Lab Cooking: Die Protest-Wurst

Kai Herfort


Editorial
2018_09a
Ein Traum in Rot und Gelb. Das Grünzeug kann man auch weglassen. Fotos: Helga Lorenz und Kai Herfort

Der Sommer war krass: heiß und trocken. Kaum Abkühlung nachts. Was soll man bei dieser Hitze essen, fragt sich der Koch. „Etwas Frisches, Leichtes, am besten etwas mit Obst,“ beantwortete er seine eigene Frage. Vor seinem geistigen Auge tanzten saftige Pfirsiche zusammen mit süßen Zwetschgen und aromatischen Erdbeeren. Essen beginnt mit Einkaufen, also ab in die Obst- und Gemüseabteilung. Doch da nahm das Drama seinen Lauf.

Das war jetzt schon der x-te Versuch: Die Nektarinen sahen klasse aus, ebenso die Renekloden und die Erdbeeren. Rein damit in den Einkaufswagen, ab durch die Kasse und zuhause draufgestürzt, um sich an den schönen Früchten zu laben. Doch statt leckerem Früchteglück, schon wieder die Enttäuschung: Alles unreif, sauer, hart und fad! Okay, war ja auch Supermarktware. Wir probieren jetzt das Gleiche auf dem Wochenmarkt. Saisonal und regional ist ja eh besser als vom Großmarkt.

Editorial

Um es kurz zu machen: Das Ergebnis war keinen Deut besser. Leute, lasst doch das Obst noch eine Weile in Ruhe. Doch bis das zuhause nachgereift ist, haben es die Fruchtfliegen schon weggefressen.

Was tun? Wenn das Auge getäuscht wird, kann man sich immer noch auf seine Finger verlassen. Ein sanfter Druck auf das Obst und dessen leichtes Nachgeben zeigt uns den Reifegrad an. Also: Rein in den Supermarkt und Obst drücken. Das klappt ganz gut. Das Ergebnis dieses Einkaufs war durchaus zufriedenstellend. Aber schon beim zweiten Einkauf kam, was kommen musste: „Wenn das jeder machen würde“, echauffiert sich ein nebenstehender Kunde. Die Entgegnung: „Wenn das jeder machen würde, wäre das Obst wenigstens irgendwann weich und nicht mehr so knüppelhart wie jetzt“, konnte dem Kunden kein Lächeln ins Gesicht zaubern – und dem Koch war endgültig die Lust auf Obst vergangen.

2018_09b
Zwiebeln schneiden und andünsten

Ich mach jetzt einfach Currywurst. Mit Pommes. Aus Protest gegen viel zu früh geerntetes Obst und humorlose Kunden. Hoffentlich lesen die das auch... (Zweifel.)

Zugegeben: Das ist nicht die ganz schnelle Koch-Nummer. Pommes brauchen ein bisschen Zeit. Und eine große Pfanne mit Deckel. Aber der Aufwand lohnt. Selbstgeschnitzte Pommes aus der frischen Kartoffel, in der Pfanne gebräunt, sind etwas ganz anderes als die schockgefrosteten Kollegen aus der Kühltruhe, die im Backofen auf 180°C gequält werden und im übrigen auch so ihre Zeit brauchen.

Und die Currysauce? Da wir keine schlechte Pommesbude sind, nehmen wir auch kein Ketchup als Grundlage sondern Passato. Das Beliebte an einer Currysauce ist die Kombination von Currygewürzen mit Süße und Schärfe. Um die Süße auch noch fruchtig zu gestalten, müssen hier Preiselbeeren herhalten. Sie können auch Apfelmus nehmen. Die Schärfe hingegen kommt aus dem Chilli-Anteil des Currypulvers. Wenn Ihnen das zu wenig ist, können Sie noch Chillipulver nachlegen oder frische Chillischoten zusammen mit der Zwiebel anbraten.

Einkaufsliste
für 2 Personen

» Bratwürste:je nach Hunger
» Kartoffeln festkochend:8 große
» Tomatenpassato:ca. 400 ml
» Preiselbeeren:ca. 100 g
» Curry:Pulver

Außerdem:Salz, Öl

Material:» 1 große Pfanne mit Deckel
» 1 Pürierstab
» 1 Esslöffel
» 1 Teelöffel
» 1 Kochmesser
» 1 Sparschäler
» 1 Pfannenwender
» 1 Herdplatte
» 1 kleiner Topf mit Deckel
2018_09c
Sauce mit dem Stabmixer glätten
Los geht‘s!

» Die Currysauce: Das Passato bereitstellen. Eine mittelgroße Zwiebel kleinhacken und mit zwei Esslöffeln Öl und einem Teelöffel Salz in einem kleinen Topf glasig braten. Am besten bleiben sie dabei und rühren. Dann das Passato dazu, einen gehäuften Esslöffel Currypulver und drei gehäufte Esslöffel Preiselbeeren. Gut mischen und dann schnell den Deckel drauf. Wenn das anfängt zu blubbern, gibt´s eine ziemliche Sauerei. Aufkochen lassen und beiseite stellen, später mit dem Pürierstab ordentlich homogenisieren.

2018_09d
Pommes schnitzen

» Bratwurst: Braten.

» Pommes: Rohe Kartoffeln schälen und zurechtschneiden. In einer großen Pfanne drei Esslöffel Öl erhitzen, die Pommes dazu und Deckel drauf. Immer mal wieder vorsichtig umrühren. Nach etwa zehn Minuten den Deckel abnehmen und ohne weiterbraten. Wenn die Kartoffelstäbchen außen schön bräunlich sind und die weißliche Farbe verschwindet, sind sie gar. Dann erst salzen und möglichst schnell servieren.

2018_09e
Den Bräunungsgrad mit dem Deckel steuern

Die Kunst liegt weniger in der Zubereitung als im Timing. Die Kartoffeln sollten frisch aus der Pfanne kommen. Die Currysauce können sie vorbereiten und einfach schnell noch einmal erhitzen. Die Bratwurst können Sie auch vor den Kartoffeln braten, dann sollten sie die Wurst aber bei 80°C im Backofen parken.


Bräunungsreaktionen – Maillard-Reaktionen

Ob Bratwurst, Pommes, Steak, Brot oder Kaffee, so richtig lecker wird‘s erst, wenn es gebräunt wird. Aber was passiert eigentlich beim Bräunen?

Bei hohen Temperaturen verbinden sich Zuckermoleküle mit Aminosäuren. Diese Reaktion nennt man nach ihrem Entdecker (1912) Maillard-Reaktion. Es entstehen teils hoch reaktive Zwischenprodukte, und es resultiert eine enorme Anzahl unterschiedlicher Folgereaktionen. Dabei werden auch flüchtige Aromastoffe abgespalten. Und weil es so viele verschiedene Zucker sowie Aminosäuren und Peptide gibt, ist die Zahl der verschiedenen entstehenden Pigmente und Aromastoffe schier unüberschaubar – und natürlich bei jedem Lebensmittel anders. Die einzelne Maillard-Reaktion gibt‘s wohl nur im Reagenzglas, in der Küche laufen dagegen stets viele Maillard-Reaktionen parallel ab. Allein im Fleisch konnten über 600 verschiedene Aromastoffe nachgewiesen werden. Typische Endprodukte sind Schwefelwasserstoff, Alkylmercaptane und Disulfide. Und: Substituierte Pyrazine, Furane, Furanone, Thiofurane, Thiohene, Pyrrole, Oxazole,... – um nur einige der vielen heterozyklischen Verbindungen zu nennen. Das sind die begehrten natürlichen Geschmacksverstärker, die wir durch das Bräunen bekommen – und die mit ein Grund dafür sind, dass der Mensch schon seit Urzeiten viele Lebensmittel gerne stark erhitzt, bevor er sie isst.

Die Maillard-Reaktion geht natürlich auch einzeln. Wenn Sie Cystein und Glucose zusammen auf die richtige Temperatur bringen, riecht Ihr Labor gleich nach gebratenem Steak. Brot dazu? Nehmen Sie Glucose und Prolin. Als Nachtisch Crème brulée? Glucose und Glycin.


War da nicht was? Ach ja: Acrylamid!

Wassergehalt, Temperatur, pH-Wert und Garzeit beeinflussen die Maillard-Reaktionen. Wenn Sie‘s mit der Temperatur übertreiben, wird nicht nur Ihr Essen schwarz, es können auch schädliche Stoffe entstehen. Acrylamid etwa entspringt einer Maillard-Reaktion aus Asparagin mit Glucose. Diese Reaktion läuft besonders gerne bei Temperaturen oberhalb von etwa 170 bis 190°C ab, am liebsten bei der Herstellung von Pommes und von Chips. Sie beginnt aber schon bei 120°C. Wer also brät, grillt, röstet oder frittiert, bekommt Acrylamid ins Essen. Je heißer, desto mehr. Ob Acrylamid tatsächlich, wie vermutet, krebserregend ist, konnte bisher noch nicht belegt werden. Weil aber die Politik stets dem Vorsorgeprinzip folgt (Was gibt es da jetzt zu lachen?), hat die EU unlängst die Acrylamidverordnung erlassen. Ziel ist es, den Arcrylamidgehalt von Lebensmitteln zu senken. So sollen beispielsweise Pommes nicht mehr ganz so heiß frittiert werden. Ein Double-Opt-In-Verfahren an Pommesbuden, wie bei der DSGVO, ist bisher nicht vorgesehen:

Double-Opt-In an der Pommesbude

„Eine Currywurst, zweimal Pommes rot-weiß und drei Pils.“

„Kommt sofort! Sie müssten mir aber bitte zuerst eine SMS schicken, in der Sie bestätigen, dass Sie unsere Acrylamid-Erklärung gelesen haben. Die hängt da vorne am Sonnenschirm. Das muss jetzt so.“

„Wie, Acrylamid?“

„Ja, das ist jetzt in allem drin, was gebraten ist, aber bei uns ist das nicht so schlimm.“

„Schmeckt man das raus?“

„Nee!“

„Also gut. Wie ist Ihre Handynummer?“



Letzte Änderungen: 13.11.2018