Editorial

Buchbesprechung

Winfried Köppelle




Michael Chinery: Pareys Buch der Insekten. Über 2000 Insekten Europas

Broschiert: 326 Seiten
Verlag: Kosmos (Franckh-Kosmos); Auflage: 2., Aufl. (6. Juni 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3440132897
ISBN-13: 978-3440132890
Preis: 29,99 EUR





Heiko Bellmann: Welches Insekt ist das? 170 Insekten einfach bestimmen

Broschiert: 125 Seiten
Verlag: Kosmos (Franckh-Kosmos); Auflage: Neuauflage. (7. Februar 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3440125793
ISBN-13: 978-3440125793
Preis: 4,95 EUR





Matthias Schaefer (Hrsg.): Brohmer – Fauna von Deutschland

Gebundene Ausgabe: 832 Seiten
Verlag: Quelle & Meyer; Auflage: 23., durchgesehene Auflage. (15. Oktober 2009)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3494014728
ISBN-13: 978-3494014722
Preis: 32,95 EUR



Was schwirrt denn da?

Wer wissen will, was im Garten herumkrabbelt, braucht ein gutes Bestimmungsbuch. Oder besser gleich zwei – oder drei?

„Du, gibt’s bei uns eigentlich Kolibris?“ wollte neulich ganz aufgeregt ein Bekannter wissen. Er berichtete, er habe neulich „ganz sicher“ einen beobachtet. Und am Folgetag erneut: Einen Kolibri. Und zwar nicht im Zoogeschäft, sondern frei umherschwirrend auf seiner eigenen Terrasse. Die, was man noch anmerken sollte, nicht in einem feuchtschwülen Urwald am anderen Ende der Welt erbaut ist, sondern im Wohngebiet einer süddeutschen Großstadt.

Der Betreffende ist Hochschullehrer; allerdings nicht für Biologie, sondern für Bauphysik und Raumakustik. Und das Flatterwesen, das ihn seitdem immer wieder mal auf seinem Grundstück besucht, kann ein Laie schon mal mit einem Kolibri verwechseln. Zum Beispiel mit dem winzigen Flattervogel Mellisuga helenae, auch als Elfenkolibri bekannt. Dieser weltweit kleinste Vogel ist von Schwanz bis Schnabel nur fünf bis sechs Zentimeter lang und schwirrt mit rund 90 Flügelschlägen pro Sekunde wie ein kleiner Hubschrauber vor seiner Futterblüte.

Aber eben nicht in Mitteleuropa, sondern in der Karibik und im Zoo.

Leicht zu verwechseln

Auch das seltsame Wesen, das unser Professor beobachtete, kann bis zu fünf Zentimeter groß werden. Auch seine Flugcharakteristik und der Gesamthabitus erinnern in der Tat stark an einen Kolibri. Allerdings ist der merkwürdige Terassenbesucher kein Wirbel-, sondern ein Kerbtier. Ein schnödes Insekt mit Komplexaugen, Strickleiternervensystem und passiver Tracheenatmung. Und unbekannt ist er unserem Bauphysik-Professor nun auch nicht mehr, dank eines unscheinbaren Bestimmungsbüchleins aus dem Kosmos-Verlag.

Der unbekannte Kunstflieger entpuppte sich als Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum), ein in ganz Europa vorkommender, tagaktiver Wanderfalter mit gelborangen Hinterflügeln und weißfleckigem Hinterleib. Auf dem Foto oben ist er in ganzer Pracht zu bewundern. Als ausdauernder und eleganter Flieger saugt dieses Insekt, seinen Rüssel zielsicher ausjustierend, im Flug aus Blüten Nektar. Auch die hellgrün gefärbten Raupen des Taubenschwänzchens wirken reichlich exotisch: Sie tragen ein blaues Analhorn mit gelber Spitze spazieren. Wozu dieses dient; ja, ob es überhaupt einen bekannten Zweck hat, konnte der Rezensent auf die Schnelle nicht herausfinden. Auch in den beiden Bestimmungsbüchern, die im Nachfolgenden vorgestellt werden, steht darüber nichts.

Macroglossum stellatarum
Foto: Bresson Thomas

Kein Zweifel möglich

Beide beim Rätsellösen verwendeten Bücher stammen aus dem Kosmos-Verlag: Zum einen der 126 Seiten dünne Naturführer Welches Insekt ist das?, zum anderen das fast dreimal so dicke Taschenbuch Pareys Buch der Insekten (begründet vom britischen Naturforscher Michael Chinery).

Doch wer hätte dies gedacht? – der dünne David schlug den dicken Goliath mit Leichtigkeit! Zumindest im Falle des Taubenschwänzchens war es so. Trotz der dem Rezensenten anfänglich vorliegenden, relativ ungenauen Beschreibung dauerte es nur wenige Augenblicke des Blätterns, auf Seite 93 von Welches Insekt ist das? ein lebensechtes Foto von Macroglossum stellatarum zu finden. Ja, das musste es sein!

Die daneben abgedruckte Beschreibung ließ endgültig keinen Zweifel mehr an der Identität des kleinen Terrassenbesuchers. Kein Kolibri also.

In Pareys Buch der Insekten hingegen suchte der Rezensent vergebens. Ohne Foto und erst recht ohne aufgespießtes Beleg­exemplar tappte der Rezensent hilflos im Dunkeln. Zwar ist das Taubenschwänzchen auf Seite 146/147 aufgeführt, doch um eine korrekte Fernidentifizierung des Schwärmers vorzunehmen sind die dort befindlichen Habitus-Zeichnungen schlicht zu wenig aussagekräftig. Man sucht und sucht, aber man findet nicht.

Schwebfliegen? Mangelware!

Taugt der Parey also nichts? Keineswegs, denn es kann jederzeit auch andersherum kommen. So etwa im Falle eines mehrere dutzend Mitglieder umfassenden Schwebfliegen-Schwarms, der eines Sommervormittags im Vorgarten des Rezensenten einmarschierte und die Blüten des dort wachsenden Blutweiderichs in Beschlag nahm. Flugs den Parey in die Hand genommen – immerhin 33 Schwebfliegen-Arten sind darin aufgelistet – und in Sekundenschnelle waren die grazilen Kunstflieger im Vorgarten identifiziert als Episyrphus balteatus. Dem Redakteur gelang sogar noch ein Foto eines der Schwebtiere (siehe rechts mitte).

Die Larven dieser in Mitteleuropa sehr häufigen Spezies (auch als Hainschwebfliege bekannt) ernähren sich von Blattläusen; die Imagines wandern, ähnlich wie Zugvögel, im Frühjahr aus ihren Winterquartieren in Nordafrika und Südeuropa über die Alpen nach Mittel- und Nordeuropa, vermehren sich dort und kehren im Spätsommer in den Süden zurück (begattete Weibchen können aber auch überwintern).

Mit einer Reisegeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde und einer Gesamtleistung von teils über 1000 Kilometern sind die unscheinbaren Insekten unglaubliche Ausdauerathleten. 2004 wurde die Hainschwebfliege vom Deutschen Entomologischen Institut zum Insekt des Jahres gekürt; das ist quasi der Oscar für Insekten. Oder besser: für deren Liebhaber.

Doch hatte der Redakteur seine Vorgartenbesucher auch korrekt bestimmt? Eine E-Mail samt Foto-Anhang an den schwedischen Schwebfliegen-Experten Fredrik Sjöberg verschaffte Gewissheit: „E. balteatus, definitely!“ morste der Schriftsteller (Die Kunst zu fliehen, 2012) von seinem Domizil auf der Insel Runmarö nach Deutschland. Und der stolze Redakteur wuchs sofort um mindestens fünf Zentimeter.

Episyrphus balteatus
Ein hungriges Prachtexemplar von Episyrphus balteatus im Vorgarten des Laborjournal-Redakteurs, sich genüsslich auf Gewöhnlichem Blutweiderich (Lythrum salicaria) labend. (Foto: W. Köppelle)

In Welches Insekt ist das? sucht man hingegen zumeist vergebens nach den grazilen Kunstfliegern: Nur eine einzige(!) Schwebfliegenart ist darin zu finden (die Späte Frühlingsschwebfliege Meliscaeva cinctella). Das ist ein bisschen mager, angesichts der vielköpfigen Familie der Schwebfliegen (Syrphidae), die allein in Deutschland rund 440 verschiedene Arten zählt. Doch bei einem derart dünnen Büchlein muss man eben Abstriche machen.

Fazit: Jedem das Seine!

Dennoch: Wer nur die häufigsten Insekten in unseren Gärten und Parks auf die Schnelle identifizieren möchte – wie Feuerwanze, Siebenpunkt, Stechmücke oder Kastanienminiermotte – dem dürfte das preiswerte Welches Insekt ist das? mit seinen 170 Arten reichen: Knappe und doch inhaltsreiche Texte links, aussagekräftige Farbfotos rechts. Perfekt. Zumindest fürs Erste. Doch schneller als man denkt, kommt man auf den Geschmack des Insektenbestimmens – und wenn man dann immer öfter erfolglos bleibt, ist das sehr viel dickere (und doch handliche) Pareys Buch der Insekten mit seinen mehr als 2.000 Arten die ideale Ergänzung für den ambitionierten Freizeit-Entomologen. Auch der Parey ist zweigeteilt: links die lebendigen und anschaulichen Texte mit den wichtigsten Informa­tionen zur jeweiligen Spezies, rechts die Abbildungen (beim Parey allerdings keine Fotos, sondern farbige Zeichungen).

Oder doch den Brohmer?

Professionelle Wald- und Wiesenbiologen mit Erde unter den Fingernägeln und Sammelglas in der Hosentasche werden ohnehin zu einer anderen Alternative greifen – und zwar zu einer, die auch beim Rezensenten seit mehr als zwanzig Jahren im Buchregal steht: zum Brohmer – Fauna von Deutschland. Dieses Buch ist erstmals vor nunmehr 98 Jahren erschienen und gilt längst als Standardwerk, mit dem sich seit Jahrzehnten Erst- und Zweitsemester-Studenten herumschlagen dürfen. Einerseits ermöglicht der Brohmer eine zuverlässige Bestimmung der gesamten in Deutschland heimischen Tierwelt; andererseits ist es mit seinen schwarz-weißen Strichzeichnungen und dem knochentrockenen Text in teils winziger Schrift kein pures Lesevergnügen, zumal der Bestimmungsschlüssel häufig bereits bei der Gattung, Familie oder Ordnung endet.




Letzte Änderungen: 23.10.2012