Buchbesprechung

Winfried Köppelle

Editorial

Maarten Keulemans:
Exit Mundi. Die besten Weltuntergänge
Taschenbuch: 304 Seiten, (vergriffen)
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag (1. Juni 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3423346175
ISBN-13: 978-3423346177
Preis: ab ca. 1 Euro (Taschenbuch, gebraucht), 17 Euro (Audio-CD)

Editorial
Abwärts gehts!

Klimakatastrophe, Insektensterben, der Untergang des Abendlandes – Desaster sind schwer in Mode. Zudem waren eben erst Bundestagswahlen. Aber kennen Sie eigentlich das Standardwerk der wirklich schlimmen Untergangs-Szenarien?

Auf allen Kanälen wird man seit Jahren mit Erderwärmung und Klimawandel bombardiert, und glaubt man den politisch korrekten Bedenkenträgern, dann sollten wir schleunigst in Tropenhelme und Schwimmwesten investieren und unseren Hybrid-Zweitonner mit einem zweiten Bord-Kühlschrank ausstatten.

Tun Sie es nicht! Langfristig droht der Menschheit höchstens Eiseskälte. Der holländische Wissenschaftskolumnist Maarten Keulemans erinnert sich in seinem Endzeit-Klassiker Exit Mundi genüsslich daran, dass sich die Klimaforscher noch in den 1960er und 1970er Jahren große Sorgen machten, es könne demnächst eine neue, bitterfrostige Kälteperiode (im Fachjargon: Glazial) anbrechen. In den Niederlanden hätte man beispielsweise 1963 mit minus 21 °C „die größte Kälte seit 1830“ gemessen, so Keulemans, und die Auguren des Weltklimas unkten nicht anders als heute – nur sei damals eben schneeweiß gewesen, was heute heiß und trocken sei und „globale Erwärmung“ heiße.


Liebling, wir wohnen jetzt am Hang... (Szene aus „San Andreas“, USA 2015) Foto: Warner Bros.

So unrecht hat Keulemans damit nicht. Auch der Laborjournal-Rezensent meint sich daran zu erinnern, es sei in seiner Jugend wissenschaftlicher Konsens gewesen, dass es zum Ende des Jahrhunderts zu einer globalen Erdabkühlung komme. Folgerichtig schockte beispielsweise das US-Magazin Newsweek am 28. April 1975 seine Leser mit dem düsteren Katastrophenbericht „The Cooling World“, und die Vereinten Nationen richteten sogar eine Klimaforscher-Kommission ein (ganz ähnlich wie heute das IPCC), die zum beunruhigenden Ergebnis kam: „Binnen eines Jahrhunderts steckt die Menschheit möglicherweise mitten in der Eiszeit.“

So abwegig ist das gar nicht

Nein, abwegig ist Keulemans Argumentation nicht. Warum sollten die heutigen Klimaexperten mit ihrer prognostizierten globalen Erwärmung und deren schlimmen Folgen weniger auf dem Holzweg sein als die Generation vor ihnen? Etwa, weil wir im Jahr 2017 sooo viel schlauer sind? Immerhin erlebt Homo sapiens samt den ihn umgebenden Viechern und Kräutern derzeit den Schlussakt des Holozäns – einer schnuckeligen, aber eben nur kurzen Zwischenwarmzeit (Interglazial). Und einerlei, ob der Planet nun demnächst Mensch-und-Erdöl-verursachte Hitzewallungen bekommt oder nicht – wir befinden uns längst in einem ganz anderen Schlamassel namens känozoisches Eiszeitalter. Dessen ungemütliche Kennzeichen sind extrem vergletscherte Polkappen und Gletschervorstöße bis in mittlere Breiten und lassen unseren Planeten schon seit 30 Millionen Jahren frösteln. Und unsere Ururur-undsoweiter-Enkel erwartet sicherlich kein Tropenklima, sondern ein lausekaltes Sauwetter namens Glazial, das nur Eisbären und andere psychrophile Zeitgenossen amüsiert und selbst pelzmützige Roland-Emmerich-Fans mit solargespeister Fußbodenheizung schaudern lassen wird. Informieren Sie sich über die klirrfrostigen Einzelheiten im preisgekrönten Dokumentarfilm The Day after Tomorrow, und kommen Sie ihren Mitmenschen dann bloß nicht mehr mit den „Gefahren einer Klimaerwärmung“.

Doch keine Angst, Keulemans meint das mit der baldigen Eiszeit wohl nicht bierernst. Klimabesorgte Laborjournal-Leser mögen daher bitte vom Verfassen empörter Leserbriefe Abstand nehmen – zumal deren Beförderung ja nur unerwünschte Abwärme produzieren würde.

Doch ob es nun ein globaler Hitzeschock sein wird, der uns künftig zu schaffen macht, oder glaziale Eiseskälte – der Menschheit bleiben dutzende weitere Möglichkeiten, gewissenhaft ausgerottet zu werden, auch ohne größenwahnsinnige Präsidenten und atomraketengeile Diktatoren. In Exit Mundi hat Keulemans rund 30 davon aufgelistet und sorgfältig beschrieben. Jene unter uns, die schon immer wissen wollten, wie man die Menscheit möglichst elegant ausradiert, zermanscht, pulverisiert und beseitigt, finden darin eine mannigfaltige Auswahl der (laut Untertitel) „besten Weltuntergänge“. Wie wäre es zum Beispiel mit einem anständigen Gammablitz – einer kosmischen Superexplosion, die in Sekundenbruchteilen eine unvorstellbare Menge an Gamma- und Röntgenstrahlung ins Weltall schleudert? Laut Keule­mans versteht noch kein Astrophysiker genau, was ein solcher Gammablitz überhaupt ist („es steht lediglich fest, dass ein sich schnell drehender superschwerer Wolf-Rayet-Stern von innen heraus von einem schwarzen Loch verschluckt wird und ein Energiebündel aussendet“), doch hat der Holländer immerhin eine recht anschauliche Beschreibung anzubieten: „Ein schwarzes Loch verschluckt einen Stern und rülpst.“

Es regnet Salpetersäure

Die Konsequenzen eines solchen Blitzes jedenfalls wären laut Keulemans und den Astrophysikern und deren Nature-Artikeln, die er zitiert, enorm – selbst wenn er sich mehrere tausend Lichtjahre entfernt ereignen würde: Die Erd-Atmosphäre beginnt zu brennen, Wälder verkohlen, Meere trocknen aus – und die dem Blitz zugewandte Seite der Erdkugel wird augenblicklich sterilisiert. Die Atome der Atemluft kleben zu einer dreckig-braunen Stickstoffdioxid-Wolke zusammen, welche die Ozonschicht wegfrisst. Die DNA der wenigen Überlebenden wird vom nun ungefilterten UV-Licht der Sonne in Stücke geschossen, wir ersticken in Giftgas, es regnet ätzende Salpetersäure und es bricht eine Eiszeit aus (schon wieder...). Das alles „nur wegen eines albernen, zehn Sekunden dauernden Blitzchens aus dem Weltall“. Laut Keule­mans gibt es Wissenschaftler, die das Massenaussterben vor 443 Millionen Jahren im oberen Ordovizium mit einem solchen kosmischen Ereignis in Verbindung bringen, zumal damals hauptsächlich Arten rund um den Äquator überlebt hätten. Genau dort stellt man sich die Auswirkungen eines Gammablitzes am geringsten vor.

Gammablitze sind Ihnen als Biowissenschaftler zu abstrakt, zu weit hergeholt, zu physikalisch? Kein Problem – Keulemans, der übrigens auch eine populäre Website zum Thema betreibt (www.exitmundi.nl) bietet ein Füllhorn an Alternativen für die möglichst endgültige Menschheitsausrottung an. Wie wäre es zum Beispiel mit ...

  • ... dem schleichenden Verschwinden des Y-Chromosoms und damit der Männer? Derlei sei gemäß aktuellem Wissensstand durchaus im Rahmen des Möglichen, argumentiert Keulemans.
  • ... der weltumspannenden Superseuche, schrecklicher und tödlicher als Pest, AIDS und Ebola? Dass sie kommt, sei sicher – nur der Zeitpunkt ungewiss.
  • ... der stoßweisen Freisetzung unterseeischer Methanvorräte durch die Erderwärmung (und darauf folgende weltumspannende Tsunamis, Feuerstürme und vulkanische Winter)? Ein solches Szenario befürchten selbst einige grundseriöse Klimaforscher.
  • ... oder der Freisetzung eines gentechnisch erzeugten Superunkrauts durch Terroristen, Witzbolde oder schlampige Wissenschaftler? Je mehr sich die grüne Gentechnik durchsetze, desto wahrscheinlicher werde auch der Öko-GAU, schreibt Keulemans – mit der Folge, dass die Menschheit schlicht verhungere.

Füllhorn der Katastrophen

So weit hergeholt manches in Exit Mundi dargestellte Szenario auch wirken mag – der Rezensent hat nur ganz wenige Ungenauigkeiten oder gar Fehler im Buch gefunden – beispielsweise, dass durch einen globalen Atomkrieg „10.000 Millionen Menschen“ sterben würden. Dies ist allein deswegen nur schwer möglich, weil derzeit nur gut zwei Drittel davon auf der Erde herumlaufen. Auch dass sich ein Virus zu einer Bakterie, was die Ausmaße und Komplexität angeht, wie ein Flugzeugträger zu einem Ruderboot verhalten würde, ist natürlich falsch: Es ist genau anders herum (vermutlich nur ein Flüchtigkeitsfehler des Übersetzers).

Editorial

Editorial

Einem statistischen Denkfehler sitzt der Holländer auf Seite 95 auf: Natürlich ist es ungewöhnlich, dass eine französische Familie in neun Generationen 78 Töchter und keinen einzigen Sohn hervorbrachte – doch prompt die extrem geringe Wahrscheinlichkeit dafür auszurechnen ist Unsinn – und noch größerer Unsinn ist es, zu behaupten, diese Familie sei vermutlich „immun“ gegen das Zurweltbringen von männlichen Kindern geworden. Nein: So etwas kommt eben schon mal vor unter vielen Millionen französischen Familien. Die Hamburger Physiker und Statistikknobler Hans-Hermann Dubben und Hans-Peter Beck Bornholdt nennen so etwas „Ankläger-Trugschluss“: Auch wenn es extrem unwahrscheinlich ist, im Lotto zu gewinnen – irgendjemand gewinnt trotzdem, und der ist normalerweise eben kein Betrüger, sondern hatte nur Glück.

Lunares Bauschaum-Szenario

Ob groteske Weltuntergangs-Szenarien wie das „Isolieren des Mondes mittels Bauschaum“ oder das „Sperren des Golfstroms durch Atombomben beziehungsweise Schiffsladungen voller Salz“ wirklich möglich sind, übersteigt das physikalische Grundwissen des Rezensenten. Plausibel klingen die Argumente und Erklärungen von Keulemans jedenfalls. Lediglich beim angeblichen „Weltuntergang 2012“ ist Keulemans den Weltuntergangsesoterikern auf den Leim gegangen. Denn diese „alle 25.800 Jahre vorkommende, besondere Planetenstellung“ gibts gar nicht, versichern Astronomen. Insofern ist es müßig, dass Keulemans einem nicht existenten Phänomen die Eintreffenswahrscheinlichkeit „gering“ verleiht; richtiger wäre „null“.

Und dass vor 2.600 Jahren noch die „Urzeit“ geherrscht haben soll, wie der Autor im selben Kapitel schreibt, ist hoffentlich nur ein Übersetzungs- oder Schreibfehler: Zu dieser „Urzeit“ umsegelten die Phönizier Afrika, schlief Siddhartha Gautama unter einer Pappelfeige ein und erwachte als Buddha, und vermaß der griechische Philosoph Thales von Milet mit Hilfe eines Stabes die Höhe der Cheopspyramide, die damals auch schon schlappe 2.000 Jahre in der ägyptischen Wüste herumstand.

Für alle, die nach der Lektüre dieser lakonisch-frech niedergeschriebenen Weltuntergangs-Kollektion auf den Geschmack gekommen sind: Auf Youtube gibts mehr zum Thema – beispielsweise die gruselige Animation eines interstellaren Riesenbrockens, der zu Musik von Pink Floyd in den Pazifik platscht und flugs einen globalen Feuersturm entfacht, der binnen weniger Stunden 3,8 Milliarden Jahre Evolu­tion pulverisiert (mit „Asteroid Impact (HD)“ googeln). Wer sich danach noch den Director’s Cut von Armageddon (153 Minuten) in Blu-ray-Auflösung gibt, den können Bundestagswahl-Ergebnisse, pöbelnde Präsidenten oder Hitzerekorde nicht mehr kratzen.



Letzte Änderungen: 09.11.2017