Editorial

DNA-Netze

von Melanie Erzler (Laborjournal-Ausgabe 1/2, 2018)


Stichwort

Gelangt ein fremder Mikroorganismus in den Körper, sind auch die neutrophilen Granulozyten nicht weit – und sie kommen nicht mit leeren Händen. Können sie den Eindringling nicht gleich komplett phagozytieren, schütten sie nicht nur tödliche Granula aus – sie werfen auch DNA-Netze aus. Diese fangen das Pathogen ein und machen es unschädlich oder hindern es zumindest daran, sich weiterzuverbreiten.

DNA-Netzwerk

DNA-Netze oder im Molekularbiologen-Jargon, Neutrophil Extracellular Traps (NETs), werden intrazellulär zusammengebaut. Als Baumaterial dient nukleäres oder mitochondriales dekondensiertes Chromatin, das mit verschiedenen Proteinen dekoriert ist, beispielsweise Histonen und Myeloperoxidase.

Die Freisetzung der Netze erfolgt auf zwei verschiedenen Wegen: Entweder stößt die Zelle ihr nukleäres dekondensiertes Chromatin in einem Akt der Selbstaufgabe aus; worauf sich dieses mit dem Cytoplasma verbindet und die permeabilisierte Zellmembran durchdringt (NETose). Oder sie sezerniert die DNA-Protein-Verbindung lediglich und lebt anschließend als kernloser Cytoplast weiter, der weiterhin Bakterien phagozytieren kann (non-lytische NETose).

Selbstaufgabe oder Cytoplast

Die Entscheidung, in der jeweiligen Situation DNA-Netze auszuwerfen oder den Mikroorganismus zu phagozytieren, hängt vor allem von der Größe und Virulenz des Gegners ab. Sind Pathogene oder auch endogene ­Kristalle für die Phagozytose zu groß, baut die Zelle ihr Aktingerüst ab und bereitet sich auf die Netzproduktion vor. Dies scheint auch der Fall zu sein, wenn Mikroorganismen Virulenzfaktoren aufweisen, mit denen sie der Phagozytose entkommen können, beispielsweise durch die Aggregation zu größeren Komplexen. Die genaue Rolle der NETs in der Immunabwehr ist schwer zu definieren, gerade wegen der engen Verflechtung mit der Phagozytose – eine wichtige Rolle spielen sie beispielsweise bei Pilzinfektionen.

Und wie so häufig findet sich auch bei NETs eine Kehrseite der Medaille. In der letzten Zeit entdeckten Forscher vermehrt Pathomechanismen, in die DNA-Netze verwickelt sind. Offensichtlich können DNA-Netze neben Mikroorganismen auch epitheliale und endotheliale Zellen abtöten. Neutrophile von Diabetikern produzieren schneller NETs, die zur verzögerten Wundheilung beitragen. Zudem sind NETs in pathologische Entzündungsprozesse verwickelt. Bei der Rheumatoiden Arthritis entstehen aus NETs zirkulierende Selbst-Antigene, die die Antikörperproduktion auslösen. Außerdem wurde in verschiedenen Autoimmunerkrankungen Granulozytenpopulationen identifiziert, die spontan NETs ausschütten.

Wichtige Gegenspieler

In einer kürzlich publizierten Arbeit berichten Jiménez-Alcázar et al. (Science 358: 1202-6) von einem Pathomechanismus, bei dem DNA-Netze, unabhängig von den üblichen Verursachern wie Thrombozyten und Fibrin, eine Verklumpung der Blutgefäße hervorrufen. Schutz davor bieten nach den Ergebnissen der Forscher die Enzyme DNase1 und ­DNase-like 3. Sie greifen die NETs am Chromatingerüst an und schützen so vor dem Gefäßverschluss. Dabei haben die beiden ­DNasen unterschiedliche Wirkungsorte und -ziele: DNase 1 kommt in nicht-hämatopoetischen Zellen vor und spaltet vor allem Protein-freie DNA, während DNase-like 3 von Immunzellen ausgeschüttet wird und Protein-DNA-Komplexe wie Nukleosomen angreift.

Um die Funktion der beiden DNasen näher zu untersuchen, nutzten die Forscher Mausmodelle, in denen entweder DNAse 1, DNAse-like 3b oder beide Enzyme ausgeschaltet wurden. Über die zusätzliche dauerhafte Stimulation mit G-CSF (Granulocyte Colony Stimulating Factor) wurde eine Neutrophilie induziert, die zu einer vermehrten Produktion von NETs führte.

Fehlender Schutz

Mäusen, die bei Stimulation mit G-CSF beide DNasen exprimierten, ging es weiterhin gut. Induzierte man die Neutrophilie jedoch in den KO-Mäusen, zeigte sich die zweifache physiologische Schutzfunktion der beiden Enzyme: Mäuse, bei denen nur eine ­DNase ausgeschaltet war, waren weiterhin nicht beeinträchtigt. Fehlten aber beide DNAsen, starben sie innerhalb weniger Tage nach Stimulation mit G-CSF. Dem voran gingen eine starke Hypothermie mit Zeichen einer hämolytischen Anämie sowie Multi-Organschäden.

Bei den erkrankten Mäusen waren Erythrozyten in den Gefäßen verklumpt – ein großer Bestandteil dieser Klumpen war dekondensierte DNA, die als NETs identifiziert wurde. Sie enthielten aber nur teilweise Gerinnungsfaktoren wie van-Willebrand-Faktor und Fibrin – NETs können also eigenständig die Verklumpung von Erythrozyten und Plättchen verursachen.

NETs verstopfen Gefäße

Der Phänotyp dieser Mäuse erinnerte an den von Patienten mit Infektions-assoziierter thrombotischer Mikroangiopathie (TMA) sowie disseminierter intravaskulärer Koagulation wie beim hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS). Gab man NETs in der Akutphase zum Plasma dieser Patienten, blieben diese intakt, während sie in der Remissionsphase wie bei gesunden Menschen abgebaut wurden. Es liegt nahe, dass die Betroffenen den Schutz gegen ihre eigenen DNA-Netze temporär verloren hatten. HUS-Patienten werden mit dem Plasma gesunder Spender behandelt – dieses enthält DNasen, die die DNA-Netze in vitro wieder auflösen können.



Letzte Änderungen: 04.02.2018