Editorial

Buchbesprechung

Karin Hollricher




Axel Brennicke: Tödliches Geflecht – Ein Biologischer Thriller

Gebundene Ausgabe: 266 Seiten
Verlag: Spektrum Akademischer Verlag; Auflage: 1. Aufl. (28. Oktober 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3827428890
ISBN-13: 978-3827428899
Preis: 19,95 EUR



Pilz außer Rand und Band

Wenn sich ein Professor als Romanautor versucht, so ist das Desaster fast schon vorprogrammiert. Was aber, wenn der Schreiber jahrelange Erfahrung vorweisen kann?

Ein „Biologischer Thriller“ – so bezeichnet Axel Brennicke, Botanikprofessor in Ulm und Laborjournal-Kolumnist, seinen Roman. Was ist das? Ein Krimi kann ja eigentlich nicht bio­logisch sein – er ist literarisch, gerne auch spannend, prosaisch, öde, fesselnd, wahr oder erfunden. Aber biologisch? Richtig ist (ja, ich weiß, ich bin ein Haarspalter): Das Thema des Krimis kommt aus der Biologie. Es geht um einen außer Rand und Band geratenen Pilz.

Mutation macht Monster

Der Plot ist folgender: Eine Mutation macht aus einem zwar gefährlichen, aber mit den Mitteln der modernen Chemie beherrschbaren Mutterkornpilz ein Monster, das auf jeder Art Getreide rasant wächst und so viel Gift produziert, dass schon ein Picknick in der Nähe eines befallenen Weizenfeldes tödlich enden kann. Ernten fallen aus, Embargos werden über halb Europa verhängt, die Bevölkerung be­ginnt zu randalieren, und so weiter. Dazu kommt, dass Brennickes Monster-Pilz, in der Tradition amerikanischer Katastrophenthriller, resistent gegen die üblichen Fungizide ist. Und so bleibt als einzige Hoffnung die Wissenschaft. Forscher sollen die Achillesferse des mutierten Mutterkornpilzes finden. Ob es ihnen gelingt, wollen wir hier aber nicht verraten. Es soll ja spannend bleiben.

Ein Krimi lebt davon, dass man nicht weiß, was wie miteinander verknüpft ist; welche Konflikte und Probleme es gibt; wie alles zusammen hängt. Dieses geheimnisvolle Element fehlt Brennickes Roman auf weiten Strecken. Der Plot ist gut, nahezu realistisch, auf jeden Fall glaubhaft – leider, ja leider ist er allzu durchsichtig. Spannung kommt da natürlich keine auf. Klar, dass der Autor als erfahrener Forscher weiß, wie er das Problem wissenschaftlich lösen kann. Aber statt Details aus dem Laboralltag zu erzählen, sich über die (nach)lässige Bekleidung von Forschern auszulassen oder Platitüden über das Verhältnis von Wissenschaftlern und Forschern zu beschreiben, hätte er lieber den prinzipiell wirklich gut ausgedachten Plot vielschichtiger aufbauen und mehr Geschichten innerhalb der Geschichte erzählen sollen.

Blasse Akteure ohne Leben

Das Wichtigste an einer Geschichte sind aber nicht die Idee oder das Thema, sondern ihre Figuren. Wir lesen Romane, weil wir wissen wollen, wie es den Menschen darin ergeht, was ihnen passiert, wie sie die vom Autoren erfundenen Lebenswege meistern. Bedingung dafür ist, dass die literarischen Personen so lebendig und vielfältig sind wie im echten Leben: Kinder, Frauen und Männer mit all ihren Eigenschaften. Der Autor darf sie aber nicht gleichzu Beginn literarisch völlig entblößen, sondern muss sie nach und nach wie eine Zwiebel pellen, bis man am Ende zu ihrem Kern vorstößt.

„Eine literarische Figur ohne innere Landschaft kann leicht stereotyp wirken und sogar blass und farblos“, schreibt die amerikanische Bestsellerautorin Elisabeth George in Wort für Wort oder die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben.

So ist es. Und leider hat Axel Brennicke diese Kunst – zumindest noch – nicht verinnerlicht. Seine Figuren, egal ob Wissenschaftler, Politiker oder Verwaltungsbeamte, haben keine innere Landschaft, kein Leben, sie wirken blass und flach. Weil nun aber ein „Charakter umso lebendiger wirkt, je gründlicher man ihn erforscht“ (Elisabeth George), hätte Brennicke sich mehr Mühe mit eben dieser Erforschung geben und dafür lieber auf dieses oder jenes Detail aus dem Labor verzichten sollen. Wer will schon wissen, wie eine PCR funktionert, wenn doch das Liebesleben zweier Romanfiguren so viel spannender sein kann? Neben Personen und Thema ist das dritte wichtige Element eines Romans der Schauplatz. Damit aus einem Platz ein literarischer Schauplatz wird, muss der Autor ihn nicht nur gesehen sondern erlebt haben. Brennicke kennt seine Schauplätze: die Uni Ulm (wo er tatsächlich arbeitet), ein Institut bei Bordeaux, ein Institut in Kyoto. Uns so gelingt es ihm auch, die Orte des Geschehens zu dem werden zu lassen, was sie wirklich sind: Labore, Kaffeeräume, Besprechungszimmer. Aber auch hier hätte ein bisschen mehr Liebe zum Detail die Situationen und Schauplätze echter und interessanter wirken lassen.

Bei den Leisten bleiben?

Mittelmäßige Romane, die Forschung zum Thema haben, gibt es viele – aber nur wenige bessere oder wirklich gute. Dazu zählt die Rezensentin Michael Crichtons Jurassic Park, Frank Schätzings Der Schwarm, George Orwells 1984 und Ian McEwans Solar, um nur ein paar zu nennen. Keiner der betreffenden Autoren ist oder war Wissenschaftler. Es scheint für einen guten Schriftsteller leichter zu sein als für einen Forscher, einen guten Roman zu schreiben, bei dem die Wissenschaft (zumindest ein) Thema ist.

Wenn also der Schuster nicht bei seinen Leisten bleiben mag, muss er viel üben. In diesem Sinne: Herr Brennicke, ran an die Tasten.




Letzte Änderungen: 07.10.2012