Editorial

Junges Blut

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 09, 2014)


Stichwort

Diese beiden erfolgreichen Nachwuchsathleten haben
keine Blutkur und auch keine sonstigen Kinkerlitzchen
nötig. Foto: LG Alsternord

„Zieht’s im Rücken? Wollen die Beine nicht mehr so wie früher? Fällt es Ihnen immer schwerer, sich Neues zu merken? Und der Blick in den Spiegel erinnert Sie jeden Morgen daran, dass Sie alt geworden sind? Das muss nicht so bleiben: Besuchen Sie uns für eine Blutkur, um sechs Wochen später als neuer Mensch nach Hause zu fahren! Geld-zurück-Garantie: Ihre Enkel werden alt aussehen neben Ihnen!“

Ein Laborjournal-Leser würde solch einer Werbeanzeige wohl wenig Vertrauen schenken. Tatsächlich aber gibt es diese Blutkur bereits, wenn auch nur im Tierversuch. Vieles deutet darauf hin, dass im Blut junger Mäuse Faktoren vorkommen, die alte Mäuse wieder fit machen. Angenehm ist die Behandlung für den Patienten aber nicht, denn man verbindet hierzu die Blutkreisläufe zweier Tiere. „Parabiose“ nennt sich dieser Eingriff, durch den beide wie siamesische Zwillinge miteinander verbunden werden, sodass sich deren Blut ständig miteinander vermischt und in beiden Körpern verteilt. Innerhalb des letzten Jahrzehnts untersuchte man auf diese Weise insbesondere Effekte, die beim Verbinden verschieden alter Tiere auftreten. Man spricht dann von heterochroner Parabiose. Und siehe da: Vermeintlich verbessern sich die Zellfunktionen und Hirnleistungen der älteren Tiere dabei signifikant.

Vitaler und schlauer: toll.

Im Mai dieses Jahres erschienen nun gleich drei Veröffentlichungen zum Thema. So verglichen kalifornische Wissenschaftler um Tony Wyss-Coray Gruppen homochroner und heterochroner parabion­tischer Mäuse miteinander und berichten darüber in Nature Medicine (Vol. 20(6): 659-63). Für die homochrone Gruppe wurden zwei 18 Monate alte „Mäuse-Senioren“ miteinander verbunden. In der heterochronen Gruppe kam jeweils ein 18 Monate alter Greis mit einem drei Monate alten Jungtier zusammen. Als erstes schauten sich die Forscher die Expressionsprofile im Hippocampus der gealterten Tiere an und fanden gewisse Unterschiede zwischen beiden Gruppen. In der heterochronen Gruppe waren verstärkt Signalwege aktiviert, die mit neuronaler Plastizität in Verbindung stehen. Bestätigt wurde dieser Befund durch immunohistochemische Nachweise der Proteine Egr1, c-fos und phosphoryliertem Creb, die dann in alten Tieren in größerer Menge vorkamen, wenn ihr Blutkreislauf mit Jungtieren verbunden war. Auch strukturell waren Unterschiede im Hippocampus erkennbar – denn wo junges Blut durch alte Gehirne floss, zählten die Wissenschaftler mehr Dornfortsätze auf den Synapsen im Gyros dentatus.

Elektrophysiologische Aufzeichnungen stützen die Vermutung einer erhöhten neuronalen Plastizität, denn auch die synaptische Übertragung war bei alten Tieren der heterochronen Gruppe besser. Analog zur Parabiose wurde alten Mäusen Blutplasma injiziert. Kam dieses von jungen Mäusen, erbrachten die Tiere in Verhaltensexperimenten bessere Leistungen – beispielsweise wenn sie in Stressexperimenten schnell eine schwimmende Plattform erreichen mussten. Störten die Autoren allerdings die Creb-Synthese der alten Tiere, so zeigten die Mäuse in einigen Verhaltensexperimenten nicht mehr dieselbe Leistungssteigerung. Auch der mengenmäßige Anstieg an Dornfortsätzen fiel im Parabiose-Modell geringer aus, wenn weniger Creb vorhanden war. Einige Effekte des jungen Blutes werden demnach offenbar von diesem Protein vermittelt.

Wachstumsfaktor im Blut

Zwei fast zeitgleich in Science erschienene Arbeiten gingen ebenfalls den Effekten jungen Mäusebluts auf den Grund und hatten dabei den Wachstumsfaktor GDF11 im Visier. Das Team um Lee Rubin aus Harvard fand heraus, dass junges Blut die Bildung neuer Blutgefäße initiiert und die Neurogenese fördert (Science 344: 630-4). So konnten gealterte Mäuse wieder besser Gerüche erkennen, was Rubin und Co. auf die Ausdifferenzierung adulter neuraler Stammzellen zurückführten. Verzichteten sie auf Parabiose oder die Injektion von Blutplasma und gaben den Mäusen stattdessen GDF11, traten vergleichbare Effekte auf. Das Protein aus der TGF-β-Familie steuert anscheinend als wesentlicher Faktor im Blut entsprechende Entwicklungsprozesse junger Mäuse. Parallel zeigte Amy Wagers, ebenfalls in Harvard und auch an Rubins Paper beteiligt, zusammen mit ihren Kollegen im zweiten Science-Paper, dass GDF11 auch die Funktion und Struktur der Skelettmuskulatur gealterter Mäuse verbessert (Vol. 344: 649-52).

Unschöner Beigeschmack

Leider haben die beiden Publikationen einen unschönen Beigeschmack: Die Arbeitsgruppe von Amy Wagers war in der Vergangenheit durch zwei Retraktionen in Nature und Blood aufgefallen. Wagers wollte hierzu keinen öffentlichen Kommentar abgeben; allerdings hatte sie selbst den Antrag auf die Rücknahme der Paper mit unterzeichnet. Der Erstautorin beider Arbeiten, die für die Fehler verantwortlich sein soll, wurde inzwischen gekündigt. Alleintäterin oder Sündenbock für schlechte interne Strukturen? Das lässt sich von außen schlecht beurteilen.

Doch auch wenn man gewissenhaftes Arbeiten aller Beteiligten voraussetzt, ist fraglich, ob die medizinische Forschung nun wirklich den Schlüssel zur ewigen Jugend in der Hand hält. Langfristig könnten die aktuellen Erkenntnisse aber helfen, Therapien gegen neurodegenerative und andere altersassoziierte Krankheiten zu entwickeln. Dass der Einsatz von Wachstumsfaktoren allerdings auch ein Spiel mit dem Feuer sein kann, ist indes auch Amy Wagers bewusst. „Derzeit untersuchen wir, ob GDF11 einen Einfluss auf Tumormodelle hat”, erklärt sie. Bislang habe es darauf aber noch keine Hinweise gegeben. Ganz begraben müssen wir die Hoffnung auf den Jungbrunnen vorerst also noch nicht.



Letzte Änderungen: 02.09.2014