Editorial

Buchbesprechung

Uli Ernst




Maurice Maeterlinck:
Das Leben der Bienen (orig. „La vie des abeilles”, 1901).

Taschenbuch: 256 Seiten
Verlag: Unionsverlag; Auflage: 1 (25. Februar 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3293205968
ISBN-13: 978-3293205963
Preis: 12,95 Euro (Taschenbuch), 7,99 (Kindle Edition)


Literarisch, phantastisch, philosophisch, blumig: Das Leben der Bienen von Nobelpreisträger Maurice Maeterlinck.

Kleinode der Wissenschaftsliteratur (6): Das Leben der Bienen
Reich an Metaphern

Dass man sich auch jenseits von Moden und apokalyptischen Wehklagen mit Honigbienen beschäftigen kann, beweist der Belgier Maurice Maeterlinck mit seinem 1901 erschienenen Klassiker.

Bienen sind wieder „in“ – auch weil manche fürchten, Bienen wären bald ganz „out“, nämlich vom Erdboden verschwunden: Colony Collapse Disorder und Varroa-Milben, frustrierte Imker und medial gepushte Dokudramen mit Weltuntergangs-Kolorit – es herrscht Panikmache allerorten um die kuscheligen Honigproduzenten. Somit war es für den Unionsverlag Zürich ein ökonomisch gesehen idealer Zeitpunkt, 2011 die deutsche Übersetzung von Maurice Maeterlincks La vie des abeilles (Das Leben der Bienen) wiederzuveröffentlichen. Exakt 110 Jahre zuvor war Maeterlincks Fachwerk erstmals erschienen, zehn Jahre später hatte der belgische Dramatiker und Plagiator „auf Grund seiner vielseitigen literarischen Wirksamkeit“ sogar den Literatur-Nobelpreis erhalten. Maeterlincks Bienenbuch war 1901 ein Bestseller. Der Unionsverlag behauptet gar, dass es inhaltlich bis heute aktuell sei.

Das stimmt leider so nicht. Über so manche Vorgänge im Bienenstock, zu denen Maeterlinck seinerzeit nur wild spekulierte, wissen wir heute deutlich mehr; anderes ist schlichtweg falsch. Viele Mutmaßungen des Belgiers ranken sich ums Schwärmen – den Auszug zehntausender Bienen, um mit der alten Königin ein neues Nest zu gründen – und dieses Verhalten etwa verstehen wir heute deutlich besser als vor hundert Jahren (siehe auch „Learning from Nature“ in Lab Times 6/2012, Seite 60).

Auch der Ansatz, für manche Verhaltensweisen die „Arterhaltung“ als Erklärung heranzuziehen, ist seit mittlerweile über 50 Jahren obsolet. Im ganzen Buch finden sich zudem immer wieder Fehler, die zum Teil auch schon zur Zeit der Entstehung des Werks als solche erkennbar gewesen sein müssen. Hier wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Verlag Maeterlincks Werk mit einem fachkundigen Kommentar versehen hätte, der behutsam einige Aspekte aus heutiger Sicht darstellt. Stattdessen befindet sich in der vorliegenden Ausgabe ein Aufsatz des österreichischen Schriftstellers Gerhard Roth, der schon alleine deshalb zu Maeterlinck passt, weil er in dieselben Denkfallen tappt – etwa bei der Frage, ob Parasiten jemals ihren Wirt ausgerottet haben (ja, das kann leider vorkommen!). Roth wird als Romancier durchaus geschätzt und hat auch schon früher über Bienen geschrieben – nur macht das seine fehlerhaften Einlassungen zur Bienenbiologie nicht richtiger.

Neben den fachlichen Richtigstellungen verdienten auch Maeterlincks Überlegungen zur Evolution (er spricht von „Entwicklung(slehre)“) der Honigbienen und anderer Bienen einige Erläuterungen zu Kontext und Ideengeschichte, die dem heutigen Leser das Verständnis erleichtern würden.

Aber man wird Maeterlincks Werk nicht gerecht, wenn man es nur als naturgeschichtliches Sachbuch lesen möchte, was er selbst auch nie beabsichtigt hat. Schließlich hat Maeterlinck den Nobelpreis 1911 nicht für Physiologie oder Medizin, sondern „für seine dramatischen Schöpfungen, die sich durch Phantasiereichtum auszeichnen“, erhalten. Zurecht verweist er auch darauf, daß man „den Wahrheiten eines Zeitalters nie rückhaltlos“ vertrauen darf. Wesentlicher also als manche Details zur Biologie der Bienen sind die poetische Sprache und der Blickwinkel auf die Bienen – wobei von Bienen zu sprechen nur dem spröden Rezensenten einfällt, bei Maeterlinck sind es „Sonnenkinder, herrliche Lichttropfen, emsige Jungfrauen, geflügelte Knechte der Blumen, jungfräuliche Schnitterinnen“, die denn auch keinen Nektar sammeln, sondern „keuschen Blumenwein“. Honig ist entsprechend „ein vormals verwandelter Wärmestrahl, Ertrag riesiger Lichtmeere, Geist der Blumen“, das Wachs ist „die Seele des Honigs“, und die Königin die „Sklavin der Liebe, heilige Trägerin der Zukunft, königliche Magd, praktische Barbarenkönigin, das sklavische Herz des Schwarms“.

Bei so vielen phantastischen Metaphern und blumigen Beschreibungen (gelegentlich ist man geneigt, von Schwulst zu sprechen) kann sich einem auch ohne Blumenwein der Kopf drehen, und vielleicht muss man dem Übersetzer dankbar sein, dass er gelegentlich doch einfach „Biene“ schreibt, wo im Original die „sagenhaften Töchter des Aristaios“ geschrieben steht.

Blumige Beschreibungen

Dem Rezensenten schmeckte die in die Jahre gekommene Wortwahl durchaus. Sehen wir Maeterlinck also kleinere Mängel nach, lassen uns mitreißen von der poetischen Sprache und der Begeisterung für „nächst dem Menschen unzweifelhaft die intelligentesten Bewohner dieses Erdballs“ – und verzeihen ihm die altbackene Esoterik, wenn er auch Pflanzen und Kristallen eine Klugheit zuspricht. Dass er in seiner anthropomorphen Sichtweise den Bienen wie auch der Natur gar Gedanken und Absichten unterstellt – sei’s drum! Maeterlinck ist da am stärksten, wo er die Wunder des Bienenvolks beschreibt, etwa den nahezu perfekten Wabenbau, das Schwärmen mit der Nestgründung und die Koordination der abertausend Individuen.

Daneben finden sich einige kluge Beobachtungen und Einsichten in das Wesen der Menschen, aber auch langatmige, philosophierende Exkurse, die wenig mit Bienen zu tun haben. Insgesamt bleibt „Das Leben der Bienen“ ein begeisternder Einstieg in die Wunderwelt der Honigbiene – wenn auch von der fachlichen Seite kommentierungsbedürftig.




Letzte Änderungen: 13.06.2016