Editorial

Verführerisch einfach

Schöne Biologie

Ralf Neumann


Schöne Biologie

(12.10.2020) Grundsätzlich bevorzugt der Mensch möglichst einfache Erklärungen für komplexe Phänomene. Ensprechend groß ist bisweilen auch in der Wissenschaft die Versuchung, diesem Drang zur Einfachheit bereitwillig nachzugeben. Zumal diese uns ja tatsächlich häufig mit der Erkenntnis verblüfft, welch einfache Strukturen oder Mechanismen sich als Ursachen für komplexe Wirkungen offenbaren.

Mindestens genauso häufig stellt sich allerdings heraus, dass die Dinge am Ende doch nicht so einfach sind, wie es manche Ergebnisse vorgaukeln mögen. Ein nettes Beispiel für solch vorschnelle Verführung zur Einfachheit entpuppte sich zuletzt rund um das durchaus komplexe Phänomen, wie die Honigbienen-Königin überhaupt zur Königin wird. Das Rätsel dahinter ist bekannt: Kein bisschen unterscheidet sich die Königin in ihrer Genomsequenz von den Arbeiterinnen ihres Stocks – und wird dennoch so sehr anders. Das Geheimnis – das weiß man immerhin schon lange – ist ihre Ernährung. Drei Tage lang bekommen die frisch geschlüpften Larven einen Kraftmix aus Proteinen, Zucker, Fetten und Vitaminen, den die zuständigen Arbeiterinnen ordentlich mit eigenen Drüsensekreten aufpeppen. Danach jedoch werden die Larven der künftigen Arbeiterinnen auf ein schlichteres Workers Jelly aus Honig, Pollen und Wasser gesetzt, während die angehende Königin weiterhin „Gelée Royal“ schmausen darf. Mit den bekannten Folgen.

Wie oder wodurch aber orchestriert Gelée Royal ein und dasselbe Set an Genen so „königlich“ anders? 2011 schien die Frage auf verblüffend schlichte Weise gelöst: Ein japanischer Forscher namens Masaki Kamakura hatte Gelée Royal bei konstanten 40 Grad aufbewahrt und geprüft, wie lange dessen „Königin-machendes“ Potenzial erhalten blieb. Und siehe da, nach dreißig Tagen bei 40 Grad waren die „königlichen“ Eigenschaften des Gelées dahin. Parallel hatte er via HPLC verfolgt, wie sich die Zusammensetzung des Gelée Royals bei 40 Grad über diese Zeit veränderte. Und da die meisten Gelée-Komponenten schon vorher abgebaut wurden, konnte er nach dreißig Tagen tatsächlich ein prominentes 57-kDa-Protein als „Königinnen-Protein“ namens Royalactin identifizieren.

Weitere Tests schienen das Bild klar zu bestätigen: Gelée Royal ohne Royalactin „machte“ keine Bienen-Königinnen; zudem wuchsen bestimmte Drosophila-Mutanten mit Gelée Royal oder purem Royalactin im Futter größer, waren fruchtbarer und lebten länger. Und mehr noch: In Fliegen ohne funktionierenden Epidermal-Growth-Factor-Rezeptor (EGFR) blieb der Royalactin-Effekt aus. Kamakuras Fazit daher: Royalactin ist der alleinige „Königinnen-Macher“, indem es den entsprechenden Entwicklungsschalter über den EGFR-Signalweg anwirft. Eine schön schlichte Erklärung, die Nature auch umgehend publizierte (473: 478-83).

Fünf Jahre später war es wiederum Nature, das mit dem Artikel „Royalactin is not a royal making of a queen“ die verführerisch einfache Lösung wieder verwarf (537: E10-12). Ein Team um Robin Moritz von der Uni Halle hatte Kamakuras Versuche nicht reproduzieren können, vielmehr wuchsen bei ihnen auch ohne Royalactin Königinnen heran. Zudem deuteten deren Daten darauf hin, dass schlichtweg die größere Menge des jeweils verfütterten Gelées den Schalter zur Königin-Entwicklung umlegt.

Dies wiederum hat eine Gruppe von US-Biologen jetzt explizit getestet. Und tat­sächlich kamen sie zu analogen Ergebnissen – nur drückten sie es andersherum aus: Durch die Gelée-Reduktion werden die „normalen“ Larven unter konstantem Ernährungsstress gehalten – sodass sie zu kleinen und unfruchtbaren Arbeiterinnen heranwachsen. Die Königinnen-Larven bekommen hingegen viel Futter – und werden groß und fruchtbar. Die genaue Zusammensetzung des Gelées ist dabei unwichtig.

Klingt jetzt zwar auch nicht komplizierter, aber so mancher Teufel dürfte noch in den zellulären Details stecken.

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Letzte Änderungen: 12.10.2020