Editorial

Serotonin

von Birgit Hertwig (Laborjournal-Ausgabe 12, 2009)


Serotonin

iStock/invictus999

Serotonin hat es in sich: Das Molekül beeinflusst Körperfunktionen und komplexes Verhalten. Das biogene Amin ist weit verbreitet, von Einzellern wie Amöben über Pflanzen – bei denen es unter anderem Wachstum und Fruchtreife steuert – und höhere Pilze bis zu (nahezu) allen Tieren. Hier ist es unter anderem verantwortlich für Blutdruck, Schlaf-Wach-Rhythmus, Schwarmbildung, Sexual- sowie allgemeinem Sozialverhalten.

Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) kommt als Gewebshormon und Neurotransmitter im Nervensystem und im Blut vor. Es wurde von dem Pharmakologen Vittorio Erspamer in den 1930er Jahren als „Enteramin“ aus der Darmschleimhaut isoliert; 1948 entdeckten es Maurice Rapport und seine Kollegen an der Cleveland Klinik in Ohio nochmal: Sie fanden eine die Blutgefäße kontrahierende und relaxierende Substanz, der sie den Namen „Serotonin“ (= Serumkomponente, die den Tonus der Blutgefäße reguliert) gaben. Erspamer wies 1952 nach, dass es sich bei Enteramin und Serotonin um ein und dasselbe handelt.

Serotonin wird aus L-Tryptophan über Decarboxylierung des Zwischenprodukts 5-Hydroxytryptophan synthetisiert und entfaltet im Menschen seine Wirkung über mindestens 14 Rezeptoren, die in sieben Familien eingeteilt werden (5-HT1 bis 5-HT7). Bindung an die Rezeptoren 5-HT1B, 5-HT2A und 5-HT2B zum Beispiel führt zur Blutgefäßkontraktion in Lunge und Nieren, Bindung an 5-HT7 in der Skelettmuskulatur hat dagegen blutgefäßerweiternde Wirkung. Bei der Blutgerinnung sorgt Serotonin über Rezeptoren vom Typ 5-HT1A für die Aggregation von Thrombozyten. Im Magen-Darm-Trakt regen die Rezeptoren 5-HT3 und 5-HT4 die Darmperistaltik an. Als Neurotransmitter der Raphe-Kerne (Nuclei raphes) im Hirnstamm beeinflusst Serotonin unter anderem Schmerzempfinden, Schlaf-Wach-Rhythmus und Körpertemperatur.

Der Serotoninspiegel variiert zwischen einzelnen Individuen, unter anderem abhängig von den Serotonin-Transportern (SERT), die aufgrund von SNPs, alternativem Splicen und anderen Polymorphismen Serotonin verschieden schnell in die Zellen aufnehmen. Der Serotonin-Spiegel unterscheidet sich also je nach genetischer Ausstattung. Damit beeinflussen die Gene auch Risikobereitschaft und Stressneigung (Mol Psychiatry 2008, 13(11):1021-7).


Das Glückshormon

Verschiedene Erkrankungen ändern den Serotonin-Stoffwechsel. So lassen sich bei Depressiven erniedrigte Serotonin-Spiegel nachweisen. Auch bei Angst- und Zwangsstörungen, Autismus, Aggressionen, Sucht, Migräne oder dem Reizdarm-Syndrom spielt Serotonin eine Rolle. Bei Verliebten vermutet man einen leicht erhöhten Serotonin-Spiegel, der ein Gefühl der Zufriedenheit bewirkt. Deshalb wird es auch „Glückshormon“ genannt.

Da Serotonin selbst nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren kann, bringt es allerdings nichts, serotoninreiche Lebensmittel wie etwa Walnüsse zu essen, um die Stimmung zu heben. Anders sieht es bei den Serotonin-Vorläufern L-Tryptophan und 5-Hydroxytryptophan aus: sie durchqueren die Blut-Hirn-Schranke.

Die Wirkung des Serotonins hält an, bis es von der Effektorzelle über Serotonin-Transporter (SERT) aufgenommen und recycelt wird. Wird bei Mäusen das Gen für den Serotonin-Transporter (Slc6A4) ausgeschaltet, so ist der Serotoninspiegel erniedrigt. Die Tiere sind anfälliger für Stress, haben einen veränderten Schlaf und sind ängstlich. Die Körpertemperatur ist erhöht und der Darm empfindlich, da die aktivierende Wirkung von Serotonin auf die Darmmotilität fehlt.

Einen ähnlichen Effekt erzielten die Forscher um Michael Bader am MDC Berlin: Sie schalteten bei Mäusen die Tryptophan-Hydroxylase 2 (Tph2), ein Enzym der Serotonin-Synthese, aus. Tph2-/--Mäuse waren lebensfähig, jedoch war die Regulation von Schlaf, Körpertemperatur, Blutdruck und Atmung gestört. Nur die Hälfte der Tiere wurde erwachsen und war fertil, doch vernachlässigten die Muttertiere ihren Nachwuchs (PNAS 2009, 106(25):10332-7). Fazit: Serotonin macht gesellig, glücklich und fortpflanzungslustig. Diese schönen Effekte nutzen Antidepressiva wie die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), welche die Serotonin-Konzentration in der Gewebeflüssigkeit des Gehirns erhöhen. Aber Vorsicht, Ecstasy, Amphetamine und Kokain haben dieselbe Wirkung. SSRI-Überdosierung kann ebenso wie der Konsum dieser Drogen zum Serotonin-Syndrom führen und die positive Wirkung ins Negative umkehren. Die Folgen sind Depression und Angstzustände.


Beispiele zur Wirkung von Serotonin

Im beweglichen Schwamm Tethya wilhema aktiviert Serotonin kontraktile Zellen (M. Nickel et al., Front Zool 2006, 3:7). Beim Fadenwurm C. elegans reguliert Serotonin über verschiedene Serotoninrezeptoren Eiablage und olfaktorisches Lernen. In der gewöhnlich einzelgängerisch lebenden Wüstenheuschrecke Schistocerca gregaria erhöht Serotonin bei hoher Populationsdichte die Schwärmbereitschaft (M. Anstey et al., Science 2009, 323:627-30). In der parthenogenetischen Rennechse Cnemidophorus uniparens besteigen Weibchen Weibchen, um die Eireifung anzuregen. Serotonin hemmt dieses Verhalten (Horm Behav 2006, 50(3):401-9). Der Tüpfel-Messerfisch Brachyhypopomus pinnicaudatus erzeugt ein pulsartiges elektrisches Feld, mit welchem er sich orientiert und kommuniziert. Injiziertes Serotonin verstärkt die elektrischen Impulse ähnlich wie bei einer Begegnung mit einem anderen Messerfisch (J Exp Biol 2003, 206(8):1353-62).



Letzte Änderungen: 22.12.2009