Editorial

Peptid-Nukleinsäure

von Julia Offe (Laborjournal-Ausgabe 01, 2013)


Echo vom Anfang

Echo vom Anfang? Bild: Leo Blanchette/Fotolia

Peptide und Nukleinsäuren kennt jeder Biologe, doch ein Molekül, das beide Strukturen vereint? Das klingt ungewöhnlich.

In ihrem Studium sehen Lebenswissenschaftler mehr als einmal die Strukturformeln von DNA und RNA – in der Mitte die Basen, jede nach außen hin über den Zucker Desoxyribose an ein Phosphat gebunden. So weit, so simpel. Die einzelnen Nukleotide werden verbunden, indem der Phosphatrest des einen Monomers an die Desoxyribose des nächsten Monomers bindet. Immer vom C3-Atom des einen Zuckermoleküls zum C5-Atom des nächsten – in 5‘-3‘-Richtung. Fest verbunden durch die negativ geladene Phosphodiesterbindung. Das Rückgrat von RNA sieht fast genauso aus.

Und auch Peptidbindungen kennt jeder Biologe: Sie verbinden Aminosäuren. Eine Aminosäure hat auf der einen Seite des zentralen C-Atoms eine Aminogruppe (-NH2), auf der anderen eine Carboxylgruppe (COOH) – das C der Carboxylgruppe bildet mit dem N der folgenden Aminosäure die Peptidbindung. Die Synthese verläuft also vom N-Terminus in Richtung C-Terminus. Diese Bindung ist im Gegensatz zur Phosphodiesterbindung elektrisch neutral.

Stabile Pseudopeptide

Dass Lebenswissenschaftlern die Struktur von Peptidnukleinsäuren (PNAs) in der Regel nicht geläufig ist, hat einen einfachen Grund: Man konnte sie in Lebewesen bisher nicht nachweisen.

Die Peptidbindungen in Peptidnukleinsäuren verbinden jedoch keine gewöhnlichen Aminosäuren miteinander, so dass man beim Peptidrückgrat der PNA auch von einem Pseudopeptid spricht. Es besteht in der Regel aus miteinander verknüpftem N-(2-Aminoethyl)glycin (AEG). Das ist etwas breiter als eine normale Aminosäure – und damit genau so breit wie die daran gebundenen Basen A, G, C und T.

In den 1990er Jahren entdeckten dänische Forscher, dass derartige Moleküle DNA binden können (Science 1991, 254(5037):1497-500). Die Struktur ist der von DNA oder RNA so ähnlich, dass sie mit beiden stabile Hybride bildet. Diese sind sogar wesentlich stabiler als DNA-DNA- oder DNA-RNA-Hybride.

Hybridisierungen von DNA und RNA sind deswegen nicht so fest, weil sich die zwei negativ geladenen Ribose-Phosphat-Rückgrate elektrisch abstoßen, was die Basenpaarung erschwert. PNA dagegen ist elektrisch neutral, die Bindung ist fester, dementsprechend steigt die Schmelztemperatur.

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Die elektrische Neutralität hat einen weiteren Effekt: DNA-PNA-Hybride entstehen schon bei niedrigen Ionenstärken, während DNA- und RNA-Hybride höhere Salzkonzentrationen benötigen.

Hochaffines Werkzeug

Und was nützt uns das? Man kann PNA-Oligomere beispielsweise als Hybridisierungs-Sonden verwenden oder bei einer RT-PCR bestimmte, uninteressante ­mRNAs mit PNA vorab blockieren. Dazu passt man Ionenstärke und Temperatur so an, dass sich zwar die Sekundärstrukturen der RNA auflösen, ein Stück PNA aber immer noch fest bindet.

Die Affinität von PNA zu DNA ist so hoch, dass PNA-Oligomere bestehende DNA-DNA-Hybride trennen. Sie klemmen sich sogar zwischen die beiden Stränge einer längeren Doppelhelix. Empfindlich ist sie jedoch bei Mismatches. Während DNA-Oligonukleotide trotz Mismatches recht gut binden, sinkt die Affinität eines PNA-Oligomers zur DNA schon bei einem einzigen Mismatch erheblich.

In vitro-Assays mit PNA funktionieren bestens. Dass sie weder von Nukleasen noch von Proteasen abgebaut werden, erleichtert die Handhabung nochmals. Aber könnte man sie auch verwenden, um die Gen­expression zu regulieren? Könnte man sie gar therapeutisch einsetzen? Das klingt verlockend, denn wenn PNA dauerhaft einen DNA-Abschnitt blockiert (Gen-Silencing) und diesen auch noch sehr spezifisch erkennt, könnte sie theoretisch die Tran­skription mutierter ­Allele, ob bei Erbkrankheiten oder bei Krebs, dauerhaft verhindern.

Ursprung des Lebens?

Leider ist in vivo mal wieder alles komplizierter.

Denn Zellen wissen wenig mit PNAs anzufangen. Da sie elektrisch neutral sind, lösen sie sich in Wasser nur schwer. Es ist nicht einfach, sie in lebende Zellen einzubringen, und wenn es gelingt, werden sie dort nicht weiter transportiert. Die zelluläre Maschinerie erkennt sie einfach nicht.

Doch es könnte sein, dass alles Leben auf der Erde seinen Ursprung in PNA hatte. Obwohl wir PNAs erst seit zwanzig Jahren kennen, könnten sie vor mehr als vier Milliarden Jahren die ersten Moleküle dargestellt haben, die zur Selbstreplikation fähig waren, indem sie Enzymaktivität und Information vereinten.

Auch RNA ist zur Selbstreplikation fähig. Doch die einzelnen Bausteine der RNA entstehen kaum unter den Bedingungen, wie sie auf der frühen Erde geherrscht haben müssen. Das einfacher gebaute Peptidrückgrat der PNA hingegen lässt sich leichter unter Bedingungen synthetisieren, die den vermuteten damaligen Verhältnissen nahekommen (PNAS 2000, 97(8):3868-71).

Aber müssten dann nicht Spuren von PNA als Ursprung allen Lebens in heutigen Organismen zu finden sein? Lange verlief die Suche ergebnislos. Doch seit 2012 stützt eine Entdeckung schwedischer und amerikanischer Wissenschaftler um Paul Alan Cox und Leopold L. Ilag die PNA-Hypothese (PLoS One 2012, 7(11):e49043): Sie fanden in mehreren Arten von Cyanobakterien N-(2-aminoethyl)glycin – das Rückgratmolekül der PNA. Die metabolische Funktion der AEG in Cyanobakterien ist noch nicht bekannt. Vielleicht sind sie einfach nur ein Überbleibsel aus der Prä-RNA-Welt.



Letzte Änderungen: 12.02.2013