Editorial

Theta-Rhythmus

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 4, 2016)


Stichwort

Foto: Flickr / Alexey Krasavin

Neurone im Gehirn stimmen sich miteinander ab und folgen gewissen Rhythmen. Im Hippocampus liegen diese Schwingungen bei fünf bis zehn Hertz und damit ungefähr im Theta-Frequenzband. Anscheinend erleichtert es die Kommunikation zwischen Neuronenpopulationen, wenn sich die Netzwerke in ihrer Rhythmik angleichen und kohärent zueinander oszillieren.

Ähnlich wie ein Schlagzeuger

Läuft eine Ratte beispielsweise durch einen Versuchsaufbau, in dem sie sich räumlich orientieren muss, dann werden spezifische Pyramidenzellen im Hippocampus aktiv, sobald die Ratte eine neue Umgebung betritt. Diese sogenannten Ortszellen feuern ebenfalls im Theta-Rhythmus und treffen dabei zeitlich sehr genau eine bestimmte Phase innerhalb einer Schwingungsdauer. Sie haben also nicht nur grob dieselbe Entladungsrate wie andere Hippocampuszellen, sondern sind kohärent zur Hintergrundschwingung; ähnlich wie ein Schlagzeuger, der dem Orchester zuhört, mitzählt und immer genau auf der ‚Drei’ die kleine Trommel trifft. Läuft das Tier nun weiter und orientiert sich neu, feuert eine andere Population von Ortszellen zeitlich ‚auf der Drei’, um in der Schlagzeuger-Metapher zu bleiben. Das vorherige Ortszell-Cluster ist auch noch aktiv, rückt aber innerhalb der Schwingphase ein wenig nach vorn, als ob dessen Drummer jetzt bereits auf der „Zwei“ trommelt.

Während die Ratte ihre Umgebung weiter erkundet, werden immer neue Ortszellpopulationen aktiv, während die vorherigen Cluster jeweils nach vorne hin aufrücken. Über diese Kohärenz mit dem Theta-Rhythmus kodiert die Ratte, wo sie sich momentan befindet, und wo sie sich zuvor aufgehalten hat. Anhand der Reihenfolge, mit der Ortszellen feuern, kann man also die Bewegungsbahn der Tiere rekonstruieren (Hippocampus 3(3):317-30).

Schon in den 1970er Jahren untersuchte man die Theta-Aktivität im Hippocampus von Nagetieren. Damals fiel Forschern auf, dass nicht nur Neurone, sondern auch einige muskelgesteuerte Bewegungen der Tiere im Theta-Takt ablaufen. So beispielsweise das Vibrieren der Tasthaare von Ratten und Mäusen. Die dabei verarbeiteten Sinnesreize landen unter anderem im Hippocampus, der für das Lernen und die Gedächtnisbildung zuständig ist. Ob sich aber die Bewegungen der Tasthaare mit den Thetawellen im Hippocampus synchronisieren und ob sie in einer kohärenten Rhythmik zueinander oszillieren, dazu gab es bislang widersprüchliche Daten. Das Team um Mathew Diamond der International School for Advanced Studies (SISSA) in Triest hat jetzt genauer hingeschaut (PLoS Biol 14(2):e1002384).

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Tasthaare vibrieren...

Die Forscher hatten Ratten trainiert, zwei verschiedene Plexiglasplatten anhand ihrer Rillen zu unterscheiden. Bei dieser Aufgabe setzen die Nager ihre Tasthaare ein und erfühlen so die Struktur der Oberfläche. Je nachdem, welche Platte dem Tier im Versuch präsentiert wird, wartet entweder auf der linken oder rechten Seite eine Belohnung; meist wählen sie die korrekte Seite. Bei diesen Experimenten suchen Ratten nicht einfach nach Futter oder erkunden ziellos die Umgebung. Vielmehr ermitteln sie mithilfe ihrer Tasthaare eine Oberflächentextur und gleichen das Ergebnis mit dem Gelernten ab. Vielleicht, so dachten sich die Autoren des Papers, könnte man unter diesen speziellen Bedingungen eine Kohärenz zwischen der Rhythmik der Tasthaarvibrationen und dem Theta-Rhythmus im Hippocampus messen. Das Team platzierte also Elektroden im Kopf jedes Versuchstiers, um lokale Potentiale in der CA1-Region des Hippocampus zu messen, gemittelt über mehrere Zellpopulationen. Während die Ratte die Platte abtastete, lief eine Hochgeschwindigkeitskamera, um die Ausrichtung und das Vibrieren der Tasthaare aufzuzeichnen.

Pro Durchlauf gibt es eine Phase, in der sich das Tier der geriffelten Platte annähert. Im Moment des ersten Kontakts eines Tasthaares mit der Oberfläche beginnt die Berührungsphase, die rund eine halbe Sekunde dauert. In dieser Zeit fahren die Tasthaare vor und zurück und treffen dabei rund vier bis fünfmal auf die Platte. Die Berührungsphase endet mit dem letzten Kontakt eines der Tasthaare. Jetzt wendet sich die Ratte ab, bewegt sich entweder nach links oder rechts und bekommt dort eine Belohnung – sofern sie sich korrekt entschieden hat.

Während der Annäherung schlagen die Tasthaare etwa sechs bis zwölf mal pro Sekunde. In der Berührungsphase vibrieren sie recht gleichmäßig bei zehn Hertz. Doch synchronisieren sich die Theta-Wellen der Tasthaare tatsächlich mit den Hippocampus-Neuronen? In Kontrollexperimenten, in denen Ratten bloß zur Futtersuche auf einer freien Fläche umherliefen, sahen Dia­mond und Kollegen keine Kohärenz. Anders bei Ratten, die Oberflächenstrukturen wiedererkennen und zuordnen sollten. Deren Tasthaare oszillierten in der Annäherungsphase und während der Berührung kohärent zur untersuchten Hippocampus-Region. Je stärker die Erhöhung der Kohärenz beim Abtasten der Oberfläche ausfiel, desto geringer war die Fehlerrate, und desto schneller erkannten die Tiere die Struktur.

... synchron mit dem Hippocampus

Kohärenz zwischen sensorischem Input aus den Tasthaaren und den Hippocampus-Neuronen wäre demnach also kontextabhängig, was die widersprüchlichen Ergebnisse anderer Forscher erklären würde. Einfaches Suchverhalten hat keinen messbaren Effekt, wohl aber Diskriminierungsaufgaben, bei denen die Tiere Erlerntes abrufen müssen.

Die Autoren betonen, dass ihre Erkenntnisse zunächst einmal nur für Ratten gelten. Das Synchronisieren neuronaler Rhythmen dürfte aber sehr wohl ein allgemeines Prinzip neuronaler Informationsverarbeitung sein.



Letzte Änderungen: 29.03.2016