Editorial

Zufallsgeister

Schöne Biologie

Ralf Neumann


Schöne Biologie

(08.04.2021) „Dans les champs de l‘observation le hasard ne favorise que les esprits prepares.” So lautet der womöglich bekannteste Ausspruch von Louis Pasteur: „Auf dem Gebiet der Beobachtung begünstigt der Zufall nur den vorbereiteten Geist.“ Als ob er schon damals geahnt hätte, wie viele „bahnbrechende“ Erkenntnisse von da ab weder als Resultat einer vorab sauber formulierten Hypothese, noch als Endpunkt eines stringenten strategischen Forschungsplans mit klaren Milestones zustandekommen würden. Irgendwie muss ihm damals schon klar gewesen sein, dass es in der Natur der Wissenschaft liegt, dass Forscher oftmals nicht das finden, wonach sie eigentlich gesucht hatten, dafür aber etwas ganz Anderes – und bisweilen sogar ungleich Größeres.

Die große Krux ist jedoch – und das ist eigentlich der Hauptpunkt in Pasteurs Zitat –, dass man bei aller Fokussierung auf eine ganz bestimmte Frage dann auch tatsächlich die Bedeutung und die Größe des ganz Anderen erkennt, das einem dabei zufällig auf den Labortisch flattert. Und dies gelänge laut Pasteur eben nur, wenn die Auffassungsgabe und der Geist des jeweiligen Forschers stets flexibel genug sind, um das unerwartete Auftauchen solcher Zufallsfunde in seiner ganzen Tragweite zu erkennen.

Leicht gesagt, aber selbst den größten Köpfen der Wissenschaftsgeschichte ging bisweilen die eine oder andere Erkenntnis durch die Lappen, weil ihr Geist gerade zu stark fokussiert und daher „unvorbereitet“ war. So weiß man heute etwa, dass Charles Darwin mit den Daten, die er für sein Buch „The Different Forms of Flowers on Plants of the Same Species“ zusammengetragen hatte, gut auf die Vererbungsregeln hätte kommen können, die Mendel später aus seiner Erbsenzählerei ableitete. Aber offenbar war Darwins Geist damals zu sehr von der quantitativen Variation als Herzstück seiner Evolutionstheorie besetzt – sodass er nicht erkannte, wie gut seine Daten auch zum Verständnis der Vererbung taugen würden.

Diese einmalige „Geistesenge“ Darwins ändert jedoch nichts daran, dass viele große und kleine Entdeckungen tatsächlich nach Pasteurs „Prinzip Zufall“ gemacht und als solche erkannt wurden. So viele, dass es wohl kaum als seltene Ausnahme gelten kann.

Dass etwa Alexander Fleming mit Penicillin das erste Antibiotikum nur entdeckte, weil er unsauber gearbeitet hatte, ist inzwischen Allgemeinwissen. Ebenso fahndete Alec Jeffreys keineswegs nach genetischen Fingerabdrücken, als er sie fand. Und Wilhelm Röntgen studierte eigentlich die Kathodenstrahlung, als er die nach ihm benannten Strahlen nur deswegen entdeckte, weil ein Fluoreszenzschirm zufällig in der Nähe stand.

Olle Kamellen, klar! Doch scheint es, als stünde selbst in der heutigen Hightech-Forschung der reine Zufall immer noch am Anfang von so mancher echten Entdeckung. Beispielsweise fand ein deutsch-schweizerisches Team auf diese Weise gerade eine völlig neue Form der Endosymbiose (Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03297-6).Eigentlich waren die Mikrobiologen in den sauerstofffreien Tiefen des Schweizer Zugersees auf der Suche nach Methanbakterien, um deren Stickstoffumsetzung zu studieren. Doch statt Gensequenzen von solchen „Methanfressern“ ging ihnen bei ihren metagenomischen Analysen eine Sequenz ins Netz, die für die Enzyme eines kompletten Stoffwechselwegs zur Nitratatmung codierte. Am Ende identifizierten sie damit einen bakteriellen Endosymbionten namens Candidatus Azoamicus ciliaticola, den ein Wimpertierchen aufgenommen hatte, um ihn zugunsten der eigenen Energieversorgung für sich atmen zu lassen. In dem Wimperntierchen fungiert der Endosymbiont folglich wie ein Mitochondrium, das jedoch keinen Sauerstoff veratmet, sondern Nitrat. Eine völlig neue Art der Energie-Symbiose also, die nur entdeckt wurde, weil der „vorbereitete Geist“ der Mikrobiologen die Bedeutung dieses einen Sequenzschnipsels erkannt hatte.

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Letzte Änderungen: 08.04.2021