Editorial

Buchbesprechung

Karin Hollricher




Stefano Manusco & Allesandra Viola:
Die Intelligenz der Pflanzen.

Gebundene Ausgabe: 172 Seiten
Verlag: Kunstmann, A; Auflage: 1 (11. Februar 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3956140303
ISBN-13: 978-3956140303
Preis: 19,95 Euro (gebundene Ausgabe), 15,99 Euro (Kindle Edition)

Sind Pflanzen intelligent?

Darüber kann man streiten – und Bücher schreiben.

Pflanzen sind intelligent. Mit dieser These hat schon Charles Darwin in ein Wespennest gestochen. Der italienische Biologie-Professor Stefano Manusco tut es ihm nach, mit Leidenschaft und mit Unterstützung der italienischen Wissenschaftsjournalistin Alessandra Viola. In ihrem gemeinsamen Buch Die Intelligenz der Pflanzen gehen die beiden noch weiter. Pflanzen seien wie das Internet, ein lebendiges Web 2.0. Ihre Wurzeln verfügten über Schwarmintelligenz. Pflanzen hätten Würde und Rechte, der Umgang mit ihnen dürfe nicht willkürlich sein, ihre wahllose Zerstörung sei ethisch nicht zu rechtfertigen. Das erscheint den meisten Lesern vermutlich ungewohnt, ja unsinnig. Ist es das auch?


Anfang März in Le Monde: Erneut thematisiert eine große Zeitung die steilen Thesen des italienischen Botanikers Stefano Manusco. Fotos (3): Le Monde

Seit vielen Jahren halten wir Tiere für intelligent. Diese These war früher auch umstritten, aber seit wir wissen, dass Rabenvögel komplexe Probleme sogar „um die Ecke“ lösen können, Schimpansen und Oktopusse Werkzeuge verwenden, andere Tiere Gesichter erkennen oder zählen können, haben wir sie akzeptiert.

Alle Tiere haben jedoch ein Gehirn, und sei es noch so winzig. Pflanzen haben das nicht. Zwar meinte Darwin in einem seiner (leider wenig bekannten) Botanikwerke, dass Wurzelspitzen wie ein Gehirn niederer Tiere funktioniere. Aber mal ehrlich, das glauben wir doch alle nicht. Nicht mal Manusco, illustrer und wortgewandter Chef des Internationalen Labors für Pflanzenneurobiologie in Sesto Fiorentino, einer Kleinstadt in der Nähe von Florenz. Mehrfach weisen er und seine Co-Autorin darauf hin, dass Pflanzen kein Hirn haben, auch kein Organ, das diesem ähnelt. „Doch warum müssen wir ihnen darum jede Intelligenz absprechen“, setzen die beiden nach. „Warum wirkt der Begriff Intelligenz bloß so fehl am Platz, wenn wir ihn auf das Pflanzenreich anwenden?“

Die Antwort darauf könnte lauten: Was ist eigentlich Intelligenz? Erst wenn wir dafür eine allgemeingültige Definition hätten – und die haben die Lebenswissenschaftler/Mediziner/Experten für künstliche Intelligenz alle nicht – könnten wir wirklich sagen, ob sie in der Flora existiert oder nicht. Manusco und Viola definieren als Intelligenz, dass man seine Umgebung wahrnehmen, Probleme erkennen und diese lösen kann. Das alles gelinge dem Grünzeug, deshalb sei es intelligent, so die Autoren. Nach dieser Definition wären aber auch Bakterien intelligent.

Pflanzen nehmen ihre Umwelt wahr

Dass Pflanzen ihre Umwelt wahrnehmen können, wissen wir schon, seit Charles Darwin sein Buch The Power of Movements in Plants veröffentlichte. Die moderne Biologie hat seine Beschreibungen in vielfacher Weise bestätigt, und in den letzten zwanzig Jahren viel Neues entdeckt. Pflanzen können Licht, volatile und nicht-flüchtige Moleküle ebenso wahrnehmen wie Gravitation und mechanische Einflüsse – was die Autoren als Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen bezeichnen. Auch sollen Pflanzen hören können. Naja, Ohren haben sie nicht, aber anscheinend können sie langwellige, elektromagnetische Schwingungen und Vibrationsschwingungen wahrnehmen. Und gleich fünfzehn weitere „Sinne“ schreiben die Autoren dem Grünzeug zu.

Leider lassen sie die Leser im Unklaren darüber, welche diese sind. Immerhin setzen sie diese „Sinne“ wie die Rezensentin in Anführungszeichen. Sonst müssten wir hier noch diskutieren, was ein Sinn ist. Ob das Sinn macht? Die Verwendung von Begriffen, die enge Parallelen zwischen tierischer und pflanzlicher Informationsverarbeitung ziehen, ist jedenfalls ziemlich provokant und geeignet, darüber zu streiten.

Dass die meisten Menschen das Grünzeug um sie herum kaum wahrnehmen (es sei denn, es liegt in der Gemüsetheke eines Supermarkts) und seine Fähigkeiten nicht kennen, liegt erstens an mangelndem Interesse (kann man bei jeder neuen Generation Biologiestudenten sehen) und zweitens wohl daran, dass sich Pflanzen eben total unauffällig verhalten. Sie bewegen sich zwar, aber sehr, sehr langsam. Sie kommunizieren mit ihresgleichen, Freund und Feind gleichermaßen, und sogar mit Tieren, aber eben lautlos. Sie sind extrem sensibel, kommen mit Problemen klar und sind wirklich gute Kommunikatoren.

Diese Botschaft in der Welt zu verbreiten, nämlich Menschen für ihre florale Umwelt zu sensibilisieren, ist auf jeden Fall eine sehr gute Idee, die in den letzten Jahren von mehreren Autoren umgesetzt wurde.

Leider ist das Buch von Manusco/Viola nicht das beste davon. Es wirkt mitunter langatmig, ist nicht frei von Wiederholungen. Hier hätte die preisgekrönte Co-Autorin ruhig mal beherzter eingreifen sollen. Lassen wir die Diskussion über Pflanzenneurobiologie und Intelligenz mal beiseite – was bietet das Buch? Für den botanisch zumindest halbgebildeten Leser wenig Neues; diesen sei ein etwas älteres Werk empfohlen: Was Pflanzen wissen von Daniel Chamovitz (Carl Hanser, 2013). Wer hingegen gar keine Ahnung von den Wahrnehmungs- und Kommunikationsmöglichkeiten in der Flora hat, der kann auch zu Manusco/Viola greifen.




Letzte Änderungen: 29.03.2016