Editorial

PETase

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 5, 2016)


Stichwort

Illustr.: highlightskids.com

Rund 300 Millionen Tonnen Plastik produzieren wir pro Jahr. Die industrielle Herstellung diverser Polymere ist Routine, nicht so deren spätere Entsorgung. Das Problem dürfte auch die nachfolgenden Generatio­nen lange beschäftigen, denn die allerwenigsten Kunststoffe sind kompostierbar, so dass sich immer mehr davon in der Umwelt anreichern. Es sei denn, die Evolution zieht nach und entdeckt die menschgemachten Materialien als neue Kohlenstoffquelle.

Suche im Müll

Japanische Forscher machten sich daher auf die Suche nach Mikroorganismen, die Polyethylenterephthalat abbauen können – den Kunststoff, der besser bekannt ist unter dem Namen ‚PET’. Dabei fanden sie ein gramnegatives Bakterium, das PET-spaltende Enzyme produziert. Ideonella sakaiensis nannten Shosuke Yoshida et al. ihren plastikfressenden Organismus (Science 351: 1196-9).

Die Suche begann in einer Recycling-Anlage für PET-Flaschen. 250 Proben brachten die Wissenschaftler mit ins Labor. Auf PET-Filmen ließen sie mikrobielle Gemeinschaften wachsen. Das Elektronenmikroskop zeigte: Eines dieser Mikroben-Konsortien baute die PET-Oberfläche allmählich ab und produzierte dabei mehr CO2 als auf PET-freien Medien. Anscheinend nutzen die Mikroben den Kunststoff für metabolische Prozesse.

Durch weitere Untersuchungen fand das Team heraus, dass nur ein Organismus in diesen Kulturen für die Löcher in der PET-Oberfläche verantwortlich war, ebenjene Ideonella-Spezies. Als Reinkultur isoliert und bei 30 Grad Celsius kultiviert, zersetzten die Bakterien den 200 Mikrometer dicken Kunststofffilm innerhalb von sechs Wochen nahezu komplett. Auf den elektronenmikroskopischen Aufnahmen sieht man Fortsätze der Bakterien, über die sie am Kunststoff haften und auch untereinander verbunden sind.

Als nächstes wollten die Forscher das für den Abbau verantwortliche Enzym ausfindig machen. Einige wenige Lipasen, Esterasen und Cutinasen waren bereits bekannt, die unter anderem auch PET hydrolysieren konnten, etwa aus einzelnen Pilzen oder Actinomyceten. Also durchsuchten die Japaner das Ideonella-sakaiensis-Genom nach ähnlichen Sequenzen und landeten einen Treffer. Das Gen brachten sie in E. coli ein und isolierten das synthetisierte Protein, um dessen Aktivität in vitro zu messen und mit den bereits bekannten PET-spaltenden Enzymen zu vergleichen. Doch nur das Ideonella-Protein setzte PET in nennenswerten Mengen um, die Vergleichsenzyme hatten dagegen nur eine geringe Aktivität. Die bevorzugten nämlich aliphatische Ester, wie sie normalerweise als Substrat für Lipasen und Cutinasen in der Natur vorkommen. Hier wiederum schnitt das Ideonella-Protein schlechter ab. Offensichtlich ist das neu entdeckte Enzym also speziell auf PET zugeschnitten und kann mit den gängigen Substraten wenig anfangen. Deshalb bezeichneten die Autoren ihre Entdeckung als PETase.

Noch ein zweites Enzym

Die chromatografische Analyse untermauert die Vermutung, dass das Bakterien­enzym PET per Hydrolyse degradiert. Die Forscher fanden nämlich typische Abbauprodukte, die entstehen, wenn man die Esterbindungen des Polymers aufbricht, darunter vor allem Monohydroxyethyl­terephthalat (MHET), das Monomer, aus dem PET aufgebaut ist. In den Bakterienkulturen hingegen kamen nur geringe Mengen an MHET vor. Die Autoren schlossen daraus, dass ihre Ideonella-Spezies MHET weiter verarbeiten muss. Also suchten sie per Transkriptomanalyse nach Unterschieden in den RNA-Profilen zwischen Bakterien, die mit oder ohne PET wachsen und stießen auf ein Tannase-kodierendes Gen, das immer nur zusammen mit der PETase hochreguliert war. Tannasen hydrolysieren ebenfalls Esterbindungen, sind aber auf aromatische Substrate spezialisiert – in diesem Fall offensichtlich auf MHET. Tatsächlich baute das zweite Enzym in biochemischen Experimenten nur MHET effizient ab, nicht aber PET oder aliphatische Ester.

Neben der PETase hatten die Forscher also auch noch eine MHETase entdeckt. Die zerlegt die PET-Bruchstücke dann in Ethylenglycol und Terephthalsäure. Uwe Bornscheuer, Leiter der Gruppe Biotechnologie und Enzymkatalyse am Institut für Biochemie der Uni Greifswald, ist von den Ergebnissen aus Japan beeindruckt. „Dieses Bakterium ist besonders, weil es PET komplett verwerten und als C-Quelle nutzen kann“, resümiert er. Dass die Gene nur dann hochreguliert werden, wenn PET vorhanden ist, spreche dafür, dass sie wirklich speziell für diese Aufgabe zuständig sind. „Offensichtlich ein Beispiel für rasche Evolution“, ergänzt Bornscheuer, „denn PET gibt es erst seit etwa 70 Jahren“.

Bornscheuer hat für dieselbe Science-Ausgabe einen Perspectives-Artikel zur Publikation von Yoshida et al. geschrieben (Vol. 351: 1154-5). Ihn interessiert die Frage, ob man die Enzyme aus Ideonella sakaiensis auch industriell nutzen kann. Dann könnte die Rückgewinnung von Terephthalsäure die Nutzung von Erdöl als Rohstoff zur PET-Produktion zumindest teilweise ersetzen.

Schnelle Evolution

Einfach so kompostieren lassen sich alte Plastikflaschen aber auch künftig nicht. „Aus dem Paper von Yoshida wird klar, dass dieses Bakterium sehr langsam wächst“, begründet Bornscheuer, „es wäre sonst vermutlich auch schon viel früher entdeckt worden“. Unser Problem mit dem Plastikabfall wird Ideonella demnach wohl nicht lösen können, zumal es noch diverse weitere Kunststoffe gibt, die nicht aus PET bestehen. Womöglich bringt die Natur ja mittelfristig auch Mikroorganismen hervor, die das Polyethylen und Polypropylen aus Plastiktüten verdauen können. Ob wir uns in Sachen „Plastikabfall“ aber allein auf die Evolution verlassen sollten, ist eine andere Frage.



Letzte Änderungen: 28.04.2016