Editorial

RNA-Epigenetik

von Karin Hollricher (Laborjournal-Ausgabe 3, 2012)

„Epigenetik waren schon immer all die seltsamen und wundervollen Dinge, die sich durch die Genetik nicht erklären lassen“, sagt Denise Barlow, Forschungszentrum für Molekulare Medizin Wien, auf der Webseite des Epigenom-Exzellenznetzwerks. Etwas weniger prosaisch klingt eine Definition aus dem Jahr 2009: Eine epigenetische Eigenschaft ist ein vererbbarer Phänotyp, ausgelöst durch Veränderungen auf einem Chromosom, ohne allerdings die DNA-Sequenz zu verändern (Shelley Berger et al., Genes Dev 2009, 23(7):781-3). Das erreicht man durch Manipulationen am Chromatin, die zu Veränderung der Transkription führen: Methylierungsstatus von Nukleotiden, Acetylierung von Histonproteinen sowie – und das ist ziemlich neu – kleine, nicht-codierende RNAs.

All dies sind Veränderungen der DNA. Neuere Entdeckungen zeigen, dass auch die Ribonukleinsäuren dynamisch und reversibel verändert werden können. Diese post-transkriptionellen Modifikationen als eine neue Art der Genregulation zusammenzufassen, dafür plädierte Chuan He von der University of Chicago (Nat Chem Biol 2010, 6(12):863-5).

Dass einzelne Nukleoside von RNA-Molekülen nach der Transkription verändert werden, ist schon lange bekannt. „RNA-Editing“ nennt man den Prozess, den 1989 in Pflanzen entdeckt wurde. Dabei werden Adenosine durch Desaminierung zu Inosinen, die die Translationsmaschinerie als Guanosine interpretiert, und – seltener – Cytosine zu Uridinen umgewandelt. Editierung kann die Aminosäuresequenz ändern, Stop-Codons und frameshift-Mutationen entfernen, mitunter aber auch völlig neue Open Reading Frames einführen. Warum Zellen diesen Aufwand betreiben, kann man sich bis heute nicht erklären.

Im letzten Jahr überraschte die Gruppe von Vivian Cheung, University of Pennsylvania, mit der Behauptung, der Austausch von Nukleosiden sei extrem häufig. Die Forscher hatten die RNA-Sequenzen in den B-Zellen von 27 Menschen mit den entsprechenden DNA-Abschnitten verglichen. Zur Überraschung aller fanden sie Unterschiede zwischen DNA- und RNA-Sequenzen an über 10.000 Positionen in Exons von über 4.700 Genen. Da sie nicht nur A-G- und C-U-Editierungen, sondern alle zwölf möglichen Nukleotid-Austausche gefunden hatten, spekulierten sie, eine neue Form des RNA-Editings gefunden zu haben (Science 2011, 333(6038):53-8).

Doch kaum war das Paper online publiziert, meldeten sich kritische Stimmen. Joe Pickrell filetierte das Paper in einem sehr interessanten Blog-Beitrag auf www.genomesunzipped.org. Er nahm an, dass die Unterschiede auf einem banalen Denkfehler basierten: Dass nämlich die zur vermeintlichen Original-DNA-Sequenz veränderten RNAs von sehr ähnlichen, aber eben doch nicht identischen (paralogen) DNA-Sequenzen abgelesen würden. Das überprüften Daniel Schrider und zwei Kollegen von der Indiana University in Bloomington, und kamen zu demselben Schluss (PLoS One 2011, 6(10):e25842).


Reversible RNA-Modifikation

Neue handfeste und unumstrittene Daten gibt es indes über RNA-Methylierungen. Thomas Preiss und seine Mitarbeiter von der Australian National University in Sydney beschrieben, wie sie die Methylierung von Cytosinen im gesamten Transkriptom einer Zelle untersuchten (Nucleic Acids Res, 16.2.2012 online veröffentlicht). Sie fanden 21 der 28 bereits bekannten m5C-Stellen in menschlichen tRNAs wieder, aber auch 234 neue Kandidaten-Stellen in den Transfermolekülen. Und zu ihrem eigenen Erstaunen identifizierten sie 10.275 Stellen in mRNAs und nicht-codierenden RNA-Molekülen. Diese Positionen sind nicht zufällig verteilt, sondern tauchen vermehrt in untranslatierten Bereichen und in der Nähe von Argonaut-Bindungsstellen auf. Das Argonaut-Protein gehört zum Equipment der microRNA-Prozessierungsmaschinerie.

Seit kurzem ist bekannt, dass sich Nukleoside nicht nur methylieren lassen, sondern es in der Zelle Mechanismen gibt, die die Methylgruppen auch wieder entfernen. Die Modifikation ist damit genau wie die Methylierungen an der DNA reversibel. An RNA-Molekülen bewerkstelligen dies verschiedene eisenhaltige Dioxygenasen, nämlich Moleküle der ABH-Gruppe sowie ein Protein namens fat mass and obesity-associated protein (FTO). Inhibiert man FTO in menschlichen Zellen, findet man mehr mRNAs, die am C6-Atom von Adenosin methyliert sind. Bei Überexpression von FTO liegt der Methylierungsgrad unter Normalniveau, berichtet Chuan He (Nat Chem Biol 2011, 7(12):885-7).

Weil die Methylierungen von Adenosin und Cytosin so häufig sind, liegt der Verdacht nahe, dass sie eine Funktion bei der post-transkriptionellen Kontrolle der RNA-Funktion ausüben. Immerhin gehen Säugerzellen in Apoptose und Pflanzenzellen unterbrechen ihre Entwicklung, wenn man RNA-Methylasen inhibiert. Bestimmte RNA-Methylierungen sind zudem entscheidend für die Wirkung von Antibiotika. Methylierungen des Adenosins 2503 in der 23S-rRNA machen Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) auch noch unempfindlich gegen das neue Reserveantibiotikum Linezolid (Feng Yan et al., J Am Chem Soc 2010, 132(11):3953-64).

Spekulieren können wir auch darüber, ob RNA-Methylierungen Einfluss auf das Hüftgold haben. Denn FTO steuert den Energiehaushalt des Körpers. Bestimmte Varianten gehen einher mit Fettleibigkeit. Vielleicht sind gerade diese FTO-Varianten irgendwie speziell im Hinblick auf ihre Demethylierungseffizienz. Wer weiß.

Chuan He ist der Überzeugung, dass RNA-Modifikationen einen ganz neuen Mechanismus der Translationskontrolle darstellen könnten, der maßgeblich den Phänotyp beeinflusst. Ein Mechanismus, der erblich, reversibel und selbsterhaltend ist, wobei er die DNA-Sequenz nicht verändert. Ergo ein Fall von Epigenetik, nämlich RNA-Epigenetik.



Letzte Änderungen: 26.03.2012