Editorial

Frostschutzgene

von Britta Mädge (Laborjournal-Ausgabe 02, 1999)


Wasser wird bei OºC zu Eis, das weiß jedes Kind. Stimmt aber nicht. Wasser kann bis -42ºC abgekühlt werden, wenn es ganz rein und erschütterungsfrei ist. Das weiß jeder Physiker. Sowas kommt jedoch in der Natur nicht vor, weiß jeder Biologe. Wie also schaffen es Fische im Polarmeer bei -2ºC, sibirische Fichten sogar bis -8OºC kalte Winter zu überleben, ohne zu Eisklumpen zu erstarren?

Fatal am Frost sind einerseits die Eiskristalle, die die Zellen mechanisch beschädigen. Zum anderen aber dient das fest gewordene Wasser nicht mehr als Lösungsmittel - die Zellen trocknen aus. Genau dies gilt es zu verhindern, und dafür haben sich verschiedene Strategien entwickelt. Der Schneefloh beispielsweise kann seine Körpertemperatur unter 0 ºC abkühlen, indem er alle Kristallisationskeime, eben solche Unreinheiten, die das sofortige Gefrieren des Wassers bewirken, inaktiviert oder aus seinem Verdauungstrakt entfernt.

Andere Frostvermeider bilden biologische Frostschutzmittel in Form von Proteinen, antifreeze proteins (AFPs) genannt, oder auch THPs für thermal hysteresis proteins. Diese meist sehr kleinen Proteine von 3-34 kDa bewirken ebenfalls eine Unterkühlung der Körperflüssigkeit unter den Gefrierpunkt, wobei der Schmelzpunkt nicht verändert wird.

Diese Erniedrigung läßt sich messen, womit AFPs nachgewiesen werden können. Eine "thermale Hysterese" von 1ºC bedeutet, daß das Protein die Flüssigkeit um 1ºC temperaturunempfindlicher gemacht hat, diese also auf -1ºC abgekühlt werden kann, ohne zu gefrieren. Gut untersucht und am längsten bekannt sind die Antifrost-Proteine von Fischen wie der Winterflunder. Sie bilden eine Helix mit positiv und negativ geladenen Resten, die nach außen zeigen. Die Dipolmoleküle binden dann an die polare Oberfläche eines entstehenden Eiskristalls. Dadurch wird die weitere Anlagerung von Wassermolekülen blockiert, schließlich hört der Kristall ganz zu wachsen auf.

AFPs aus anderen Organismen sind völlig unterschiedlich aufgebaut-. Sie können Glyroproteine sein, Disulfidbrücken besitzen oder auch Knäuel ohne besondere Merkmale sein, aber alle scheinen den gleichen Wirkmechanismus zu besitzen: Sie binden an Eiskristalle und verhindern oder verlangsamen deren Wachstum. Normalerweise breitet sich ein Eiskristall dreidimensional sehr schnell aus. Sind AFPs anwesend, läßt sich unter dem Mikroskop beobachten, wie sich jetzt statt eines großen Kristalls viele kleine bilden, die eine bipyramidale Form haben. Den Rekord des effektivsten Antifrostproteins hält der Mehlwurm Tenebrio molitor, der bis -5,5 ºC überleben kann. Sein AFP ist 100mal aktiver als alle vorher gefundenen. Der Grund dafür ist wahrscheinlich die extreme Hydrophilie des Proteins, das daher sehr viele Eis-Bindungsstellen besitzt.

Auch aus Pflanzen wurde kürzlich das erste AFP isoliert. Die Gefrierpunkterniedrigung von nur 0,35ºC ist zwar nicht spektakulär, aber das Karotten-Protein sorgt für deutlich kleinere Eiskristalle im Zellsaft.

Tatsächlich scheinen die meisten frostharten Organismen das Übel möglichst klein halten zu wollen, das heißt, sie tolerieren viele kleine Eiskristalle und überleben so im halbgefrorenen Zustand.

Übrigens enthält Ficus benjamini ganz sicher keine Frostschutzproteine - meiner war, auf dem Balkon vergessen, nach dem ersten Herbstfrost gleich hinüber.








Letzte Änderungen: 19.10.2004