Editorial

Buchbesprechung

Sigrid März




Hubert Rehm & Thomas Letzel:
Der Experimentator: Proteinbiochemie/Proteomics

Taschenbuch: 406 Seiten
Verlag: Springer Spektrum; Auflage: 7 (3. Juni 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3662488507
ISBN-13: 978-3662488508
Preis: 29,99 Euro (Softcover), 22,99 Euro (eBook)

Kein Handwerk ohne Lehrzeit!*

Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt – und wer im Labor künftig weniger schwitzen will, der lese diesen Ratgeber.


Sir John Carew Eccles war ein aufmerksamer Lehrling – oder er hatte gute Lehrbücher: 1951 entdeckte er in Oxford die synaptische Erregungsübertragung. Foto: John Curtin School of Med. Res., Australian National University

Zugegeben, etwas wehmütig ist die Rezensentin schon. Seufzend streicht sie über die zerfledderte, himmelblau-ummantelte Blättersammlung: Der Experimentator: Proteinbiochemie/Proteomics. Im Jahr 2002 war die vierte Auflage des Laborbank-Klassikers eines der ersten sinnvollen Anschaffungen in der noch jungen wissenschaftlichen Karriere der damals vollzeitstudierenden Teilzeit-TA, die sich – hört, hört – den „Luxus“ dieses Buches leistete. Ja, Herr Rehm, gekauft, nicht geklaut!

Jetzt gibt es also die siebte Auflage. Nicht nur die Farbe des Covers hat sich geändert, inzwischen betreut der Springer-Verlag die Experimentator-Reihe. Neurobiologe Hubert Rehm, bekannt als Laborjournal-Urgestein, Buchautor, spitzzüngiger Rezensent und Undercover-Reporter Siegfried Bär, hat sich bereits 2010 wissenschaftlichen Beistand in Form des analytischen Chemikers Thomas Letzel geholt. Gemeinsam haben die zwei die damals mit 266 Seiten um einiges schlankere vierte Version auf satte 406 Seiten erweitert, ich möchte nicht sagen: aufgebläht. Denn der gewachsene Umfang ist etlichen in den vergangenen Jahren immer wieder hinzugefügten neuen Methoden geschuldet.

Die Beschreibung klassischer biochemischer Methoden ist Pflicht: Proteinbestimmung, Elektrophorese, Blotting… – aber selbst die altbekannten Kapitel sind hier und da mit frischen Tipps aufgepeppt. Welches Molekül wie schwach oder fest und vor allem warum an Proteine bindet, das erfährt der geneigte Leser im Abschnitt über die Ligandenbindung, inklusive zahlreicher Anleitungen zur Messung dieser Verbindungen. Weiter geht es über Solubilisieren und Rekonstituieren zu den Chromatographien. Die (omnipräsenten) Antikörper haben Gesellschaft von ihren kleinen Brüdern, den Aptameren, bekommen. Am meisten zugelegt hat jedoch das Proteomik-Kapitel: Klar, Massenspektrometrie & Co entwickeln sich momentan schneller als ein Doktorand „ich-würde-dann-mal-gerne-zusammenschreiben“ sagen kann. SILAC, iTRAQ, SELDI – schon mal gehört?

Strategiebuch mit Nachschlage-Option

Gleich zu Beginn betonen die Autoren, dass sie weder ein Lehrbuch noch eine reine Methodensammlung zu verfassen gedachten, sondern ein „Strategiebuch“, welches zum Nachdenken, Hinterfragen und sogar Philosophieren anregen möge. Dennoch kann man im Biochemie-Experimentator natürlich auch fantastisch nachschlagen und nach Methoden graben. Beispielsweise auf Seite 8 (die im himmel­blauen Exemplar der Rezensentin ihre Bindung zum Restbuch eingebüßt hat und in der roten 2016er-Version zu Seite 9 geworden ist): Dort findet man eine Übersicht der Laufgeschwindigkeiten von Molekulargewichtsmarkern in SDS-Gelen. Oder man will wissen, welche Gelkonzentration für welches Protein passt? Braucht Ideen zur Immunpräzipitation? Hadert, ob man DARTS oder doch SPROX zur Quantifizierung von Protein-X-Wechselwirkungen benutzen soll? Experimentator aufschlagen, nachschauen, losexperimentieren!

Wem die Informationen im Buch nicht ausreichen, der findet am Ende jedes Kapitels die methodischen Originalarbeiten. Damit wird das Nachkochen oftmals erst möglich – oder eben auch nicht, wenn wichtige Details selbst in der Originalquelle fehlen. In diesen Fällen muss man eben selbst nachdenken – und bitte nicht jammern. Denn die Autoren lassen keinen Zweifel daran, dass Wissenschaft zumeist nicht Ruhm, Reichtum und Erfolg bringt, sondern befristete Arbeitsverträge mit frusterfüllter Nacht- und Wochenendarbeit, garniert mit misslungenen Experimenten. Wie sagte der weise Chemielehrer der Rezensentin an der BTA-Schule immer: „Wissenschaft ist ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.“

Dementsprechend lautet der Letzel-Rehmsche Aufruf: „Halten Sie durch! Oder lernen Sie gleich einen anständigen Beruf.“ Passend dazu sind alle Skizzen, Abbildungen und Tabellen in dezent-bedrückendem Schwarz-weiß gehalten.

Zu Wort kommt auch wieder Don Quijote, dem Forscher wesensverwandt in seinem einsamen Kampf gegen Windmühlen, und dennoch – wie dieser – nie hoffnungslos: „Wenn du diesen Vorschriften und Regeln folgst, Sancho, sagte Don Quichotte, so werden deine Tage lange dauern, dein Ruhm wird ewig, deine Belohnung groß, dein Glück unaussprechlich sein.“ [S. 189]

Es sind Wahrheiten wie diese, welche die Experimentator-Reihe aus dem dröge-einheitlichen Forschersachbuchbrei herausleuchten lassen. Und so zeichnet sich auch der „Rehm/Letzel“ nicht nur durch Praxisnähe und Fachkenntnis aus. Der Ton des Buches ist gewohnt „unakademisch“ augenzwinkernd, so dass – wenn einem schon die Experimente die Tränen in die Augen treiben – wenigstens der Blick ins Buch ein Lächeln in das müde, fahle Forscherantlitz zaubert. Kurzum: Da gibt es nichts zu meckern, aber eine Menge nachzuschlagen.


*Jean de La Bruyère
(1645-1696), französischer
Moralist und Aphoristiker




Letzte Änderungen: 10.11.2016