Editorial

PhyloCode

von Lara Winckler (Laborjournal-Ausgabe 9, 2005)


Eine Gruppe von Forschern um den US-Amerikaner Kevin de Queiroz will die seit 250 Jahren gebräuchliche binäre Nomenklatur durch eine Systematik ersetzen, die nichts mehr über Rangordnungen und Ähnlichkeitsgrade aussagt, sondern nur noch Entwicklungslinien nachzeichnet. Das neue System nennen sie PhyloCode.

Seit einigen Jahren beschäftigt sich eine Gruppe von Forschern um den US-Amerikaner Kevin de Queiroz vom Smithsonian Institute in Washington D.C. mit der Erstellung eines neuen Ordnungssystems für die Biologie. Sie wollen das 250 Jahre alte Ordnungssystem von Linné durch eines ersetzen, in welches Darwins Ideen der natürlichen Auslese von erblichen Zufallsveränderungen und der daraus resultierenden Abstammung aller heutigen Arten von gemeinsamen Vorfahren einfließen.

De Queiroz ist der Überzeugung, dass "das heutige Ordnungssystem ein Durcheinander aus alten Regeln, neuen Entdeckungen und wissenschaftlicher Willkür" ist. Er hält das Linnésche System der binären Nomenklatur für "instabil, fehlerhaft und für die modernen Erfordernisse nicht mehr ausreichend", da es nur aufgrund von Ähnlichkeiten die Verwandtschaft bestimmte - und damit den gesamten Stammbaum von Tieren und Pflanzen.

Der PhyloCode dagegen basiert ausschließlich auf phylogenetischer Verwandtschaft. Er zeichnet nur noch Entwicklungslinien nach, so genannte Kladen. Es gibt auch keine künstlichen Rangstufen wie Klassen, Familien oder Gattungen mehr. Grundidee des PhyloCode ist, dass bei Rangänderungen einer Tiergruppe der Gruppenname und damit auch die Namen der unteren Hierarchieebene nicht mehr geändert werden. Die Namen sollen nicht mehr aus Gattungs- und Artnamen bestehen, sondern jedes Lebewesen erhält unabhängig von jeglicher Abstammung einen Namen, der nur ihm allein gehört und den es für immer behält. Als Beispiel hieße der Mensch dann nur noch "Sapiens".

Für 2008 ist die Veröffentlichung einer offiziellen Version zusammen mit einem Buch geplant, das für viele weitverbreitete Kladennamen phylogenetische Definitionen liefern wird.

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Eigentlich eine alte Idee

Die Idee der phylogenetischen Systematik oder auch Kladistik hat der deutsche Zoologe Willi Hennig in den 1950er Jahren entwickelt und in seinem Lehrbuch "Grundzüge einer Theorie der Phylogenetischen Systematik" beschrieben. Richtig bekannt wurde seine Idee aber erst mit der 1966 erschienenen englischen Version "Phylogenetic Systematics".

Gruppen innerhalb eines solchen phylogenetischen Systems müssen monophyletisch sein - das heißt, alle stammen von einem gemeinsamen Vorfahren ab. Grundlage für die Erstellung monophyletischer Gruppen sind gemeinsame abgeleitete Merkmale. In einem Kladogramm werden monophyletische Gruppen in Kladen zusammengefasst. Es zeigt jedoch nicht die Entwicklung einer rezenten Form aus einer anderen. Die Knotenpunkte eines Kladogramms entsprechen dem letzten gemeinsamen Vorfahren der beiden aus ihnen hervorgegangenen Gruppen. Eine Klade enthält alle Nachfahren einer Stammart sowie die Stammart selbst, jedoch keine Arten, die nicht Nachfahre dieser Stammart sind.


Gewisse Unschärfe bleibt immer

De Queiroz Vorhaben, die gesamte biologische Systematik neu zu definieren, wird erwartungsgemäß sehr kritisch beäugt. Der Entomologe Quentin Wheeler etwa von der Cornell University hält die Linnésche Nomenklatur für:
  • "stabil genug um zu sagen was wir wissen;
  • flexibel genug um anzupassen, was wir lernen;
  • unabhängig von speziellen Theorien und dabei bekannte empirische Daten widerspiegelnd;
  • kompatibel mit phylogenetischen Theorien, ohne deren Sklave zu sein;
  • ausführlich genug für präzise Kommunikation".
Weitere Kritiker wie der Bonner Pflanzendiversitäts-Spezialist Thomas Borsch prophezeien ein Chaos der Namen, sollte sich der PhyloCode gegen die etablierten Codes für Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen durchsetzen. Er erklärt in einem Interview: "Der PhyloCode will im Prinzip Phylogenie und Klassifikation vereinen. Und das, denke ich, ist falsch." Borsch ist für eine strikte Trennung: "In der Phylogenie werden Verwandtschaften in Stammbäumen detailliert aufgeschlüsselt. Für die Kommunikation unter Wissenschaftlern ist die alte Klassifikation aber bestens geeignet, eben weil sie vereinfacht." Das etablierte System werde immer stabiler, je mehr man Verwandtschaftsverhältnisse durch moderne Methoden wie DNS-Sequenzanalysen erforscht.

Doch Jacques Gauthier von der Yale University, einer der Erfinder des PhyloCode, beschreibt in einem gemeinsam mit Kevin de Queiroz verfassten Artikel am Beispiel der Gruppe der Vögel ("Aves") die Probleme, die es mit dem alten System bei der korrekten biologischen Taxonomie gibt. Der Taxonname "Aves" wird gegenwärtig für verschiedene Stämme verwendet, was das Nomenklaturprinzip verletzt, dass jeder Taxonname sich nur auf ein Taxon beziehen sollte, um Unklarheiten zu vermeiden. Gauthier findet es wichtig, dass als Teil des wissenschaftlichen Fortschritts neue Begriffe zur Verdeutlichung von Unterschieden in Gruppen eingeführt werden. Er räumt allerdings auch ein, dass terminologische Präzision ein ständig wachsendes Phänomen ist, und daher ein gewisses Maß an Ungenauigkeit in der wissenschaftlichen Terminologie wohl nie unterschritten werden kann.



Letzte Änderungen: 30.10.2005