Editorial

Buchbesprechung

Juliet Merz




Jasmin Schreiber:
Abschied von Hermine
Herausgeber: 1. Auflage, Goldmann (2021)
Sprache: Deutsch
Broschiert: 288 Seiten
ISBN-10: 3442315816
ISBN-13: 978-3442315819
Preis: 16 Euro (Paperback)

Vom Anfang bis zum Schluss

(13.05.2022) Wir alle müssen sterben. Mit diesem Gedanken beschäftigt sich kaum jemand gerne, Jasmin Schreiber hat es dennoch getan. In ihrem Buch „Abschied von Hermine“ erzählt die Biologin und Schriftstellerin vom Leben, Sterben und Tod – und was ein Hamster damit zu tun hat.

Die erste Begegnung mit dem Thema „Tod“ haben manche vielleicht vergessen, im Gedächtnis der Rezensentin ist sie jedoch als Kernerinnerung gespeichert. Während im Kino der Disney-Film „Der König der Löwen“ lief, musste die damals Dreijährige mit ansehen, wie der Herrscher über das Geweihte Land, Mufasa, von einer aufgescheuchten Gnu-Herde zu Tode getrampelt wurde. Mufasa hatte sich beim Versuch geopfert, seinen Sohn Simba zu retten. Die Szene, in der sich das unverwundete Löwenjunge an den leblosen Körper seines Vaters schmiegt, treibt der Rezensentin noch heute ein paar Tränchen in die Augen.

Der „Ewige Kreislauf des Lebens“ ist traurig, beängstigend und faszinierend zugleich – dem dürfte die Autorin Jasmin Schreiber wohl zustimmen, immerhin hat sie dem Thema ein ganzes Buch gewidmet. Darin verarbeitet sie aber nicht den Tod einer fiktiven Zeichentrickfigur, sondern vor allem das Ableben von Hermine, ihrer verstorbenen Dsungarischen Zwerghamster-Dame, die im Buch immer wieder auftaucht und damit den Leser über sämtliche Kapitel hinweg begleitet.

Kleine Startschwierigkeiten, aber dann läuft‘s

Doch bevor etwas stirbt, muss es erst einmal gelebt haben. Schreiber orientiert sich entsprechend und startet ihr Buch mit der Frage, was Leben überhaupt ist, wie es entsteht und was auf zellulärer Ebene abläuft. Der Einstieg ist erwartungsgemäß leicht verdaulich und liegt im Gegensatz zu den darauffolgenden Themen nicht schwer auf der Brust, ist stellenweise allerdings etwas holprig. Sprachlich könnte man die ersten paar Seiten noch mal etwas aufpolieren, gerade was Wort-Wiederholungen betrifft. Im Laufe des Buches schüttelt Schreiber diese Startschwierigkeiten jedoch komplett ab: Die Themen flutschen, bauen verständlich aufeinander auf und sind mitreißend formuliert.

Besonders im Kapitel „Altern“ erwacht vollends die Biologin in Schreiber. Sie spricht von Telomeren, von Organismen, die das Altern scheinbar „gehackt“ haben, und von der Lebenserwartung unterschiedlicher Lebewesen. Den meisten Menschen vom Fach dürften die darin vorkommenden Beispiele zwar bekannt sein (etwa Tardigraden, Eintagsfliegen oder langlebige Fichten), das ist aber nicht weiter schlimm und mindert zumindest bei der Rezensentin den Lesespaß nicht.

Das Kapitel „Sterben“ beginnt mit der emotionalen Geschichte des Todes von Hamster-Dame Hermine. Diese hatte im hohen Alter wahrscheinlich einen Gehirntumor gebildet und musste daraufhin eingeschläfert werden. Im Anschluss umreißt Schreiber die unterschiedlichen Phasen des Sterbens anhand des fiktiven Falls der 67-jährigen todkranken Hannelore und betont dabei, dass kein Mensch auf die gleiche Art und Weise stirbt. Dennoch eröffnet das Beispiel einen interessanten Einblick in die Vorgänge kurz vor dem Tod.

Das anschließende gleichnamige Kapitel gliedert sich quasi in zwei Teile: Was passiert mit dem toten Körper auf biologischer Ebene und wie stellen sich Menschen das Jenseits vor? Die Autorin beschreibt übersichtlich die Verwesungsprozesse und geht auch darauf ein, welche Tiere und Mikroorganismen einen Kadaver verwerten. Beim Thema „weitere Beerdigungsgäste“ schweift Schreiber dann leider etwas ab, indem sie das Vorkommen und die Fortpflanzung von Schnecken erläutert. Ein Blick in ihre Social-Media-Kanäle erklärt diesen gedanklichen Ausflug: Als Besitzerin von diversen Haustieren hält sie auch ein paar Gastropoden.

Liebevoll und einfühlsam

Das Buch „Abschied von Hermine“ hat aber nicht nur rein deskriptiven Charakter. Gerade im Kapitel „Trauer“ gibt Schreiber hilfreiche Einblicke in Bewältigungsstrategien. Sie lässt den Leser auf Seite 241 an ihrer eigenen Trauerbewältigung teilhaben – ihre Freundin Ianina ist an Krebs verstorben. Auch ihre Arbeit mit Trauernden als ehrenamtliche Sternkindfotografin ermöglicht ihr, das Thema umfangreich und pietätvoll anzugehen.

Glücklicherweise ist das Buch trotz des schweren Themas unterhaltsam, stellenweise sogar richtig witzig und mit liebevoller Hand geschrieben – beziehungsweise gezeichnet: Durch das ganze Buch hinweg finden sich kleine Bleistiftzeichnungen, die manchmal bloß erklären und oft gelungen optisch auflockern.

Der einzige wichtige Kritikpunkt bei „Abschied von Hermine“: Manche Kapitel beziehungsweise Erzählungen sind zu kurz. Das Buch hätte gut und gerne wesentlich länger sein können, so interessant ist es. Die Rezensentin hätte mit Vergnügen noch mehr über Wachsleichen erfahren oder weitere tierische beziehungsweise mikroorganismische Beerdigungshelfer kennengelernt. Auch die Bestattungsrituale unterschiedlicher Völker sind so spannend, dass Schreiber ohne Weiteres noch viele Seiten damit hätte füllen können. Vielleicht gibt es ja irgendwann eine Fortsetzung, die Rezensentin würde diese auf jeden Fall lesen.





Letzte Änderungen: 13.05.2022