Buchbesprechung

Hubert Rehm

Editorial

Frank Darabont:
The Walking Dead

US-Fernsehserie von Frank Darabont, basierend auf der gleichnamigen Comicserie von Robert Kirkman und Tony Moore.
Start: Oktober 2010, seither fünf Staffeln mit insgesamt 67 Folgen zu je 43 Minuten.
Die ersten vier Staffeln sind bislang als DVD-/Bluray-Boxen erhältlich
(pro Box je nach Anbieter 20 bis 27 Euro).
Vertrieb über Entertainment One/WVG.

Laufend laufende Tote – warum nur?

„Als es anfing, waren es nur ein paar seltsame Meldungen in den Nachrichten.“ – Polizist Shane in The Walking Dead


Foto: WVG Medien

Editorial

Zombies gibt es wirklich. Laborjournal 5/2012 schildert beispielsweise die Geschichte des Pilzes Ophiocordyceps unilaterales, dessen Sporen Rossameisen zu willenlosen Vehikeln ihrer Fortpflanzung machen. Aber menschliche Zombies? Auch sie gibt es – zumindest im Film. Als erster Zombiefilm gilt Night of the Living Dead von George Romero aus dem Jahre 1968. Der erste Zombie jedoch trat in einem deutschen Film auf, in Das Kabinett des Dr. Caligari von Robert Wiene aus dem Jahre 1920 (zu sehen bei YouTube). Der Film blieb, trotz seiner Art-Deco-Bühnenbilder, ohne Nachahmer. Doch auch Wiene hat den Zombie nicht erfunden.

Vielmehr ist in Europa seit Jahrtausenden die Vorstellung des Wiedergängers verbreitetet, also einer Leiche, die wiederaufersteht, um die Lebenden zu quälen. Daher wurden Leichen, die man des Wiedergehens verdächtigte, Pflöcke ins Herz getrieben, Steine in den Mund gepreßt oder ihr Brustkorb mit Steinen belastet. Wiedergänger-Bestattungen finden sich häufig in mitteleuropäischen Gräbern des 17. Jahrhunderts, treten aber auch schon Jahrtausende früher auf. Selbst in der Bibel gibt es Wiedergänger: Jesus und Lazarus.

Als filmgeschichtlich wirkungsmächtiger als die alteuropäischen Wiedergänger erwiesen sich Mythen, die von zentralafrikanischen Sklaven nach Haiti verpflanzt wurden. Sie berichten von Menschen, die mit Hilfe von Drogen, angeblich Tetrodotoxin (siehe Laborjournal 10/2005, Seite 96/97) und Scheinbegräbnissen willenlos gemacht wurden. Als die US-Amerikaner Haiti von 1915 bis 1934 besetzten, um den Einfluß deutscher Siedler zu unterdrücken, nahmen sie diese Vorstellungen auf. So beschrieb der Schriftsteller, Okkultist und Alkoholiker William Bühler Seabrook (1884-1945) in dem Buch The Magic Island 1929 den haitianischen Voodoo-Kult und seine Zombies. 1932 drehte Victor Halperin (1895-1983) mit White Zombie den ersten amerikanischen Zombiefilm (zu sehen bei YouTube). Seabrooks Buch wiederum inspirierte Romero zu seinem Film Night of the Living Dead. Der löste die Welle von Zombie-Filmen aus, die bis heute in die Kinos schwappt. Wie die ebenfalls grausig-­ekligen Marshmellows, Hotdogs und Softdrinks sind sie eine US-amerikanische Spezialität.

Matschbirnen können nicht pipettieren

Vorläufiger Höhepunkt der Zombie-Welle ist die TV-Serie The Walking Dead des Senders Fox. Der Ausbruch einer Seuche verwandelt den größten Teil der Menschheit in Zombies oder Streuner wie sie in The Walking Dead heißen. Von Streunern gebissene Menschen bekommen Fieber und sterben nach spätestens acht Stunden. Fast unmittelbar danach erwachen sie als Zombies und entwickeln eine graue Hautfarbe, Ekzeme, Eiterungen, Haarausfall, Linsentrübung, Knochenerweichung der Schädelkapsel (Matschbirnen) und gieren nach Frischfleisch. Die höheren Hirnpartien sterben ab, das Stammhirn bleibt funktionstüchtig. Daher der unsichere Gang der Streuner. Auch sind sie unfähig zu höheren Hirnleistungen, sie können beispielsweise nicht pipettieren. Abgesehen von einem Giergrunzen können Streuner auch nicht sprechen. Sie können aber sehen, hören und riechen; auch folgen sie einem Herdentrieb. Streuner wanken gerne in Richtung eines Geräusches und kommen dort in Horden an, die selbst gut bewaffneten Menschen gefährlich werden können. Denn Streuner kennen keine Angst. Haben sie Frischfleisch erkannt, schlurfen sie stur darauf zu, selbst Kugeln können sie nicht abhalten – es sei denn, die Kugel trifft das Stammhirn. Sie ähneln darin verblüffend den Wehrmachtssoldatendarstellern in amerikanischen Kriegsfilmen der 1960er- und 70er-Jahre.

Sex findet bei Streunern trotz der Stammhirnsteuerung nicht statt, was vielleicht an ihrem ungepflegten Aussehen liegt, aber wahrscheinlich entstehen sexuelle Phantasien im Vorderhirn und das ist ja bei Streunern abgestorben.

Kein Sex mangels Vorderhirn

Mitten durch diese Streunerhorden, mitten durch den US-Staat Georgia, zieht der ehemalige Polizist Rick Grimes mit seinem Sohn Carl und anderen Überlebenden. Er trifft auf gut gezeichnete Charaktere aus den verschiedensten sozialen Schichten, auf Republiken und Diktaturen, auf gläubige Christen und auf Kannibalen. Die sozialen Gewichte haben sich verschoben: Der vormals verachtete „White Trash“, in der Serie dargestellt in Form der Gebrüder Dixon, zeigt sich unter den neuen Bedingungen der alten Elite überlegen. Die Moral ist – untypisch für US-amerikanische Serien – fließend und unbeständig: Alles wankt und auch Held Rick zeigt scheinheilige Schattenseiten. Selbst die Dogmen der politischen Korrektheit zerbröseln: Die Frauen waschen für die Männer und zwar mit den Händen!

The Walking Dead ist also keine B-Produktion. Neben Kutteln, Kunstblut und Kadavern wurde auch Hirnschmalz und eine Prise Humor investiert – freilich bedeutend mehr Kutteln als Hirnschmalz und Humor.

So infizieren Streuner Menschen mit Bissen. Es wäre also zu erwarten, dass Rick und seine Genossen dicke Kleidung, Gesichtsschutz und Schals tragen. Aber das tun sie nur am Anfang. Später schlachten Rick et al. die Streuner in kurzärmligen Hemden ab, wobei ihnen das Streunerblut ins Gesicht, auf die Lippen und in die Augen spritzt. Überträgt Blut den Erreger nicht?

Realistisch dagegen schildert The Walking Dead, dass zuerst die großen Städte von Streunern überrannt werden: Eine Studie der Cornell University bestätigt dies (Spiegel online vom 25.02.2015).

Symptome ähnlich wie bei Alzheimer

Die Streuner-Symptome liegen noch im Rahmen dessen, was auch bei herkömmlichen Krankheiten beobachtet werden kann. Bei Alzheimer beispielsweise kommt es ebenfalls zu Gewebeschwund in der Großhirnrinde und zu Sprachstörungen. Die Gier nach frischem Fleisch findet sich bei manchen Besessenen, Knochenerweichung tritt bei Vitamin-D-Mangel auf, und Haarausfall und Linsentrübung treffen eh die meisten – wenn sie nur alt genug werden.

Schwer zu erklären, aber typisch für Streuner ist jedoch, dass sie nur durch Zerstören des Stammhirns oder Verbrennen getötet werden können. Selbst ein Herzschuß wirkt nicht tödlich und ein abgeschlagener Kopf kann noch monatelang beißen (aber nicht mehr laufen). Der Streuner benötigt also keinen Blutkreislauf und seine Gewebe keinen Sauerstoff. Das scheint der biologischen Logik ebenso ins Gesicht zu schlagen wie die Schuhe, die die Streuner tragen, der physikalischen Vernunft: Nachdem sie damit teils jahrelang Tag und Nacht über Stock und Stein schlurften, müsste ihnen das Schuhwerk in Fetzen von den Füßen hängen. Tut es aber nicht. Nun, vielleicht stellt die amerikanische Schuhindustrie inzwischen Produkte her, deren Qualität weit über dem liegt, was wir von Europa her gewohnt sind. Der Stoffwechsel der Streuner jedoch stellt ein Problem dar, das den Rahmen herkömmlicher Biochemie und meinen Kopf sprengt: Wie können die Streuner mit einer Ratte oder etwas Hundefleisch monatelang ohne oxidative Phosphorylierung durchhalten?

Richtig, die Zombie-Zellen könnten zur ATP-Produktion auf die Glykolyse umstellen. Doch liefert die wenig ATP. Zudem fressen Streuner ja nicht Kartoffeln, sondern ausschließlich Frischfleisch, müßten also glucogene Aminosäuren verwerten. Die Glykolyse würde den Heißhunger dieser Kreaturen erklären, nicht aber ihre Ausdauer und schon gar nicht, wie die glucogenen Aminosäuren aus dem Darm in die Muskeln und ins Hirn kommen.

Der Zombie-Erreger muss neue Stoffwechselwege anstoßen. Dafür spricht, dass in keiner Folge von The Walking Dead die Zombies Urin oder Kot ausscheiden. Sie riechen auch nicht nach Scheiße, sondern nach Tod (Wie riecht der Tod? Hierzu Hemingways Whom the Bell Tolls). Offensichtlich wird alles, was zugeführt wird, vom Streuner verwertet. Aber wie? Katalysiert der Erreger in den Zombie-Zellen vielleicht eine kalte Fusion, die zu einer ATP-Produktion ungeahnten Ausmaßes führt? Ist dazu eine nur in Frischfleisch vorhandene Substanz nötig? Fragen über Fragen, auf die es vorläufig keine Antwort gibt.

Das liegt unter anderem an der wissenschaftsfeindlichen Einstellung von The Walking Dead. Keiner kommt auf die Idee, einem Streuner mal ein Thermometer in den Hintern zu schieben oder zu prüfen, wie er sich in einer Kühlkammer verhält, oder nach Giften zu suchen, die ihn lahmlegen. Dabei wären genügend Versuchsobjekte vorhanden! Stattdessen verlegen sich Rick & Co aufs philosophische Sprücheklopfen, bei dem auch in The Walking Dead nichts herauskommt außer billig gedrehter Sendezeit.

Wissenschaftliche Schwächen...

Der einzige Wissenschaftler, der auftritt (in Staffel 1, Episoden 5 und 6), ist Dr. Edwin Jenner vom Zentrum für Seuchenbekämpfung. Jenner ist anscheinend Professor, also ein hauptberuflicher Antragschreiber und Vortragshalter, denn im Labor stellt er sich tolpatschig an und schüttet aus Unachtsamkeit konzentrierte Salpetersäure über seine Proben. Ohne seine Armee von Postdoks und Doktoranden ist er hilflos, aber die sind ihm davon gelaufen und deswegen weiß er über den Erreger nichts zu sagen, außer, dass er sich wie Meningitis über das Hirn ausbreite. Das sagt wenig, da eine Hirnhautentzündung von vielen Erregern ausgelöst werden kann. Ahnung habe nur seine Frau, sagt Jenner noch. Aber das hilft auch nicht weiter: Jenners Frau wurde schon vor Wochen zombisiert.

Trotz dieser wissenschaftlichen Schwächen hat The Walking Dead Erfolg: Fox strahlt inzwischen die fünfte Staffel aus. Das kann nicht nur an der Musik von Tom Waits, Jamie Commons und Bob Dylan liegen, mit der manche Episoden unterlegt sind. Was also finden die Leute so spannend an diesem endlosen Köpfezerplatzen, Schädel einschlagen und Bäuche aufreißen? Was fasziniert sie an dieser Gedärme-, Blut- und Fressoper?

...aber ein Paradies (für Männer)

Rick Grimes Welt ist ein Paradies – zumindest für Männer. Die Streunerwelt ist frei von den Zwängen der Moderne. Weder Streuner noch Menschen arbeiten; die Menschen plündern die Supermärkte, die Streuner fressen die Menschen – so sie welche erwischen. Es gibt keine Obrigkeit, kein Geld und keine Hypotheken, keine Rentenansprüche und keine Parkplatzsorgen, keine Steuerbehörden und kein Amt für öffentliche Ordnung. Man kann nehmen was man will und soviel man tragen kann. Es gehört einem nur das, was man am Leibe trägt, und es gibt nur eine Regel – Streunerschädel zertrümmern – und nur eine Pflicht: überleben. Man treibt von einem ausgeplünderten zu einem noch nicht ausgeplünderten Ort; die Welt sieht aus wie die Küche einer Studenten-WG. Im Streunerland herrscht ein bürokratiefreier Kommunismus vereint mit der größtmöglichen Anarchie. Der Mensch lebt – solange er lebt – in einem schrankenlosen Abenteuer und danach winkt ihm die Unsterblichkeit als stammhirngesteuerter Frischfleischfresser. Nach solch einem Leben scheinen sich die Verdammten der Moderne zu sehnen, denn nicht nur die US-Amerikaner treibt ein Unbehagen an ihrem Leben um. Sie hassen ihr weichgekochtes, sinnloses Konsumentendasein, die langweilige Arbeit, den stumpfsinnigen ewigen Trott, sie fürchten ein Ende in Armut und Einsamkeit, das Absterben als Zombie in einem Altersheim.

Der von der Streunerseuche ausgelöste Zusammenbruch würde den dressierten Bürger in eine Welt neuer Möglichkeiten schleudern. Eine Krise kann ihm nicht helfen, er braucht die Apokalypse.



Letzte Änderungen: 02.06.2015