiose Finanzierungsquellen stützen, darunter Stiftungen und Handelsketten des Biolandbaus sowie ein Homöopathie-Hersteller, der praktischerweise Mittel zur „Entgiftung“ von Pflanzenschutzmittelrückständen in der Nahrung verkauft.

Eine Petition, die dank großer medialer Begleitung schließlich etwas mehr als eine Million Unterschriften „gegen Glyphosat“ zusammenbrachte, erweckte den Eindruck, dass die große Mehrheit der Europäer eine Zulassungsverlängerung ablehnte. Tatsächlich machten aber die Unterzeichner nicht einmal ein halbes Prozent der europäischen Bevölkerung aus.

Als am Ende der Vorwurf in sich zusammenbrach, Glyphosat sei womöglich Schuld an einer angeblich weltweit rasch steigenden Zahl von Krebsfällen, wurde Glyphosat zum „Artenkiller“ apostrophiert – ungeachtet der Tatsache, dass jede Form von Landwirtschaft und Gartenbau ebenso wie der Bau von Straßen und Siedlungshäuschen Biodiversität vernichtet. Wenn die Futterpflanze fehlt, ist das zugehörige Insekt nicht mehr da, ganz unabhängig davon, ob diese Pflanze mit der Hand, mit dem Pflug, durch Glyphosat oder durch Zubetonieren entfernt wurde.

Wer meint, schlimmer könne es kaum noch kommen, sollte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs studieren, das im Januar 2018 erging. In dem Fall ging es um den Zusammenhang zwischen einer Impfung und dem Ausbruch der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose. Der beklagte Pharmahersteller wies den unterstellten Zusammenhang zurück und berief sich unter anderem auf die medizinisch bekannte Tatsache, dass dem Ausbruch einer Multiplen Sklerose jahre- bis jahrzehntelange Krankheitsprozesse vorausgehen und die Erkrankung nicht durch ein singuläres Ereignis plötzlich ausgelöst werden kann. Das Gericht urteilte jedoch, „ein ursächlicher Zusammenhang könne bei nicht vorhandenem wissenschaftlichem Konsens durch ein Bündel ernsthafter, klarer und übereinstimmender Indizien bewiesen werden.“ Hierzu rechnete es die zeitliche Nähe zwischen dem Ereignis – also der Impfung – und dem Auftreten der Krankheit, aber auch fehlende Vorerkrankungen. Es verurteilte das Pharmaunternehmen zu Schadenersatz.

Manche Juristen sind der Auffassung, das Urteil sei auch auf andere unterstellte Zusammenhänge anwendbar – etwa dem Verzehr Pestizid-belasteter Nahrung auch unterhalb zulässiger Grenzwerte und einer Krebserkrankung. Stimmt diese Auffassung, kann es in Zukunft nicht mehr notwendig sein, wissenschaftlich zu belegen, dass eine Erkrankung durch einen bestimmten Stoff verursacht wurde, um Schadenersatz oder Verbote zu erstreiten. Man muss den Zusammenhang nur hinreichend glaubhaft machen, etwa durch zeitliche Nähe und/oder fehlende Vorerkrankungen und Risikofaktoren: post hoc, ergo propter hoc.

Aufrütteln sollte auch, dass unlängst eine Anti-Gentechnikvereinigung in den Stand eines offiziellen Beraters der Bundesregierung erhoben wurde. Der von einem ehemaligen Greenpeace-Campaigner gegründete Münchener Verein, in dem eine Handvoll Menschen zumeist ehrenamtlich arbeitet, hat zahlreiche Auftragsgutachten für grüne Politiker und Biolandbauvereinigungen, aber nicht eine wissenschaftliche Publikation zum Themenkomplex Gentechnik, Pflanzenzucht oder Genome Editing vorzuweisen. Dennoch wurde ihm Aufbau und Leitung einer „Fachstelle Gentechnik und Umwelt“ übertragen, die gemeinsam mit einem „Beirat aus zivilgesellschaftlichen Organisationen“ aktuelle wissenschaftliche und regulatorische Entwicklungen für das Bundesumweltministerium beziehungsweise das Bundesamt für Naturschutz beobachten und analysieren soll. Als „unabhängige (!) Clearingstelle“ soll die Fachstelle dabei auf Entscheidungsprozesse, etwa hinsichtlich der Regulierung der neuen Gentechnikverfahren, auf die Zulassungspraxis der Behörden oder auf Forschungsprojekte Einfluss nehmen. Eine ablehnende Haltung allen neuen Technologien gegenüber wird schon durch die Zusammensetzung des Beirats garantiert. Ihm gehören ausnahmslos Organisationen an, die mehrheitlich der Biolandbau-Lobby zuzurechnen sind, und die ohne Ausnahme bereits seit Jahren gegen die neuen Züchtungstechniken protestieren. Da es technisch unmöglich sein wird, zwischen einer neuen Pflanzensorte, die durch Genome Editing gezüchtet wurde und einer, die durch konventionelle Mutation entstand, zu unterscheiden, plädieren sie für ein totales Verbot dieser Technik. Damit nicht genug: Fernziel ist es, der Landwirtschaft nur noch die Verwendung von Saatgut aus zertifizierten Ökosaatgutbetrieben zu erlauben. Einige der Beiratsmitgliedsorganisationen propagieren schon seit geraumer Zeit die Abkehr von als „unnatürlich“ empfundenen Hybridsorten und von Sorten, die aus Mutationszucht hervorgegangen sind.

Das Modell sehen Aktivisten als ersten Schritt auf dem Weg in ein verändertes Zulassungsverfahren, bei dem Studienergebnisse der Industrie nicht mehr berücksichtigt werden sollen. Stattdessen sollen Firmen, die neue Pflanzenschutzmittel, Chemikalien und so weiter auf den Markt bringen wollen, in einen Fonds einzahlen, mit dessen Mitteln „zivilgesellschaftliche Organisationen“ Studien durchführen, die über die Zulassung entscheiden.

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Gegenwehr gibt es kaum noch, zumal – wie das Verhalten der meisten Parteien im Fall Gentechnik oder Glyphosat gezeigt hat – von der Politik keine Unterstützung zu erwarten ist. Handelsketten haben sich längst arrangiert. Rewe International AG überweist den Aktivisten von Global2000 (der österreichischen Schwesterorganisation des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND) schon seit 2003 Jahr für Jahr größere Summen; 2013 waren es 600.000 Euro, etwa ein Drittel des damaligen Global2000-Budgets. Für das Geld sind 15 „Agrarexperten“ der Lobbyvereinigung damit beschäftigt, das Obst- und Gemüseangebot von Rewe nach Global2000-Kriterien zu kontrollieren. Auch die Caritas, die sich gegen Gentechnik und konventionelle Landwirtschaft positioniert, darf bei Rewe mitmischen. Andere Handelsketten arbeiten mit Greenpeace oder dem World Wide Fund For Nature (WWF) zusammen. Molkereien erklären ihre Milchprodukte, ebenfalls in bezahlter Zusammenarbeit mit Aktivisten, für „gentechnikfrei“, obwohl es bislang keine gentechnisch veränderten Rinder gibt. Die Kooperationen verhelfen den Aktivisten zu erheblichen Einnahmen und stellen gleichzeitig sicher, dass die Unternehmen nicht mit Kampagnen überzogen werden; die Kosten zahlen Landwirte, Lieferanten und Verbraucher.

Große Saatguthersteller wiederum arbeiten weiter mit modernen Methoden der Pflanzenzucht, einschließlich Gentechnik und Genome Editing, haben aber Europa als Markt längst aufgegeben. Sie verzichten in der EU nicht nur auf Zulassungsanträge, sondern auch auf Freisetzungsexperimente, nachdem Aktivisten unter dem Motto „Gendreck weg!“ regelmäßig Versuchsfelder und Gewächshäuser zerstörten und dafür bei den Gerichten wiederholt viel Verständnis fanden.

Wer die sozialen Medien verfolgt, kann derzeit beobachten, wie selbstsicher vor allem grüne Politiker gegenüber Pflanzenforschern auftreten, die sich nach zaghaften Überlegungen des neuen Grünen-Vorstands, die bisherige Ablehnung von Gentechnik und Genome Editing zu überprüfen, Hoffnungen auf eine Debatte machten. Doch die findet nicht statt. Einladungen in die Institute werden brüsk abgelehnt. Forscher, die Genome Editing oder Gentechnik befürworten, müssen erleben, dass ihnen grüne (ex)-Parlamentarierinnen übers Maul fahren („Und Sie wollen Wissenschaftler sein?“) und ihnen unterstellen, käuflich oder gewissenlos zu sein. Besonders hartnäckige Frager oder Forscher, die Mythen und Pseudostudien widersprechen, sehen sich infamen Unterstellungen ausgesetzt („Sind Sie rechtsextremistisch?“) und werden kurzerhand gesperrt. So handeln sonst nur Sekten, die sich im Besitz absoluter Wahrheiten glauben.

Für die Demokratie ist das ein schlechtes Zeichen. Wenn solche Kräfte die Oberhand gewinnen, wird bald auch in anderen Bereichen nicht mehr nach Vernunft und Wissen, sondern nach Emotion und gefühlten Wahrheiten entschieden. Das treibt nicht nur Forscher ins Exil, sondern legt die Axt an die Grundfesten einer demokratischen Gesellschaft, die ohne Vernunft und Wissen nicht möglich ist.



Zum Autor

Ludger Weß studierte Biologie sowie Chemie an der Uni Münster und arbeitete anschließend als Molekularbiologe an der Uni Bremen. In den Achtzigerjahren begann er regelmäßig als Wissenschaftsjournalist zu schreiben. Weß ist auch Romanautor.


Letzte Änderungen: 03.07.2018