Editorial

Virotherapie / Onkolytische Viren

von Melanie Erzler (Laborjournal-Ausgabe 12, 2018)


Stichwort

Denken wir an Viren, sehen wir zunächst einmal den Krankheitserreger, der uns mitunter sehr gefährlich werden kann. Was aber, wenn der Feind auf einmal zum Freund wird?

Da Viren keinen eigenen Stoffwechsel haben, kapern sie die Replikationsmechanismen ihrer Wirtszelle, um sich zu vermehren. Das geschieht so lange, bis die Zelle platzt und die Viruspartikel freisetzt – welche wiederum die umliegenden Zellen infizieren.

Immer wieder wurde jedoch von Fällen berichtet, in denen Tumore nach einer Virusinfektion auf wundersame Weise verschwanden. Ebenso wie gesunde Zellen können Viren natürlich auch Tumorzellen befallen und zum Zelltod führen – durch ihren erhöhten Stoffwechsel sind Letztere sogar anfälliger. Zudem haben Krebszellen Mechanismen entwickelt, durch die sie vom Immunsystem unerkannt bleiben. Im Umkehrschluss können sie bei einer Infektion aber auch keine Warnsignale wie Interferone ausschütten, um das Immun­system zur Hilfe zu holen.

Verbündeter und Gegner zugleich

Bei alledem lag der Versuch nahe, Viren gezielt zur Bekämpfung von Krebszellen zu nutzen. Beispielsweise können sie dabei als Genfähren eingesetzt werden, etwa um Krebszellen so zu modifizieren, dass das Immun­system sie besser erkennen kann. Aus Sicherheitsgründen setzt man hierfür häufig Viren ein, die sich nicht replizieren können.

Um eine höhere Wirksamkeit der Tumor­therapie zu erreichen, ist die Replikation sowie die anschließende Lyse der befallenen Zellen allerdings von Vorteil: Die Transduktionsrate wird erhöht und die Viren können sich effektiver ausbreiten. Zudem werden durch den Zelltod T-Zellen gegen die freigesetzten Tumor-Antigene aktiviert, was eine lange anhaltende Immunantwort ermöglicht.

Um zu gewährleisten, dass die onkolytischen Viren ausschließlich Tumorzellen befallen, werden sie meist genetisch modifiziert. Zum Einsatz kommen die verschiedensten Virustypen: Adeno-, Retro-, Herpes-, Masern- oder Pockenviren. Im Fokus sind aber auch Viren, die den Menschen natürlicherweise nicht befallen und seinen gesunden Zellen deshalb nicht gefährlich werden – ein Beispiel sind Parvoviren.

Editorial

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Wichtiger Verbündeter in der Virotherapie ist natürlich das Immunsystem. Es kann aber auch zum größten Gegenspieler werden. Schließlich hat unser Körper über die ganze Entwicklungsgeschichte hinweg gelernt, Viren aufzuspüren und abzuwehren – weswegen das Immunsystem auch die therapeutischen Viren als Feinde erkennt und eliminiert. Aus diesem Grund setzt man onkolytische Viren derzeit vor allem lokal ein: Man injiziert sie direkt in den soliden Tumor. Metastasen können auf diese Weise bislang nicht behandelt werden.

Kombipack mit Immuntherapien

Bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom beispielsweise wird T-Vec (Talimogen laherparepvec), ein modifiziertes Herpes simplex-Virus, direkt in die Tumorzellen der Haut gespritzt. T-Vec ist genetisch so modifiziert, dass es sich nur in Melanomzellen vermehren kann und diese Zellen schließlich für das Immunsystem besser erkennbar macht. Die zusätzliche Expression des Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktors (hGM-CSF) verstärkt die Immunantwort.

Wie bei vielen immunonkologischen Therapien scheint bei den onkolytischen Viren die Kombination mit anderen Therapien sinnvoll. Im klinischen Versuch zeigte sich der gemeinsame Einsatz mit Checkpoint-Inhibitoren vielversprechend. Diese Immuntherapie, für die in diesem Jahr der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde, ermöglicht eine verstärkte Immunantwort auf Krebszellen, indem natürlich eingebaute Bremsen zur T-Zell-Aktivierung wie die Regulatorproteine CTLA-4 und PD-1 durch Antikörper inhibiert werden. Bringt man die Gene für die Antikörper in onkolytische Viren ein, werden diese in den Tumorzellen vervielfältigt und bei der Lyse direkt im Tumor freigesetzt – was Nebenwirkungen durch die Antikörper verringert (Molecular Therapy 22(11):1949-59).

In Tübingen veröffentlichte die Forschergruppe „Virotherapie“ um Ulrich Lauer kürzlich die Ergebnisse einer klinischen Phase-I-Studie, in der sie Pockenviren in die Bauchfellhöhle von Patienten mit Bauchfellkrebs injizierten. Der Befall des Bauchfells geht häufig von fortgeschrittenen gastrointestinalen oder gynäkologischen Tumoren aus, kann aber auch primär entstehen. Bei acht der neun behandelten Patienten konnten Lauer et al. eine Virusreplikation samt onkolytischer Zerstörung der Tumorzellen nachweisen (Clin. Cancer Res. 24(18): 4388-98). Die Nebenwirkungen beschränkten sich dabei auf grippeähnliche Symptome und Bauchschmerzen. In den USA wird nun getestet, ob diese Therapie auch bei Bauchfellkrebs-Patientinnen anschlägt, bei denen die Tumorerkrankung von den Ovarien ausgeht; auch hier ist eine Kombination mit immunaktivierenden Krebs-Medikamenten angedacht.

Biopharma positioniert sich

Und auch in der Industrie scheint das hohe Potenzial der onkolytischen Viren inzwischen angekommen zu sein: In den letzten Jahren sind gleich einige Firmen auf den Zug der Virotherapie aufgesprungen. So wurde beispielsweise erst im Oktober eine onkolytische Masern-Impfvirus-Plattform, welche Forscher der Universität Tübingen und des Martinsrieder Max-Planck-Instituts für Biochemie aufgebaut hatten, an das österreichische Unternehmen Themis Bioscience lizensiert. Auf dieser Basis wollen die Österreicher nun wirkungsverstärkte onkolytische Viren für den klinischen Einsatz entwickeln. Kurz zuvor hatte Boehringer Ingelheim nach erfolgreicher Kooperation für insgesamt 210 Millionen Euro sämtliche Anteile der Innsbrucker Spezialisten von ViraTherapeutics übernommen.

Offenbar sind Biotech und Pharma schon dabei, sich in der onkolytischen Virotherapie zu positionieren.



Letzte Änderungen: 06.12.2018