Editorial

Buchbesprechung

Steffen M. Diebold




Christian G. Meyer:
Tropenmedizin – Infektionskrankheiten
Herausgeber: ecomed Medizin; 4. Auflage 2021 (24. November 2021)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 736 Seiten
ISBN-10: 3609165405
ISBN-13: 978-3609165400
Preis: 149,99 Euro (Hardcover)

Die Tropen kommen

(07.10.2022) Die Tropen sind weit entfernt – Wirklich? SARS-CoV-2 demonstriert gerade eindrucksvoll, dass die Menschheit nicht nur digital, sondern auch ganz analog und physisch vernetzt ist. Die neue Auflage von „Tropenmedizin“ ist eine mehr denn je benötigte Fundgrube medizinisch-epidemiologischen Wissens.

Zwischen 500 und 900 Fälle von Malaria werden jedes Jahr zum Beispiel allein in Deutschland gemeldet. Tendenz steigend. Und 2018 wurde erstmals eine innerhalb Nordeuropas erworbene West-Nil-Virus-Infektion nachgewiesen.

Massenmigration, Tourismus und mittlerweile wieder zunehmende Geschäftsreisen sorgen immer häufiger dafür, dass selbst in kühleren Gefilden Patienten mit tropischen und bislang eher exotischen Infektionskrankheiten in Praxen, Apotheken und Krankenhäusern vorstellig werden. Das Spektrum der Erkrankungen reicht dabei von viralen und bakteriellen Infektionen über Protozoen bis hin zu Problemen, die durch Ektoparasiten und Insekten verursacht werden.

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Fülle faszinierender Einblicke

Zwei Milliarden (!) Menschen auf dem Globus sind von Helminthosen (Wurmerkrankungen) betroffen. Circa eine Milliarde, darunter hauptsächlich Kinder, leiden an Ascariasis (Spulwurmbefall), verursacht durch Nema­toden. Dies ist die Folge mangelnder Hygiene, meist aufgrund verunreinigten Trinkwassers. Das allein hierdurch verursachte Leid ist in Zahlen kaum fassbar. Dem könnte man begegnen, würden auch nur fünf Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben für einfache sanitäre Anlagen, Abwasseraufbereitung, Hygieneaufklärung und flächendeckenden Zugang zu sauberem Trinkwasser eingesetzt. Diese ca. 100 Milliarden US-Dollar (!) hätten gewaltige Effekte auf die Gesundheit eines Viertels der Bevölkerung des Planeten. Die Cholera beispielsweise könnte der Vergangenheit angehören. Aber das nur am Rande.

Denn eigentlich soll es hier um das Werk des Tübinger Tropenmediziners Christian G. Meyer gehen: „Tropenmedizin“ bietet eine Fülle faszinierender Einblicke in eine zuweilen grauenerweckende Welt globaler Infektionen. Der in Indien unter Diabetikern endemischen Mukormykose zum Beispiel, dem Schwarzen Pilz, der sich unter COVID-19-Patienten aufgrund geschwächter Immunsysteme und Cortisonbehandlung stark vermehrt hat, sind Tausende zum Opfer gefallen.

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Doch Spannendes und Kurioses findet sich im Buch auch abseits des Grauens. Wem der Begriff der „Skarifikation“ nicht geläufig ist, findet diesen ethnologisch-medizinischen Ausdruck im neuen 14. Kapitel nebst exotisch anmutenden Illustrationen schmückender Unterlippenscheiben oder -pflöcken. Skarifikation bezeichnet archaische Methoden indigener Ethnien Afrikas, Melanesiens und Australiens mit dem Ziel, irreversible signifikante Veränderungen der Haut zu erzeugen. Darunter fallen Tätowierungen, aber auch Schnitte, Verbrennungen oder Kombinationen solcher Manipulationen zur Herbeiführung von Narben. Durch diese sozial-religiös motivierten Körpermodifikationen steigt – gerade in den Tropen – natürlich auch das Risiko für Infektionen.

„Tropenmedizin“ ist anschaulich und reich bebildert und im Vergleich zur Vorauflage um zahlreiche, teils sogar historische, Aufnahmen ergänzt. Hinweise zu weiterführender Literatur sind (angenehm) sparsam eingesetzt, aber durchgehend aktuell und thematisch fokussiert. Ergänzt wird das informative Kompendium durch aufschlussreiche Verbreitungskarten tropischer Erreger. Zum Teil sind diese sogar kleinräumig detailliert (Malaria).

Mit der gründlich aktualisierten und zudem um ein Kapitel zu SARS-CoV-2 erweiterten 4. Auflage etabliert sich „Tropenmedizin“ als Standardwerk im deutschen Sprachraum. Das Handbuch ist für Apotheker und Ärzte in der Reiseberatung unentbehrlich. Doch auch industrielle Hersteller von Repellentien und Antiinfektiva, NGOs und Entwicklungshilfeorganisationen profitieren von dieser Fundgrube medizinisch-epidemiologischen Wissens.

Stichwortverzeichnis etwas kurz

Das Stichwortverzeichnis darf allerdings für eine Folgeauflage gerne (noch) ausführlicher sein. So finden sich beispielsweise Vektoren wie Aedes albopictus zwar unter ihrem binären Fachterminus, unter „Tigermücke, asiatische“ sucht man aber vergeblich.

Erfreulich klare Worte findet der Autor in Zeiten „Alternativer Medizin“, grassierender Esoterik und obskurer Heilsversprechen auch zum Thema „Impfen“. Chapeau! Das Buch ist ein Gewinn für die Biowissenschaften – und die Vernunft.





Letzte Änderungen: 07.10.2022