Editorial

20 Jahre Laborjournal

Vorstoß in atomare Dimensionen

von Christof Cremer, Mainz/Heidelberg


(11.07.2014) Die Nanoskopie kann inzwischen Objekte auflösen, die nur wenige Nanometer auseinander liegen. Bald dürfte auch diese Grenze fallen.

Die heutige Molekularbiologie verfügt über ein breites Methodenarsenal, mit deren Hilfe die Bildung und Interaktion von Molekülen in Zellen untersucht werden kann. Beispiele sind Hochdurchsatz-Sequenzierung, DNA- und Protein-Arrays, Kristallographie und Massenspektrometrie.

Zu den Basiswerkzeugen im molekularbiologischen Laboralltag zählen aber auch immer leistungsstärkere lichtoptische Methoden. So gestattet die fluoreszenzbasierte Durchflusszytometrie eine zunehmend schärfere Trennung verschiedener Zelltypen, zellulärer Zustände und sogar kleiner Organismen. Mikroskopie-Techniken wie die konfokale Laser Scanning Fluoreszenz Mikroskopie, FCS (Fluoreszenzkorrelationsspektroskopie), FRET (Förster Resonance Energy Transfer) oder FRAP (Fluorescence Recovery after Photobleaching) ermöglichen Analysen zellulärer Details, die vor wenigen Jahrzehnten noch als Science Fiction galten.

Bis vor kurzem schien es jedoch utopisch, Strukturen lichtmikroskopisch zu erforschen, die kleiner sind als ca. 200 Nanometer oder gar einzelne, dicht benachbarte Moleküle in der Zelle, zu lokalisieren und zu zählen.

Wie Ernst Abbe (1873) und Lord Rayleigh (1896) schon Ende des 19. Jahrhunderts feststellten, ist es aufgrund der Wellenstruktur des sichtbaren Lichts unmöglich, so kleine Objekte aufzulösen (d.h. ihre Struktureinzelheiten zu erkennen). Nach den Theorien von Abbe und Rayleigh können zwei punktförmige Objekte (zum Beispiel Moleküle) nur dann einzeln lokalisiert und ihre Abstände voneinander bestimmt (aufgelöst) werden, wenn sich die von ihnen produzierten Beugungsmaxima noch getrennt detektieren lassen.

Die Abbe‘sche Beugungsgrenze, die seit über hundert Jahren in allen Optik-Lehrbüchern steht, folgt unmittelbar aus den Grundgesetzen der Physik. Für die Lebenswissenschaften bedeutete sie eine essentielle Einschränkung.

Unter labortechnisch akzeptablen Bedingungen realisierbare, superauflösende Lichtmikroskopie-Methoden (Nanoskopie) würden ungeahnte Möglichkeiten eröffnen: etwa bei der Analyse von Rezeptorkomplexen, bei der Untersuchung der zellulären Verteilung und Interaktion von pharmazeutisch wirksamen Molekülen, der Erforschung epigenetischer Histon- und DNA-Modifikationen, bei der Diagnose umweltinduzierter Veränderungen der DNA-Sequenz oder bei Studien zur räumlichen Verteilung von Pharmaka oder Umweltgiften in einzelnen Zelle.

In den letzten Jahrzehnten sind aus diesen spekulativen superauflösenden Lichtmikroskopie-Verfahren konkrete Nanoskopie-Methoden entstanden, die nach und nach Einzug in den Laboralltag halten. Viele Wissenschaftler aus unterschiedlichen Arbeitsgruppen haben zu dieser faszinierenden Entwicklung beigetragen und dokumentierten sie in einer seit den 1960iger Jahren exponentiell wachsenden Zahl von Publikationen.

Erste Überlegungen, die von Abbe und Rayleigh postulierte Beugungsgrenze zu überwinden, die etwa bei der halben Wellenlänge des sichtbaren Lichts (ca. 200 nm) liegt, reichen mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Dazu waren keine neuen Naturgesetze nötig, sondern allein die Erkenntnis, dass die von Abbe und Rayleigh postulierte Grenze auf ganz spezifischen experimentellen Annahmen beruhte, die nicht in Stein gemeißelt sind, sondern verändert werden können.

Zwei inzwischen realisierte Nanoskopie-Ansätze, deren Anfänge in den 1990iger Jahren liegen, sind die auf der Beleuchtung des Objekts mit einem beweglichen Lichtmuster beruhende, Strukturierte Beleuchtungs-Mikroskopie (SIM) sowie die Fokussierte Nanoskopie (Focused Nanoscopy) zu der Laserscanning 4Pi-Mikroskopie und Stimulated Emission Depletion (STED)-Mikroskopie zählen.

Mit 4Pi- und STED-Mikroskopie gelang in den 1990iger Jahren der erste experimentelle Nachweis, dass auf der Grundlage von Fernfeld-Lichtmikroskopischen Methoden die Beugungsgrenze tatsächlich überwunden (beziehungsweise umgangen) werden kann.

Ein weiterer Zugang zur lichtoptischen Nanoskopie eröffnete die Lokalisationsmikroskopie (Spectrally Assigned Localization Microscopy/SALM), zu deren Entwicklung das Labor des Verfassers seit Mitte der 1990iger Jahre ebenfalls beigetragen hat.

Grundlage dieser sich derzeit rasch in zahlreichen Varianten entwickelnden Technik (BLINKING, FPALM, GSDIM, PALM, PALMIRA, SPDM, STORM, dSTORM, d4STORM, etc.) ist die optische Isolation und äußerst präzise Lokalisation von Beugungsmustern sehr nah benachbarter Moleküle; verbunden mit der Eintragung der ermittelten Positionen in eine gemeinsame Karte. Die konzeptionellen Anfänge der Lokalisationsmikroskopie reichen bis in die 1980er-Jahre zurück. Fernfeld-Fluoreszenzmikroskopische Proof-of-Principle-Experimente in der Nanoskopie von Biostrukturen wurden erstmals unter der Bezeichnung Spectral Precision Distance Microscopy (SPDM) beschrieben.

Heute ermöglicht es die Lokalisationsmikroskopie, zelluläre Nanostrukturen fluoreszenzoptisch mit hoher optischer und struktureller Auflösung zu analysieren und grundlegende Fragen der molekularen Biophysik, Zellbiologie und molekularmedizinischen Forschung zu beantworten.

Ausgangspunkt der Lokalisationsmikroskopie ist die spektrale Signatur eines Gegenstandes. Hierunter verstehen Optiker jede Eigenschaft des von einem punktförmigen Objekt (Molekül) emittierten Lichts, die es erlaubt, das von ihm erzeugte Beugungs-Scheibchen unabhängig zu registrieren (optische Isolation).

Den Ort des betreffenden Objekts kann man mit optischen Mitteln bestimmen – etwa mit Fluoreszenz-Emissionsspektren, Fluoreszenz-Lebensdauern, oder auch zeitlich versetzten Blink-Phänomenen – und von anderen Molekülen in der Nachbarschaft abgrenzen.

Lokalisationsmikroskopie-Verfahren erzeugen prinzipiell molekular aufgelöste Abbildungen von Nanostrukturen, sofern die wesentliche Grundbedingung, die optische Isolation, erfüllt ist (der Abstand zwischen zwei Molekülen derselben spektralen Signatur muss mindestens so groß sein wie der Durchmesser des Beugungsscheibchens).

Die Lokalisationsmikroskopie mit photostabilen Absorptions/Emissionsspektren beziehungsweise Fluoreszenz-Lebensdauern als spektralen Signaturen wurde bereits Ende der 1990iger Jahre experimentell umgesetzt.

In den letzten Jahren standen insbesondere Variationen der Lokalisationsmikroskopie im Vordergrund, bei denen die zur optischen Isolation erforderlichen Unterschiede der spektralen Signatur durch verschiedene Blinkeigenschaften entstehen.

Hierbei senden verschiedene Objekte zeitlich versetzte Lichtblitze aus, ähnlich Leuchttürmen oder Flugzeugpositionsleuchten. Diese als Stochastic Optical Reconstruction Microscopy (STORM) bezeichnete Lokalisationsmikroskopie-Variante, die auf dem stochastischen Blinkverhalten von Quantum Dots basierte, wurde erstmals 2005 vorgestellt.

Kurze Zeit später übertrugen verschiedene Gruppen dieses Konzept fast gleichzeitig auf photoaktivierbare Proteine sowie Paare organischer Fluorophore. Durch die Kombination vieler tausender Einzelaufnahmen derselben Zelle erhielten die Forscher auf diese Weise „Lokalisationsbilder“ mit einer verbesserten effektiven, optischen und strukturellen Auflösung.

Die Anwendung der Lokalisations-Nanoskopie im Laboralltag schien aber schwierig, weil man zunächst annahm, dass sich nur ganz speziell hergestellte und nur mit erheblichem Aufwand einsetzbare Moleküle beziehungsweise Molekülpaare durch Licht an- und abschalten ließen.

In den letzten Jahren demonstrierten verschiedene Arbeitsgruppen, dass dieses Schalten auch mit „ganz gewöhnlichen“ Farbstoffmolekülen, etwa konventionellen GFPs oder Alexa- und Attofarbstoffen, unter leicht realisierbaren Präparationsbedingungen funktioniert. Dies führte schließlich zur breiten Anwendung der Lokalisationsmikro- beziehungsweise -nanoskopie in der biomedizinischen Forschung.

Superauflösende Mikroskopie-Verfahren wie die Fokussierte Nanoskopie oder die Lokalisationsmikroskopie erhöhen die lichtoptische Auflösung schon jetzt um ein Vielfaches gegenüber konventionellen Lichtmikroskopie-Verfahren. Die Auflösungsmaxima für Biostrukturen liegen derzeit bei wenigen Nanometern, was etwa einem hundertstel der verwendeten Wellenlänge entspricht.

Theoretische Überlegungen und erste Proof-of-Principle-Experimente sprechen jedoch dafür, dass noch weit bessere Werte möglich sind. Die von der Physik vorgegebene Grenze der lichtoptischen Auflösung dieser Methoden sollte bei wenigen Atomdurchmessern liegen, also bei etwa einem tausendstel der eingesetzten Wellenlänge. Dies würde über die Biophysik und Biomedizin hinaus weitere interessante Anwendungsmöglichkeiten in den Material- und Geowissenschaften eröffnen.

Die auf Photoswitching/Blinking beruhende Lokalisationsmikroskopie wird vielfach als der einzige Weg angesehen, eine hohe strukturelle Auflösung biologischer Nanostrukturen zu erzielen. Der dafür zu zahlende Preis ist allerdings hoch. Üblicherweise muss man hierzu tausende Einzelbilder aufnehmen.

Solange es sich hierbei um fixierte Präparate handelt und Zeit keine Rolle spielt, ist dies vermutlich der einfachste Weg. Will man jedoch Nanostrukturen in lebenden Zellen mit hoher Zeitauflösung und möglichst geringen phototoxischen Effekten auflösen (zum Beispiel um die Wirkung von Pharmaka auf Rezeptorkomplexe zu untersuchen), so lässt sich dies mit Photoswitching/Blinking-basierten Lokalisationsmethoden nur schwierig umsetzen.

Eine weitere Schwäche ist die mangelnde Hochdurchsatz-Fähigkeit dieser Methoden, was zum Beispiel in der Pharmaforschung ein Nachteil ist. Hier kann es durchaus vorkommen, dass man pro Stunde und Gerät die Nanostrukturen von Zigmillionen Komplexen untersuchen will, also tausendmal oder zehntausendmal schneller sein muss als es Photoswitching/Blinking-basierte Verfahren erlauben.

Mit photostabilen, spektralen Signaturen, wie sie zur Lokalisationsmikroskopie bereits in den 1990iger Jahren in Proof-of-Principle Experimenten realisiert wurden, ist dies jedoch möglich. Weitere Fortschritte in der Optik, bei der Datenverarbeitung und bei der Entwicklung zeitlich höchstauflösender Arraydetektoren, machen Hoffnung, dass die Zahl der verwendbaren spektralen Signaturen auch bei photostabilen Farbstoffen (ohne Blinken) noch erheblich zunimmt. Mit photostabilen Fluorochromen könnte man ca. 15 bis 20 Moleküle in einem Areal vom Durchmesser eines Beugungsscheibchens (200 nm Durchmesser) voneinander trennen, also insgesamt mehrere hundert Moleküle pro μm2.

Mittels stochastischer Markierungen mit einer multispektralen Mischung von Reportermolekülen, müsste es sogar möglich sein, benachbarte Moleküle des selben Typs aufzulösen (Cremer et al., US Patent 7, 298, 461, filed Oct. 9, 2002).

Auch mit photostabilen Signaturen könnte es also gelingen, komplexe Nanostrukturen (zum Beispiel einzelne Gendomänen oder Transkriptionsfaktor-Komplexe) zu analysieren. Dies wäre prinzipiell in Bruchteilen einer Sekunde möglich, im Gegensatz zu den bis zu viele Minuten währenden Aufnahmezeiten bei Photoswitching/Blinking-basierten Verfahren (wie z.B. PALM/STORM/dSTORM etc.).

Die Nanoskopie ist also noch längst nicht ausgereizt und es ist zu erwarten, dass Lokalisationsmikroskopie-Techniken für die Hochgeschwindigkeits-Nanoskopie, die auf photostabilen Signaturen beruhen, schon in naher Zukunft ihren Platz im Labor finden und Photoswitching/Blinking-basierte Verfahren ergänzen werden.

Christoph Cremer ist Professor für Angewandte Optik und Informationsverarbeitung und Leiter der Kooperationseinheit „Biophysik der Genomstruktur“ am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie (IPMB) der Universität Heidelberg. Seit 2011 leitet er die Forschungsgruppe „Superresolution Microscopy“ am Institute of Molecular Biology (IMB) der Universität Mainz.


Letzte Änderungen: 11.07.2014