Editorial

"Mehr Licht"

Wie kommt der Wissenschaftler zum Kabarett?

Von Helmuth Jungwirth, Graz


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Ließen die Science Busters 2007 „urknallen“: Kabarettist Martin Puntigam (m.) und die Physiker Werner Gruber (l.) und Heinz Oberhummer (r.) Foto: agentur-o.de

(12.07.2016) Seit 2007 gibt es die „Science Busters“, ein Wissenschaftskabarett, das mit Bühnenshows, Radiokolumnen, Büchern und Fernsehshows unzählige Preise gewinnen konnte – unter anderem den renommierten Deutschen Kleinkunstpreis. 2015 entschieden sich die Science Busters-Gründungsmitglieder Martin Puntigam und Heinz Oberhummmer zu einer Erweiterung des wissenschaftlichen Personals. Und wenn die Science Busters rufen, dann ist es – zumindest in Österreich – eine Ehre; diesem Ruf zu folgen. Und so stieß ich zu den Science Busters und wurde Ensemblemitglied der „ungebrochen schärfsten Science-Boygroup der Milchstraße“.

Eigentlich bin ich gelernter Mikrobiologe. Mein wissenschaftlicher Werdegang lief auch anfangs ganz nach Programm ab. Dissertation, danach Auslandsaufenthalt mit dem österreichischen Erwin-Schrödinger-Wissenschaftstipendium für Nachwuchswissenschaftler. Mein Weg führte mich dann aber doch nicht wie eigentlich geplant in die USA, sondern nur 600 km weiter nach Deutschland an die Universität Tübingen. Retrospektiv betrachtet ein Glücksfall. Zum einen lernte ich dort meine Ehefrau kennen, zum anderen bekam ich die Möglichkeit bei Frank Madeo zu arbeiten, einem der weltweit renommiertesten Altersforscher.

Immer wieder versuchte ich, meinem Vater zu erklären, woran ich forschte, so richtig verstand er es aber nie, was ich auf das mangelnde Fachwissen meines Vaters zurückführte. Nach einem Jahr veröffentlichten wir unsere Forschungsergebnisse, bei denen wir zeigen konnten, dass sich in der Hefe Saccharomyces cerevisiae Mutterzellen zum Wohle der Tochterzellen opfern. Wir konnten Altruismus in einem einzelligen Organismus nachweisen (1). Diese Ergebnisse wurden zudem in der Sendung „Abenteuer Forschung“ präsentiert und so erklärt, dass auch mein Vater verstand, worum es ging. Mir wurde schlagartig klar, dass es nicht an meinem Vater lag, sondern vielmehr ich ganz einfach nicht in der Lage war, ihm meine wissenschaftliche Arbeit verständlich zu kommunizieren. Das war mein intrinsischer Schlüsselreiz, mich auf dem Gebiet der Wissensvermittlung und Wissenschaftskommunikation weiterzubilden.

Nach meiner Habilitation wurde ich mit der Etablierung eines molekularbiologischen Mitmachlabors für Schüler, dem „Offenen Labor Graz“, betraut. Eine spannende Aufgabe, aber in den Augen einiger meiner Kollegen war dies eher ein Zeichen für das Scheitern meiner wissenschaftlichen Karriere. Zum einen, da ich mich nicht mehr mit voller Intensität der Altersforschung widmen und entsprechend publizieren konnte; zum anderen, da die Wissenschaftskommunikation im Jahre 2008 von einem Großteil der Wissenschafts-Community in Österreich nur bedingt akzeptiert wurde. In leichter Abwandlung, als Wissenschafts-PR, wurde sie bei der Einwerbung von Fördermitteln zwar als durchaus nützlich erachtet, aber als Wissenschaftsbereich, zumindest damals und in meinem Umfeld, nur von wenigen Wissenschaftlern anerkannt.

Ein beliebter Vorwurf an die Wissenschaftskommunikation – und da hat sich bis heute nichts geändert – ist, dass man komplexe wissenschaftliche Inhalte und Forschungsergebnisse für Laien einfach nicht ernstzunehmend aufbereiten könnte. Meiner Meinung nach sollte man das auch gar nicht – zumindest nicht, wenn man das Wort „ernst“ so nimmt, wie es im Duden steht. Der Duden schreibt zur Bedeutung des Wortes „ernst“ unter anderem: „von Ernst (und Nachdenklichkeit) erfüllt, nicht lachend“ (2). Meine Intention ist es jedenfalls nicht, Wissenschaft und Forschung so zu präsentieren, dass Spaß bei einem Laborbesuch vorweg ausgeschlossen wird oder über wissenschaftliche Errungenschaften nicht gelacht werden darf. Ganz im Gegenteil, ich bin vielmehr der festen Überzeugung, dass durch Spaß und Lachen die wissenschaftliche Message keinesfalls verloren gehen muss.

Das beste Beispiel in diesem Zusammenhang ist für mich die Verleihung der Ig-Nobel-Preise. Diese Preise zeichnen jedes Jahr, kurz vor der Verleihung der Nobelpreise, an der Harvard-Universität Forschungsergebnisse aus, die durchaus skurril sind und über die man lachen kann; die aber trotzdem von hohem wissenschaftlichem Wert sind. Das Motto ist einfach und erfolgreich: „Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken zu bringen.“

Und diese Preise sind nicht unwürdig oder schmachvoll, wie die Wortähnlichkeit zu ignoble (engl.) vermuten lässt. Der Ig-Nobel-Preis wird vielmehr als ein willkommener Anlass für Wissenschaftler gesehen, sich in Selbstironie zu üben. Der Physiker Sir Andre Geim ist beispielsweise nicht nur Ig-Nobel-Preisträger (3), sondern auch Nobelpreisträger für Physik (4).

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Helmut Jungwirth auf der Bühne. Foto: ORF

Es ist mir sehr wohl bewusst, dass das Wort „ernstzunehmend“ von Kritikern der Wissenschaftskommunikation auch in einem anderen Kontext verwendet wird – nämlich, dass man Wissenschaft, wenn auf Laienniveau heruntergebrochen, nicht als wissenschaftlich relevant im Sinne eines Forschers bezeichnen kann. Aber so geht es auch meinem Mechaniker, wenn er mir nach einer Jahresinspektion meines Autos erklären muss, warum er einige (teure) Relais in der hochkomplizierten Elektronik austauschen musste, und bei dieser Konversation sein Fachwissen auf mein Niveau herunterbrechen muss. Für mich geht es bei der Wissensvermittlung vor allem darum, Wissen zu verbreiten, das von Forschern generiert wird. Dieses Wissen darf nicht einem kleinen Kreis vorbehalten bleiben, sondern sollte jedem zugänglich gemacht werden. Gerade das Zitat Marie von Ebner-Eschenbachs, das sich die Science Busters als Leitspruch gewählt haben, verdeutlicht, warum das so wichtig ist: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“.

Humor ist dabei, zumindest für mich, das perfekte Werkzeug, um Menschen dazu zu bringen, sich auch nach einem harten Arbeitstag mit komplexen wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen und sich durchaus auch weiterzubilden. Jedoch bedarf es, im Gegensatz zu wissenschaftlichen Vorträgen vor einem Fachkollegium, einer anderen Dramaturgie der Vermittlung. Ein Punkt, den ich für meine Auftritte bei den Science Busters erst lernen musste und der mir teilweise noch immer Schwierigkeiten bereitet.

Würden wir etwa bei unseren Bühnenshows bereits im Titel oder innerhalb der ersten Sätze die wissenschaftliche Grundaussage preisgeben, wie es bei Kongressvorträgen der Fall ist, wäre jegliche Spannung und der damit verbundene Unterhaltungseffekt für den Zuhörer genommen. Diese Spannung muss im Wissenschaftskabarett vielmehr durch ein Frage-Antwort-Spiel zwischen dem vermeintlich ahnungslosen Kabarettisten und dem Wissenschaftler gezielt aufgebaut werden – und resultiert in Wortwitz, Pointen und letztendlich in der wissenschaftlichen Kernaussage. Dadurch wird die Wissensvermittlung entscheidend aufgelockert, ohne dabei an Wertigkeit zu verlieren – sowohl für den Zuschauer, als auch für den Wissenschaftler.

Bei einer unserer ORF-Aufzeichnungen hatte ich mal einen Blackout, ich wusste im Text nicht mehr weiter. Wäre mir das bei einem wissenschaftlichen Kongress passiert, hätte man mir vermutlich mangelnde Vorbereitung oder Inkompetenz vorgeworfen. Im Wissenschaftskabarett werden solche Fehler verziehen und meist mit Gelächter und Applaus goutiert. Jedenfalls sofern der Wissenschaftler in dieser Situation über die nötige Portion Humor und Selbstironie verfügt – eine Eigenschaft, die man für die Bühne unbedingt haben muss.

Das Engagement bei den Science Busters ist für mich immer wieder eine große Herausforderung, zumal ich die Komfortzone des gewohnten universitären Hörsaals verlasse. Dennoch freue ich mich auf jeden neuen Auftritt. Darauf, von unserem Mastermind, dem Kabarettisten Martin Puntigam, immer wieder neu in die hohe Kunst der Selbstironie, Theaterdramaturgie und des Humors eingeführt zu werden. Darauf, auf der Bühne in erstaunte und lachende Gesichter im Publikum zu blicken, wenn ich meinen Wissensbereich präsentiere. Aber auch auf den interdisziplinären wissenschaftlichen Austausch mit meinen neuen Science Busters-Kollegen, dem Astronomen und Wissenschaftsblogger Florian Freistetter und der Verhaltensbiologin Lisa Oberzaucher, die übrigens letztes Jahr für ihre Forschung mit dem Ig-Nobel-Preis ausgezeichnet wurde (5).

Helmuth Jungwirth ist Professor am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz und steht seit 2015 als Science Buster auf der Bühne



Referenzen

  1. Herker, E; Jungwirth, H; Lehmann, H; Maldener, C; Fröhlich, KU; Wissing, S; Büttner, S; Fehr, M; Sigrist, S; & Madeo, F. (2004). Chronological aging leads to apoptosis in yeast. J. Cell Biol. 164. 501-507.
  2. http://www.duden.de/rechtschreibung/ernst, 13.6.2016
  3. Berry, M & Geim, A. (1997). Of flying frogs and levitrons. Eur. J. Phys. 18 (1997) 307-313.
  4. http://www.improbable.com/, 13.6.2016
  5. Oberzaucher, E. & Grammer, K. (2015). The case of Moulay Ismael-fact or fancy? PLoS One 14;9(2):e85292.




Letzte Änderungen: 12.07.2016