Editorial

Buchbesprechung

Daniel Weber




Antje & Henning Boëtius: Das dunkle Paradies. Die Entdeckung der Tiefsee

Gebundene Ausgabe: 464 Seiten

Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3570100529
ISBN-13: 978-3570100523
Preis: 24,99 EUR



Das dunkle Paradies: Schrecken der sieben Weltmeere

Ein recht merkwürdiges Buch hat das Tochter-Vater-Duo Antje & Henning Boëtius da abgeliefert, meint unser Rezensent.

Der Rezensent ärgert sich. Er ärgert sich so sehr, dass er mit dem Gedanken gespielt hat, „Bookwatch“ zu gründen, das literarische Gegenstück zu Foodwatch. Dann könnte er alljährlich den Windbeutel für die größte Mogelpackung zwischen zwei Buchdeckeln verleihen.

Dieses Jahr gäbe es sogar zwei Preisträger. Ein Duo Infernale der Autorengilde, für ihr gemeinsames, 463 Seiten dickes Erstlingswerk, das laut Klappentext eine lehrreiche und spannende Lektüre verspricht. Denn dort heißt es unter anderem:

Die kürzlich präsentierte Volkszählung der Tiere förderte Bilder erstaunlicher Mitbewohner insbesondere aus der Tiefsee zutage, jener Terra incognita, die zwei Drittel der Erde bedeckt und bis zu 11 000 Meter tief ist. Nur langsam dringt die Wissenschaft in diese geheimnisvolle Welt vor.

Was fällt dem Rezensenten und wohl auch den meisten Lesern bei diesen Worten spontan ein? Richtig: Tiefseetiere!

Die Zelle

Foto: Columbia Pictures

Winner of the Windbeutel

Doch Tiefseetiere sind Mangelware in diesem Buch, aus dessen Klappentext wir eben zitiert haben und dessen Autoren Tochter und Vater sind: Antje Boëtius ist Meeresbiologin an der Universität Bremen, Henning Boëtius ist ein gefeierter Kriminalschriftsteller aus Berlin. Gemeinsam haben die beiden das populärwissenschaftliche Sachbuch Das dunkle Paradies verfasst.

Doch wie gesagt: Tiefseetiere muss man darin mit der Lupe suchen. Selbst ganz banale Tiere tauchen nur gelegentlich auf, eher wie ein Quastenflosser, nämlich selten. Ansonsten bleiben sie tief verborgen unter der Buchstabenoberfläche.

Das Buch beginnt noch ganz vielversprechend mit einer imaginären Tauchfahrt durch die literarische Tiefsee, beginnend mit Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde und tiefer in die Zeit eintauchend bis zu Homers Odyssee.

Das zweite Kapitel ist dann quasi ein Tagebuch von Antje Boëtius, das sie während einer Forschungsreise schrieb, dessen Ziel nicht die Erforschung von Tieren war. Einen Kapitän Ahab sucht der Leser also vergebens und die einzige Harpune, die auftaucht, entpuppt sich als Temperaturlanze. Das dritte Kapitel ist eine Science-Fiction-Kurzgeschichte, in der jegliches Wasser von der Erde verschwunden ist und die Abenteurer auf dem trockenen Meeresboden spazierengehen. Diese beiden Kapitel lesen sich, als ob sie schon lange fertig geschrieben waren, seither rumlagen und jetzt einfach mit in das Buch aufgenommen wurden, um die Cremefüllung des Windbeutels aufzublasen.

Geologische Abhandlungen

Danach folgen seitenweise geologische, physikalische und, Überraschung!, geophysikalische Abhandlungen über den Meeresboden und das Wasser – so ziemlich alles eben, was dem Leser bei Dalli Dalli zum Begriff „Meer“ einfallen würde. Außer halt den Tiefseetieren. Diese Kapitel hätten auch gut in ein Nachhilfewerk mit dem Titel „Physik für Meeresbiologen“ gepasst. Henning Boëtius wollte laut eigener Aussage mal Physiker werden, und das zeigt der Autor in diesen Kapiteln auch aufdringlich.

Insgesamt ist das Buch eine Sammlung zusammenhangloser Themen, die irgendwie mit dem Meer und manchmal sogar mit der Tiefsee zu tun haben. Das Lektorat hatte wohl gerade Pause, als der Drucktermin nahte, angesichts einer Vielzahl von sinnlosen, aber in Lehrbüchern gerne verwendeten Verweisen, die nicht mal korrekt sind. So etwa ist auf Seite 141 zu lesen: „Siehe Seite 141“; in der drittletzten Zeile von Seite 381 steht „siehe unten“, und dann findet sich der hilfreiche Hinweis „Siehe Seite XXX“. Auch häufen sich willkürliche Übersetzungen sowie Abkürzung von Begriffen, die entweder für das Verständnis überflüssig sind wie zum Beispiel „Loch (engl., hole)“ oder schlicht nichtssagend wie „G.P.s“ für Große Piraten (Seite 373). Der Rezensent rätselt noch immer über den Grund (engl., reason) dafür. Immerhin weiß er mittlerweile, dass Manganknollen häufig um Haifischzähne herum entstehen. Das hat er im Buch gelesen, und zwar auf den Seiten 171, 188 und 395.

Mustergültige Mogelpackung

Das uninspirierte, themenverfehlte und höchst fehlerhafte Sachbuch kann somit nur als mustergültige Mogelpackung bezeichnet werden. Für ihre Leistung verleiht der Rezensent den beiden Autoren nicht nur einen Windbeutel (engl., cream puff), sondern stellvertretend für die sieben Weltmeere gleich sieben (engl., seven). Das urlaubende Lektorat des C. Bertelsmann-Verlags erhält als Trostpreis eine verfaulte Quastenflosse.

Falls Antje und Henning Boëtius versäumen sollten, ihre sieben Windbeutel abzuholen, wird der Rezensent seine eigenen Haifischzähne hineinschlagen und hoffen, dass sich später keine Manganknollen um sie herum bilden.




Letzte Änderungen: 07.10.2012