Editorial

Buchbesprechung

Larissa Tetsch




Eckhard Fuhr:
Schafe: Ein Portrait (Reihe Naturkunden)

Gebundene Ausgabe: 136 Seiten
Verlag: Matthes & Seitz Berlin; Auflage: 1 (20. März 2017)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3957573998
ISBN-13: 978-3957573995
Preis: 18 Euro (gebunden)

Unterhaltsames Schäferstündchen

Schafe hatten in früheren Zeiten als Woll- und Fleischlieferanten eine fundamentale Bedeutung für den Menschen. Aber auch heute können wir noch eine Menge von ihnen lernen, findet der Journalist Eckhard Fuhr.

Wohl kaum ein Tier steht so sehr für den biomedizinischen Fortschritt wie das „Klonschaf“ Dolly, das Ende des letzten Jahrtausends aus der Euterzelle eines ausgewachsenen, walisischen Bergschafs entstand. Als Dolly am 5. Juli 1996 im schottischen Roslin bei Edinburgh das Licht der Welt erblickte, wurde die Sensation in der Fachzeitschrift Nature gefeiert. Denn Dolly besaß keine Eltern im herkömmlichen Sinne. Stattdessen hatten Wissenschaftler in bester „Frankenstein-Manier“ – wie von Kritikern getitelt – 277 Eizellen von schottischen Schwarzkopf-Schafen entkernt und diesen das Erbgut einer ausdifferenzierten, somatischen Zelle von einem weißköpfigen Mutterschaf eingepflanzt. Wenn auch daraus nur 29 Embryonen entstanden, von denen wiederum nur ein Lamm geboren wurde, zeigte sich der Erfolg des Experiments doch sofort bei der Geburt. Denn das von einem Schwarzkopfschaf ausgetragene Lamm besaß das weiße Gesicht seiner Erbgutspenderin. Dolly war ein gesundes Schaf, das mehrfach natürlicherweise Mutter wurde. So steht sie einerseits als Symbol für die Überwindung von biologischen Grenzen und weckt andererseits zwiespältige Gefühle in Hinblick auf die Möglichkeiten, die das reproduktive Klonen ehrgeizigen Menschen bietet.

Editorial

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Der Aufstieg Dollys zum Medienstar steht im krassen Gegensatz zum herkömmlichen Image des braven, „frommen“ Lamms oder des dummen Schafskopfs. Dass Schafe alles andere als langweilig und für den Menschen seit jeher von größtem Nutzen sind, legt Eckhard Fuhr, ehemals Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Korrespondent bei Die Welt, in seinem Porträt über das Nutztier und seine wilden Vorfahren dar. Fuhrs kleinformatiges, liebevoll gestaltetes Büchlein im edlen Design ist in der Reihe „Naturkunden“ des Berliner Matthes & Seitz-Verlags erschienen. Es umfasst eine etwa hundertseitige (Kultur- und Natur-) Geschichte des Schafs sowie elf Kurzporträts wichtiger Rassen.

Anspruchslose Wanderer

Die Domestikation des Hausschafs (Ovis gmelini ssp. aries) begann vor mehr als 10.000 Jahren in der Gegend des fruchtbaren Halbmonds. Als Urvater gilt das Mufflon, eine Wildschafart. Die Realität ist allerdings wesentlich komplexer, wie Fuhr im ersten Teil des Buches beschreibt. Weiterhin geht er dort auf die Gründe für die sprichwörtlich gewordene Anspruchslosigkeit der Tiere ein, die zum Großteil in ihrer Ernährungsweise als Wiederkäuer begründet liegt.

Im Mittelpunkt von Fuhrs Betrachtungen steht die Schafwirtschaft, die traditionell an die Transhumanz gebunden war. Dabei handelt es sich um die Wanderschäferei, also das Treiben der Schafherde von einer Weide zu anderen. Diese Kunst, unterstützt von ausgebildeten Hütehunden, wird auch heute noch ausgeübt und erfreut sich sogar wieder zunehmender Beliebtheit. Wie übrigens auch der Beruf des Schäfers beziehungsweise der Schäferin (genauer „Tierwirt Fachrichtung Schäferei“) insgesamt. Neu ist, dass in letzter Zeit den Hütehunden immer häufiger Herdenschutzhunde zur Seite gestellt werden. Dies hängt mit der Rückkehr eines „Spitzenräubers“ nach Mitteleuropa zusammen: Der Wolf ist wieder eine feste Größe, mit der Schäfer und Schafbesitzer rechnen müssen. Dieses spannungsgeladene Verhältnis ist ein weiteres zentrales Thema des passionierten Jägers Fuhr.

Gewandelt hat sich in den letzten Jahrhunderten auch die Nutzung der Schafe. Lieferten sie in früheren Zeiten hauptsächlich Wolle, so sind Schafe heute in erster Linie Fleischproduzenten (Lammfleisch!) – und wichtig, um die Kulturlandschaft durch Beweidung offen zu halten. Die frühere Bedeutsamkeit des Wirtschaftsfaktors Wolle lässt sich daran ablesen, dass bis Ende des 18. Jahrhunderts Merinoschafe bei Todesstrafe nicht aus Spanien ausgeführt werden durften. Merinowolle war ein spanisches Monopol, und erst 1786 konnte in der legendären schwäbischen Merino-Expedition bei der spanischen Krone die Ausfuhr von dreißig Böcken und zehn Muttertieren nach Württemberg erwirkt werden. Dies legte den Grundstein für die moderne Schafzucht in ganz Mitteleuropa.

Bedingt durch die große Konkurrenz durch Baumwolle und Synthetikfasern werden heute dagegen eher Schafrassen gehalten, die einen guten Fleischansatz zeigen. Und um auf Dolly zurückzukommen: Heute gibt es natürlich auch transgene Schafe. Diese produzieren beispielsweise rekombinante Humanproteine wie den Blutgerinnungsfaktor IX, den sie in die Milch abgeben.

Die dunkle Seite der Schafe

Weidende Schafe scheinen uns heute als das Landschaftsidyll schlechthin. Doch das war nicht immer so. Vergleichbar mit dem Bildersturm der Reformation zogen schottische Bauern zur Zeit der großen „Highland Clearances“ im späten 18. Jahrhundert über die Weiden und töteten Tausende von Schafen. Aufgrund der hohen Wollpreise war die Schafzucht längst eine existentielle Bedrohung für die Bauern geworden. Adelige Grundbesitzer wandelten Ackerflächen in Weideland um und vertrieben die Bauern, die dadurch ihre Lebensgrundlage verloren. Eine besonders große Massenauswanderung aus dem schottischen Hochland fand 1792 im sogenannten „Jahr der Schafe“ statt. Am Ende der durch die „menschenfressenden“ Schafe ausgelösten „Highland Clearances“ stand die weitgehende Auslöschung der schottischen Sprache und Kultur.

Das Tierporträt bietet nicht unbedingt neue, biologische Erkenntnisse. Als Leser sollte man keine Angst haben vor kulturgeschichtlichen Ausführungen und Verweisen auf die Bedeutung des Schafes für Religion und Kunst. „Schafe“ ist in erster Linie ein Werk für Menschen, die sich für Schafe interessieren und gegenüber einer ganzheitlichen Betrachtung aufgeschlossen sind. Es ist aber auch ein Buch für Menschen mit Spaß an naturkundlichen und geschichtlichen Zusammenhängen sowie für Liebhaber hochwertig gestalteter und liebevoll illustrierter Bücher, die man einfach gerne zur Hand nimmt.





Letzte Änderungen: 03.03.2018