Editorial

Buchbesprechung

von Florian Fisch




Rebecca Skloot:
Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Gebundene Ausgabe: 512 Seiten
Verlag: Irisiana (20. September 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 9783424150759
ISBN-13: 978-3424150759
ASIN: 3424150754
Preis: EUR 19,99


The Immortal Life of Henrietta Lacks
Broschiert: 460 Seiten
Verlag: Random House Inc. (Februar 2011)
Sprache: Englisch
ISBN-10: 9780307888440
ISBN-13: 978-0307888440
ASIN: 0307888444
Preis: EUR 6,80
Die Totengöttin

HeLa-Zellen reisten um die ganze Erde, ja bis in den Weltraum. Wer die Spenderin dieser Superzellen ist, wissen wohl die wenigsten. Weder sie noch ihre Familie wurden damals, vor 60 Jahren, um Erlaubnis gebeten.

Bobette trinkt Kaffee mit ihrer Freundin, die im Spital arbeitet. Durch den Nachnamen weiss die Freundin, dass Bobettes Schwiegermutter an Krebs gestorben ist. Bobette erfährt zudem, dass ihre Schwiegermutter mit Kinderlähmung und Tuberkulose infiziert, bei Atombombentests als Versuchskaninchen benutzt und mehrere Male geklont wurde. Sie ist fünfzig Millionen Tonnen schwer; würde man alle ihre Zellen aneinander reihen, reichte sie mehr als drei Mal um die Erde.

Bobettes Schwiegermutter hieß Henrietta Lacks und ist 1951 in Baltimore, Maryland gestorben. Die Zellen ihres Gebärmutterhalskrebses werden noch heute in Laborschüttlern multipliziert. Wer kennt die HeLa-Zellen aus dem eigenen Zellbiologiepraktikum nicht? Mit Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks führt die amerikanische Autorin Rebecca Skloot ihre Leserinnen und Leser in die Gegensätze zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und Umgang mit den Zellspendern ein.


Drei Frauen, drei Schicksale

Skloot erzählt die Geschichte von drei Frauen: Henrietta, ihrer Tochter Deborah und sich selbst. Henriettas Schicksal meinte es nicht gut mit ihr. In den Anfangszeiten der Krebsforschung war sie einem äußerst bösartigen Tumor praktisch hilflos ausgeliefert. Gleichzeitig musste sie für fünf Kinder sorgen. Erst als man Blutproben von der Verwandtschaft brauchte, erfuhr Deborah, dass die Zellen Ihrer Mutter in Labors auf der ganzen Welt studiert werden. Die Wissenschaftler suchten einen Weg, die weit verbreitete Kontamination von Zelllinien durch HeLa-Zellen zu detektieren. Skloot selbst musste sich Deborah und ihrer Familie ganz sachte nähern und dabei einiges auf sich nehmen; einmal wurde sie beinahe vom Sohn Henriettas verprügelt. Zu groß waren die kulturellen Unterschiede zwischen schwarz und weiß, arm und reich.

Bei Henriettas Tod waren sie natürlich noch viel größer. Damals galten Schwarze (aber auch Weiße der Unterschicht) noch als Bürger zweiter Klasse. Weit und breit behandelte sie nur ein Spital. Man machte mit ihnen Experimente ohne deren Einverständnis. Und doch verhalfen die HeLa-Zellen der Krebsforschung, Virenforschung und Genetik zu Durchbrüchen. Die Produktion von Zellen und Medien wurde zum Milliardengeschäft. Gleichzeitig konnte sich die Familie Lacks selbst im Jahr 2000 noch keine höhere Bildung und keine teure Gesundheitsversorgung leisten.


Überrannt und traumatisiert

Die Familie wurde durch das Interesse von Wissenschaftlern, Journalisten und einem betrügerischen Anwalt überrannt und durch diese Erlebnisse traumatisiert. Weil sie allein gelassen wurde, machte sich die wegen des Rummels verwirrte Deborah über das Internet ihr eigenes, verzerrtes Bild von ihrer Mutter – und stieß dabei auf einen ehemaligen oberschwäbischen Traktorhersteller namens HELA und eine Schweizer Werbefirma gleichen Namens. Logischer erschien ihr da schon die Comicfigur Hela; eine halb schwarze, halb weisse, halb lebende, halb tote Heldin in Onlinespielen. Sie ist immun gegen Strahlung und Krankheiten und altert nicht. Allerdings basiert Hela nicht auf ihrer Mutter, sondern auf der nordischen Totengöttin Hel. Dabei wäre es so einfach gewesen. Ein Bild der Chromosomen und ein Blick auf die grün fluoreszierenden Zellen unter dem Mikroskop reichten, die Familie mit den Wissenschaftlern zu versöhnen. Heute ist die Familie durchaus stolz auf ihre berühmte Mutter, Großmutter und Cousine.


Roman? Oder Sachbuch?

Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks ist ein Sachbuch, das sich wie ein Roman liest. Eine wunderbare Mischung zwischen dem Leben der Familie Lacks und den Problemen der Wissenschaft macht die Lektüre zum Vergnügen. Laien lernen, ohne es zu merken, einiges über Zellen, DNA und Krebs. Biologen und Mediziner erfahren mehr über die Geschichte der berühmten Zellen sowie über echte, menschliche Probleme der Wissenschaft, die nicht einem trockenen Bioethik-Seminar entspringen.

Das Buch schreit danach, von seinen Lesern verschlungen zu werden. Der Schreibstil von Skloot fesselt – ob es um das Schicksal der Familie, der Wissenschaftler oder ihr eigenes geht. Obwohl die Geschichte nicht chronologisch aufgebaut ist, sondern in der Zeit dauernd vor und zurück springt, verliert man nicht den Faden. Einzig die Fülle von Namen der Großfamilie Lacks verwirrt. Ein Stammbaum wäre da hilfreich. Trotz dieser marginalen Einschränkungen ist Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks ein Vergnügen nicht nur für alle Biowissenschaftler, sondern auch für deren Kinder und Großeltern.



Letzte Änderungen: 27.06.2011