Editorial

Buchbesprechung

Winfried Köppelle





Friedemann Schrenk:
Die Lehre vom fossilen Menschen: Friedemann Schrenk über paläoanthropologische Forschung.

Konzeption und Regie: Klaus Sander
Audio CD
Verlag: supposé; Auflage: 1 (April 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3863850041
ISBN-13: 978-3863850043
Preis: 22,80 EUR



Walter J. Gehring:
Das Basteln der Evolution. Walter J. Gehring erzählt eine genetische Theorie der Entwicklung.

Konzeption und Regie: Klaus Sander
Audio CD
Verlag: supposé; Auflage: 1 (April 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3863850076
ISBN-13: 978-3863850074
Preis: 22,80 EUR

Wissenschaftler erzählen über ihre Forschung
Profession und Passion

Warum es für Friedemann Schrenk wichtig ist, Fossilien zu „begreifen“, und welche Bedeutung Schweinezähne für den Urzeitforscher haben.

Hörbücher scheinen „in“ zu sein, wie eine nicht repräsentative Befragung im Bekanntenkreis ergab. Dort allerdings kursieren eher fragwürdige Werke wie Hummel­dumm (Schenkelklopfer-Comedy) und Der Knochenbrecher (Brutalo-Thriller). Der Berliner Verleger Klaus Sander würde so etwas nicht mit der Kneifzange anfassen, und ohnehin mache er ja keine Hörbücher, wie er gerne betont. Sein Verlag namens Supposé bringe vielmehr Erzählungen heraus: In freier Rede und ohne Zwischenfragen erzählen da Wissenschaftler ihre Profession, die für sie hör- und spürbar zur lebenslangen Passion geworden ist. Dies mag für Außenstehende jetzt nicht gerade mitreißend klingen, doch glauben Sie mir: Sie werden keine Minute bereuen, die sie den nachfolgend vorgestellten Supposé-CDs gelauscht haben.


Der Paläobiologe Friedemann Schrenk. Foto: Senckenberg

Mehrmals schon haben wir in Laborjournal Sanders Produktionen vorgestellt – beim ersten Mal ungnädig, danach überwiegend begeistert. Neulich erhielten wir zwei seiner letzten Veröffentlichungen: den 128-minütigen Monolog des Frankfurter Paläobiologen Friedemann Schrenk und den kaum kürzeren des Baseler Genetikers Walter Gehring „über eine genetische Theorie der Entwicklung“. Beide sind hörenswert, jedoch vermochte Schrenks sehr persönlich geratener Abriss über die Erforschung der Menschwerdung besser zu gefallen, nicht zuletzt weil er einen audiogeneren Redestil pflegt. Gehrings alemannisch eingefärbte Ausführungen sind jedoch ein Vermächtnis: Der Entwicklungsbiologe verünglückte im Mai bei einen Autounfall tödlich.

Am Kaminfeuer mit Friedemann Schrenk

Die bedächtig-sonore, leicht schwäbeln­de Stimme des am Senckenberg-Institut forschenden Schrenk fasziniert den Hörer von der ersten Minute an. Man sitzt mit dem Frankfurter sozusagen Seite an Seite am heimischen Kaminfeuer und lässt sich von ihm sein Leben und seine interessantesten Erlebnisse aus 35 Jahren Forschungstätigkeit schildern.

Das beginnt 1981, in dem der junge Student Schrenk in Johannesburg sein, wie er es nennt, „Schlüsselerlebnis zur Paläoanthropologie“ erlebt: Er untersucht unter dem Rasterelektronenmikroskop den Oberarmknochen einer Antilope, der laut vorherrschender Expertenmeinung vor drei Millionen Jahren afrikanischen Vormenschen als Werkzeug gedient haben soll – und findet heraus, dass die vermeintlich urzeitlichen Benutzungsspuren nicht von Australopithecinen stammen, sondern von heutigen Forschern, die das Fossil jahrzehntelang immer wieder in die Hand nahmen und es dabei unabsichtlich im Sinne ihrer Theorie „in Form“ schmirgelten.

Mit Reflexionen darüber, dass die Wissenschaftler weltweit bislang nie die Originale ihrer berühmten Fossilien zur selben Zeit miteinander vergleichen konnten, geht es weiter, und dass es nur ein paar tausend Fragmente von fossilen Menschen auf der Welt gebe – somit weit mehr Hominidenforscher als Hominidenfunde.

Schrenk plaudert aus dem Nähkästchen seiner Zunft; er erzählt, warum die Forscher gelegentlich versuchten, sich gegenseitig ihre Fundstellen abzujagen, und über die erschreckend engstirnigen, spätkolonialen Anwandlungen deutscher Geldgeber. Diese würden nämlich oftmals nicht verstehen, dass die Fundorte von Vor- und Frühmenschen sämtlich in afrikanischen Ländern und damit unter deren Rechtshoheit liegen – und dass man deshalb mit den dortigen Wissenschaftlern kooperieren müsse.

Das Prinzip der radiometrischen Datierung erläutert er am Beispiel der C14-Methode, die zwar für Urmensch-Fossilien ungeeignet ist, mit der es aber 1959 gelang, den 47 Jahre zuvor gefundenen „Piltdown-Menschen“ als Fälschung zu entlarven: Dies zeige mustergültig, „wie verblendet man als Wissenschaftler sein kann, wenn ein plump gefälschtes Fossil auftaucht, das aber eben genau ins eigene Weltbild passt“.

Schweinezähne und Ammoniten

Der Hörer erfährt, dass Schweinezähne und Ammoniten wunderbare Leitfossilien sind, und wie einst ein paar Schweinezähne dabei mithalfen, eine fehlerhafte Datierung zu korrigieren.

„Mir ist es egal, in welche taxonomische Schublade ein Organismus gehört“, sagt Schrenk. Namen seien Schall und Rauch. „Mich interessiert, wie er konstruiert war, was er in einer bestimmten Umwelt leistete und wie er in diese eingepasst war.“




Letzte Änderungen: 04.11.2014