Editorial

Mach's noch einmal, Echse

Archiv: Schöne Biologie

Ralf Neumann


Schöne Biologie

In dem Buch „Zufall Mensch: das Wunder des Lebens als Spiel der Natur“ vertrat der US-Paläontologe Stephen Jay Gould 1989 folgende These: Ließe man die Erdgeschichte nochmals identisch von vorne ablaufen, würde das Leben nach diesem „Reset“ dennoch völlig neue Formen entwickeln – und folglich würde dann auch der Mensch wohl nicht auf Erden wandeln.

Gould wollte damals vor allem der weitverbreiteten Ansicht entgegentreten, dass die Evolution deterministisch nach festen Plänen und klaren Gesetzmäßigkeiten vorgehe. Tatsächlich, so Gould, sei vielmehr Kontingenz das dominierende Prinzip in der Evolution: Immer gäbe es viele verschiedene Möglichkeiten der Anpassung, woraus die Selektion letztlich nur rein zufällig auswähle. Und ein Produkt dieser Kette „reiner Zufälle“ sei eben der Mensch.

Gould räumte später selbst ein, dass die Wahrheit wohl eher irgendwo in der Mitte liege. Schließlich operiert auch der „Gould‘sche Zufall“ innerhalb physikalischer, chemischer und biologischer Zwänge, die sein freies Spiel klar einschränken. Und dies offenbar stärker, als er gedacht hatte – wie wir bereits zuvor an Beispielen konvergenter Evolution demonstrierten (siehe „Schöne Biologie“, LJ 10/2013).

So entwickelten etwa die Vorläufer von Fischen, Delphinen und Pinguinen auf die Herausforderung „Wasser“ jeweils unabhängig voneinander ähnlich stromlinienförmige und flossenbesetzte Körper. Oder rekrutierten die Urahnen von Delphinen und Fledermäusen zum Zwecke der Echolokation größtenteils die gleichen rund zweihundert Gene – und bauten sie im Laufe der Zeit durch sehr ähnliche, also konvergente Muta­tions­muster für ihre neuen Aufgaben um. Offenbar gab es in diesen Fällen also doch keine verschiedenen – und vor allem keine gleich guten – Möglichkeiten der Anpassung.

Ein weiteres Beispiel, zudem mit ganz neuen Aspekten, kommt jetzt aus Australien. Dort hatte man in den 1930ern extra die sogenannte Aga-Kröte Rhinella marina aus Asien importiert und ausgesetzt, damit sie Zuckerrohr-Plantagen von schädlichen Käfern freifressen. Eine Idee, die arg in die Hose ging, denn die Riesenkröten vermehrten sich rasend und fraßen alles mögliche – nur nicht die Schädlinge. Zudem vergifteten sie mit ihrem Hautgift Bufalin alles, was wiederum sie fressen wollte – vor allem Warane (Varanidae). Und das auf äußerst perfide Weise: Aus dem Verdauungstrakt wandert das Bufalin zum Herzmuskel und setzt dort die Na+/Ka+-Pumpe matt.

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Asiatische und afrikanische Warane hingegen verspeisen Bufalin-Kröten seit jeher ohne Probleme; zwei ausgetauschte Aminosäuren machen deren Pumpen Gift-resistent. Doch nicht nur diejenigen von Waranen, wie die Australier nun schreiben. Mannigfach fanden sie analoge Mutations-Duos, die die Na+/Ka+-Pumpen von Igeln, Mäusen, Schlangen, Echsen, anderen Kröten und sogar Fliegen immun gegen Bufalin machten (PNAS 112: 11911-6). Konvergente Evolution eben.

Der resultierende Stammbaum offenbarte aber noch etwas: Bereits die asiatischen Vorfahren der australischen Warane entwickelten Gift-resistente Herzpumpen. Doch als die „Auswanderer“ dann aufhörten, Aga-Kröten zu fressen, mutierten sie schnell wieder zurück zur Gift-empfindlichen Form. Offenbar hat diese, ohne die Notwendigkeit, Bufalin abzublocken, andere Vorteile.

Damit drängt sich natürlich die Frage auf, ob die australischen Warane angesichts der neuen Krötenplage nun wieder zur Gift-resistenten Pumpenvariante zurückkehren werden. Und ob sie damit die Evolution innerhalb der eigenen Linie nochmals wiederholen.



Letzte Änderungen: 09.11.2015