Editorial

Buchbesprechung

Winfried Köppelle




Jaroslav Vogeltanz & Paolo Molinari:
Wölfe – Jäger der Nacht.

Gebundene Ausgabe: 126 Seiten
Verlag: Österreichischer Jagd- u. Fischerei-Vlg; Auflage: 1., Aufl. (3. Juni 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3852081106
ISBN-13: 978-3852081106
Preis: 39,00 EUR

Verkannter Feind

Der in unsere Wälder zurückkehrende Wolf könnte ein Freund überforderter Jäger werden. Wenn sie ihn lassen.

Zu Zeiten der Brüder Grimm und auch noch vor 70 Jahren hätte man ihm keinen opulenten Bildband gewidmet. Man hätte ihn gehasst, gehetzt, abgeknallt und hinter dem blutigen Balg als Trophäe für ein Siegerfoto posiert. Auf Seite 17 sind einige davon abgedruckt – anachronistisch anmutende Dokumente aus einer anderen Zeit, die an die letzten, die Südostalpen durchstreifenden Graupelze erinnern. Der Wolf auf der unteren Bildhälfte zum Beispiel, laut Gedenkpostkarte ein „38,6 kg wiegendes Tier mit 32 mm langen Reißzähnen“,

hauste durch [sic!] ca 4 Jahre am Südhang des Dobratsch und vertilgte mehrere 100te Reh und Gemsen, 50-60 Schafe, Kälber und riß auch 2 Fohlen an.

An der Treibjagd am 28. Jänner 1938 hätten sich 58 Jäger und 62 Treiber beteiligt, erfahren wir weiter. Der wohl letzte seiner Art in ganz Kärnten hatte keine Chance: Mit weit aufgerissenem Maul liegt er im Schnee und ist mausetot, daneben posiert mit Schnauzbart und Seppelhut sein Vollstrecker. Der dürfte inzwischen auch das Zeitliche gesegnet haben. Auf dem vergilbten Bilddokument macht die gemeuchelte Tierleiche eine bessere Figur als der linkisch wirkende Mensch.


Foto: J. Vogeltanz

Der böse Wolf...

Ironischerweise ist es ausgerechnet ein „Jagd- und Fischerei-Verlag“ aus Österreich, der dem in klassischen Tierfabeln „Meister Isegrim“ genannten Graupelz ein Denkmal setzt. Aber die Alpenländer sind den Deutschen ja in vielerlei Hinsicht voraus – sie haben die besseren Skifahrer, die freundlicheren Gastronomiemitarbeiter und das anspruchsvollere Rundfunkprogramm (die charmanteren Kriminalromane sowieso – ein bewundernder Gruß an Wolf Haas!).

Während Canis lupus in der Literatur allgegenwärtig ist – man denke nur an Aesop, Rudyard Kipling, Jack London und Hermann Hesse –, gibt es nicht besonders viele bildliche Werke, die den Wolf in seiner souveränen Gelassenheit abbilden. Vielleicht hatten die das Buch herausgebenden Jagdfreunde aus Wien ja auch ein schlechtes Gewissen. Immerhin haben ihre Groß- und Urgroßväter den Wolf in den Staatsgrenzen der Alpenrepublik erfolgreich ausgerottet, und schwarze Schafe der Jägerschaft sind bis heute dafür verantwortlich, dass Wiederansiedlungsprojekte im deutschsprachigen Raum bisher scheiterten. Erst im Jahr 2000 wurden in Deutschland zweifelsfrei wieder Welpen in freier Wildbahn geboren. In ganz Österreich soll’s derzeit nur „zwei bis acht“ Wölfe geben. Und die sind, obgleich streng geschützt, Freiwild für so manchen verbohrten Jäger.

...ein Märchen

Die beiden Autoren, der tschechische Wildtierfotograf Jaroslav Vogeltanz und der italienische Wildbiologe Paolo Molinari, erinnern zu Beginn ihres mitreißenden Bildbands daran, welches Image der „böse“ Wolf bei unseren Vorfahren hatte:

Kaum einer anderen Tierart wurden so viele Eigenschaften und Charakterzüge zugeschrieben wie dem Wolf: brutal, aggressiv, hinterlistig, schlau.(...) Der Wolf lässt keinen kalt: sein durchdringender Blick, seine eleganten Bewegungen, sein Gänsehaut verursachendes Heulen.

Dann aber zeigen sie in wohl dosierten Wortbeiträgen und vor allem in einer Fülle faszinierender Bilder, dass man den Wolf zu Unrecht jahrhundertelang als boshaften und primitiven Gesellen verachtete. Heute, da Wölfe für den Menschen ja keine Fressfeinde mehr darstellen und gerissene Schafe oder ähnliches dem Besitzer von den Behörden prompt in bar erstattet werden, sollten sich Naturliebhaber und selbst Schäfer ins Bewusstsein rufen, dass der scheue Wolf ein überaus faszinierendes Erscheinungsbild, Wesen und Familienleben hat. Leider werden ihn die wenigsten von uns in freier Wildbahn beobachten können – bei einer Reviergröße von 100 bis 400 Quadratkilometern und nur rund 6.000 Exemplaren in ganz Mitteleuropa.

Im vorliegenden Band dürfen wir ihn trotzdem bestaunen, beim Heulen, Jagen, Fressen, Jungenaufziehen und Urinieren. Wir erfahren, dass der Wolf bei Nahrungsmangel auch mal notgedrungen zum Teilzeitvegetarier wird, dass das nicht mehr als ein Mensch wiegende Tier locker acht Kilogramm Fleisch auf einen Sitz vertilgen kann, dass sich die Fußspuren von Hund und Wolf nur für kundige Fährtenleser unterscheiden, dass Herdenschutzhunde den Graupelz zuverlässig vergraulen, und was so läuft im Rudel zwischen Testosteron-schwangerer „Hitze“-Zeit und der gemeinschaftlichen Aufzucht der tollpatschigen Welpen. All das ist wunderbar bebildert und eingängig erklärt von den Autoren.

Umweltfreundlich und leise

Die Tatsache, dass Wildschweine vielerorts die Hauptbeute des Rudeljägers darstellen, sollte Förster, Waldliebhaber und auch Jäger endgültig zum Wolfsfreund machen. Denn die beim Fremdkontakt allezeit übel gelaunten Schwartentiere breiten sich seit Jahren aus wie Karnickel, sind für zweibeinige Jäger jedoch nur schwer vor die Büchse zu bekommen. Die Sau ist einfach zu schlau. Der Wolf könnte Abhilfe schaffen, ganz umweltfreundlich und ohne Einsatz von Schwermetall. Wenn man ihn wieder in unsere Wälder lässt.




Letzte Änderungen: 11.06.2014