Editorial

Synthetische Basen

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 06, 2014)


Stichwort

Foto: Maggi / Montage: LJ

A, T, G und C – die Kürzel für die Nukleinbasen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin gelten als Buchstaben im genomischen Alphabet des Lebens. Ihre Abfolge auf einem DNA-Strang bestimmt den Grundaufbau sämtlicher RNAs und Proteine, die eine Zelle herstellt. Das Geheimnis dieser Elementar­teilchen der Genetik lüfteten bekanntlich James Watson und Francis Crick vor mehr als 60 Jahren: Die Basenpaarungen. Eingebaut in das Zucker-Phosphat-Gerüst der DNA stoßen die gegenüberliegenden Basen beider Stränge so aufeinander, dass nur jeweils ein A mit einem T und ein C mit einem G kompatibel sind. Dabei wird das G-C-Paar über drei und das A-T-Paar über zwei Wasserstoffbrücken zusammengehalten. Die charakteristische Anordnung von Protonendonor und Akzeptor lässt komplementäre Basen wie zwei Puzzleteile ineinander schnappen, und so ist bei der Replikation sichergestellt, dass jeder neu synthetisierte Strang die zum Template komplementäre Information trägt. Nur wegen dieser spezifischen Basenpaarungen kann genetische Information überhaupt weitervererbt werden. Das Prinzip ist banal, doch dass die Natur zwei Basenpaare erfunden hat, die chemisch so perfekt zueinander passen und sich auch noch in die bekannte Doppelhelix integrieren lassen, grenzt selbst für manchen Naturwissenschaftler an ein Wunder.

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Weniger Ehrfurcht zeigte da Steven Benner, als er es der Natur gleichtat – und damit 1989 zu einem Pionier der synthetischen Biologie wurde. Sein Team stellte Isomere zu Guanin und Cytosin her, die über Wasserstoffbrücken miteinander kompatibel sind, aber nicht zu den vier Standardbasen passen – und zeigten damit: DNA, die isoG und isoC enthält, lässt sich replizieren und zu RNA transkribieren (Am. Chem. Soc. 111, 8322-23). Drei Jahre später gelang sogar die Translation eines künstlichen Peptids, denn mit Hilfe der neuen Basenpaare ließ sich ein 65. Codon definieren und auf diesem Weg eine nicht-natürliche Aminosäure einbauen (Nature 356: 537-9). Replikation, Transkription und Translation der Designer-DNA funktionierten jedoch nur im Reagenzglas, nicht in der lebenden Zelle.

In den folgenden Jahren wurde das Alphabet der DNA um weitere synthetische Basen bereichert. Einige davon sind sogar ohne Wasserstoffbrücken komplementär; sie finden vielmehr über ihre spezielle Form sowie hydrophobe Eigenschaften zueinander, wenn sie in wässrigem Medium in eine DNA eingebaut werden. Doch die Replikation der neu kreierten DNA gestaltete sich schwierig und lieferte nicht immer exakte Kopien – bis Floyd Romesberg und Kollegen mit dem Basenpaar d5SICS und dNaM auch dieses Problem weitgehend in den Griff bekam (Proc. Natl. Acad. Sci. USA 109(30): 12005-10).

Aus Vier mach Sechs

Jetzt berichtet das Team um Romesberg vom Scripps Research Institute in La Jolla/Kalifornien von einem weiteren Meilenstein: Erstmals brachten sie DNA mit künstlichen Basen in Bakterien, die diese bei der Zellteilung tatsächlich weitervererbten (Nature 509: 385-8). Zunächst bauten sie das Basenpaar d5SICS-dNaM an einer bestimmten Position in ein Plasmid ein. Allerdings ist es nicht damit getan, ein solches Plasmid einfach in eine Zelle zu geben, denn die neuen DNA-Bausteine sind ja nicht im Zytoplasma vorhanden. Daher bedienten sich die Kalifornier bei einer Alge und schleusten noch deren Transporter für Nukleosidtriphosphate in E. coli ein. Gaben sie nun Triphosphate der beiden synthetischen Basen ins Kulturmedium, nahmen die Bakterien diese auf, wodurch sie jetzt für die DNA-Replikation zur Verfügung standen.

Anschließend hatten die Kulturen 15 Stunden Zeit, zu wachsen. Und tatsächlich: Nach etwa 24 Verdoppelungen enthielten immerhin noch 86 Prozent der vermehrten Plasmide die künstlichen Basenpaare. Dass die Bakterien wirklich die aufgenommenen Triphosphate für den Einbau verwendeten, hatten die Forscher kontrolliert, indem das Original-Plasmid anstelle von d5SICS ein anderes zu dNaM komplementäres Analogon trug. So konnten sie die replizierten Plasmide chromatografisch identifizieren, da diese nun das d5SICS enthielten, das dem Medium als Triphosphat zugegeben, jedoch nicht im Original-Plasmid vorhanden war. Zudem brach die Sanger-Sequenzierung genau an der Position ab, an der das synthetische Basenpaar zu erwarten war.

Die Autoren schlussfolgerten, dass bei den Plasmid-Replikationen in 99,4 Prozent der Fälle auch die synthetischen Buchstaben korrekt kopiert wurden. Dennoch schlägt die Fehlerrate von 0,6 % auf lange Sicht exponentiell zu Buche und sorgt dafür, dass sich die synthetischen Basen über mehrere Generationen allmählich ausdünnen. Dass die Autoren im Titel ihrer Arbeit von einem „semi-synthetischen“ Organismus sprechen, erscheint unter diesem Gesichtspunkt dann doch etwas reißerisch, zumal nur ein einziges künstliches Basenpaar in der gesamten DNA enthalten ist, das keinerlei biologische Information zum Erbgut beisteuert.

Dennoch ist damit nun amtlich, dass ein Organismus zumindest prinzipiell auch Buchstaben jenseits des Standardalphabets kopieren kann. Exobiologen, die über mögliches Leben auf anderen Planeten und alternative Stoffwechselprinzipien philosophieren, dürften da aufhorchen. Romesberg und Co. dürfte jedoch zunächst anderes interessieren: Ob man den Bakterien womöglich auch synthetische Codons verpassen kann? Wodurch letztlich auch die Synthese völlig neuartiger Proteine eine neue Facette bekäme.



Letzte Änderungen: 10.06.2014