Editorial

Buchbesprechung

Christine Hassler






Andreas Ziegler: Moleküle, die Geschichte schrieben. Stern- und Schicksalsstunden der Arzneimittelforschung

Gebundene Ausgabe: Hörbuch, 2 Audio-CDs, ca. 118 Min.
Verlag: Hirzel, Stuttgart; Auflage: 1 (14. September 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3777621706
ISBN-13: 978-3777621708
Preis: 24,90 EUR



Kurze Geschichten: Moleküle, die Geschichte schrieben

Ein Hörbuch erzählt häppchenweise aus der Geschichte der Arzneimittelforschung.

Heutzutage nimmt man vielleicht einen leeren Sahnesyphon, besorgt sich eine Packung Einweg-Sahnekapseln, und lässt eine davon in den Siphon einströmen… und sich ja nicht dabei erwischen. Jedenfalls dann nicht, wenn man minderjährig ist und gerade von einigen Freunden in die Geheimnisse des Lachgasgenusses eingeweiht wird. Beim Besuch eines sogenannten Lachgaszirkus‘ im 19. Jahrhundert wäre es allerdings kein Problem gewesen, seinen eigenen Siphon auszupacken, denn dort wurde Lachgas (N2O) großzügig zur Volksbelustigung eingesetzt.

Über die aktuellen Irrwege der missbräuchlichen Lachgas-Anwendung finden Sie im Hörbuch Moleküle, die Geschichte schrieben nichts. Dafür aber eine unterhaltsame Darstellung der Entdeckungs- und Anwendungsgeschichte von N2O sowie 24 weiterer namhafter pharmazeutischer Wirkstoffe.

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Molekulare Entdeckungsgeschichte

Der Autor Andreas Ziegler ist Apotheker. Er hat in Erlangen bis 2003 Pharmazie studiert und drei Jahre später ebendort promoviert. Während seiner Doktorarbeit arbeitete er daran, proteinhaltige Pulver zu stabilisieren, um diese mit nadelfreien Injektionssystemen verabreichen zu können. Derartige Systeme sind für die pharmazeutische Industrie interessant, weil sie ohne Kanülen auskommen.

Noch während seiner Promotion begann Ziegler, als freiberuflicher Wissenschaftsjournalist zu arbeiten; seither erstellte er nicht nur eine Anzahl an fach- und populärwissenschaftlichen Artikeln über pharmazeutische Themen, sondern fungierte auch als wissenschaftlicher Berater und Gutachter für diverse Pharmafirmen. Seit 2010 bietet Ziegler Wissenschaftsdienstleistungen unter dem Firmennamen ‚Zience‘ an: er hält Vorträge, erstellt pharmakologische, toxikologische und klinische Gutachten und betreibt für seine Auftraggeber Pressearbeit.

Wissenschaftlicher Dienstleister

Moleküle, die Geschichte schrieben war sein erstes größeres populärwissenschaftliches Projekt. Die Idee dahinter: 25 Arzneistoffe werden dem Hörer in vier- bis fünfminütigen Kurzkapiteln vorgestellt. Neben Klassikern wie Cortison, Vitamin C und Penicillin sind auch einige weniger bekannte Wirkstoffe mit dabei, so zum Beispiel das im Speichel der nordamerikanischen Gila-Krustenechse entdeckte und bei Diabetes angewandte Exenatid.

Der inhaltliche Schwerpunkt dieser Kurzgeschichten liegt auf der meist abenteuerlichen Entdeckungsgeschichte der jeweiligen Wirkstoffe. Ein typisches Kapitel umfasst Jahreszahl, Namen und Schicksal der beteiligten Forscher, Anekdoten über Verwirrungen und Zufälle sowie Zitate der Beteiligten. Medizinisch erfährt man wenig außer allgemein gehaltenen Beschreibungen von Krankheitsbildern; und die molekularen Wirkmechanismen der Arzneistoffe werden, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich angerissen.

Die Zelle
Auch dem Steroidhormon und Rheuma-Medikament Cortison ist auf der besprochenen CD eine Geschichte gewidmet. (Foto: Ben Mills)

Doch dies geht bei der Schwerpunktsetzung des aus zwei Audio-CDs bestehenden Hörbuchs in Ordnung. Wissenschafts­historie für Laien verträgt sich eben nicht mit schwerer Lehrbuchkost.

Auch so manche Pharmafirma, die mit der Entwicklung eines Arzneistoffes in Verbindung steht, wird erwähnt: So denken Sie wahrscheinlich bei Acetylsalicylsäure (Aspirin) an Bayer und bei Thalidomid (Contergan) an Grünenthal; aber hätten Sie gewusst, dass Sandoz in den sechziger Jahren LSD verkaufte, um es Ärzten zu ermöglichen, sich in die Köpfe ihrer geisteskranken Patienten hineinzuversetzen? Einigen werden Zieglers Texte zwar gelegentlich zu industrienah-unkritisch sein, doch das ist Geschmackssache.

Wenn der Hund angstvoll winselt

Der größte Teil des Textes wird von nur einem Sprecher mit angenehmer Stimme und ebensolchem Tempo gelesen. Musik gibt es keine dazu, dafür aber gelegentlich ein paar zur Story passende Hintergrundgeräusche: Da winselt es zum Beispiel, wenn im Kapitel Insulin über die Entnahme der Bauchspeicheldrüse aus einem Hund gesprochen wird, und ein dezentes Hüsteln untermalt das Schicksal der ersten Tuberkulosepatientin, die mit dem Antibiotikum Streptomycin behandelt wurde.

Alles in allem fand die Rezensentin das Hörbuch kurzweilig und anregend. Interessant sind die Kurzgeschichten im Prinzip für jeden, der ein Faible für Themen wie Pharmaforschung, Arzneimittelgeschichte und Wirkstofffindung hat, aber noch nicht viel darüber weiß – und mit dem Prinzip eines Hörbuchs klarkommt. Vielleicht kann es ja sogar eine gute Einstimmung für all jene beflissen pipettierenden Mitarbeiter in akademischen Laboren sein, die damit lieb­äugeln, in die pharmazeutische Industrie überzuwechseln. 118 Hörminuten reichen zumindest locker für 48 Minipräps.




Letzte Änderungen: 07.10.2012