Circadiane Rhythmen

von Winfried Köppelle (Laborjournal-Ausgabe 08, 1998)


Editorial
Wir alle tragen sie täglich mit uns herum, doch nicht am Handgelenk oder in der Hosentasche. Eine geheimnisvolle unsichtbare Uhr diktiert die biologischen Hochs und Tiefs unseres Körpers. Erst wenn dieser innere Taktgeber falsch tickt oder gar warnend klingelt, nehmen wir von ihm Notiz. Müde Zerschlagenheit nach einem Langstreckenflug, regelmäßige Hyperaktivität von "Nacht"-Menschen, peinliches Einnicken im Laborseminar nachmittags um halb fünf: Schuld ist immer der Suprachiasmatischer Nucleus (SCN): Ein kleines, feines Neuronenhäuflein direkt über der Kreuzungsstelle der Sehnerven im Hypothalamus. Es fungiert als Schrittmacher für die circadianen (lat. "etwa ein Tag") Rhythmen und protestiert umgehend, wenn der große Vertebrat einmal nicht so will wie sein kleiner Wächter vorgibt. Doch der stecknadelkopfgroße SCN ist kein Einzelkind: Zumindest für Säuger werden noch weitere Kontrollzentren postuliert.

Die verborgenen Rhythmen des Lebens sie sind allgegenwärtig. Der regelmäßige Wach-Schlaf-Wechsel, die Körpertemperatur, der Blutdruck oder das Wechselspiel der liormone - sie alle oszillieren in Sekunden-, Tages- oder noch längeren Abständen. Als oberster externer Hüter kann letztlich unser Zentralgestirn angesehen werden: wenn wir beispielsweise am Morgen von den ersten Sonnenstrahlen geweckt werden, justieren sich unsere molekularen Uhrzeiger wieder neu.
Editorial

Ohne die natürliche Einwirkung der Sonne - etwa in den fenster- und uhrlosen Labors der Schlafforscher - pendelt sich bei Versuchspersonen regelmäßig ein 25 Stunden-Tag ein; für Erdforscher ein weiterer Hinweis darauf, daß der Erdball in der Vergangenheit schneller rotiert haben könnte, für Molekularbiologen hingegen ein Ansporn, nach den grundlegenden Mechanismen auf Zellebene zu forschen. Tatsächlich scheinen die noch unbekannten Bausteine des molekularen Taktgebers in unseren Genen zu liegen. Und das SCN ist vielleicht weniger dominant als bisher angenommen. Daß Jet Lag-Geschädigte mit recht kurios aussehenden "Lichthelmen" kuriert werden können, ist unbestritten. Die Aktivität lichtaktivierter Rhythmus-Gene scheint nicht auf eine bestimmte Körperregion beschränkt zu sein.

Die bisher (bei Drosophila) bestuntersuchten Gene sind timeless (tim), period (per) und double time (dbt): Der 24stündige Oszillations-Zyklus beginnt mittags: Aktiviert durch Sonnenlicht, steigen die RNA-Spiegel von tim und per kontinuierlich an. DBT jedoch fängt die translatierten PER-Proteine ein und zerstört diese, während es die TIM-Proteine unbehelligt läßt. Irgendwann am Abend beginnt dann die enorme Menge entstandener TIM-Moleküle, mit DBT zu konkurrieren, sich ebenfalls mit PER zusammenzuschließen und im Dunkel der Nacht in den Zellkern zu wandern. Zwischen drei und vier Uhr nachts induziert ein Maximum an TIM/PER-Proteinkomplexen den Stop der RNA-Synthese, ab Sonnenaufgang wird TIM abgebaut und PER freigesetzt.

Mittags beginnt das Spiel wieder von neuem. Starke Lichtquellen oder Verschiebungen des Hell-Dunkel-Wechsels können dieses zellautonome System nachhaltig beeinflussen. Ein ähnlicher Mechanismus eines Transkriptions-Translations-Feedbacks scheint auch beim Brotschimmel Neurospora vorzuliegen, auch wenn molekulare Einzelheiten - Neurosporas Taktgeber scheint das sogenannte frequency-Gen zu sein - unterschiedlich sind. Auch clock - kürzlich in einer 'falsch tickenden' Maus entdeckt - gehört zu dieser Genfamilie.

Fruchtfliegen-Forscher Steven Kay vom Scripps Research Institut in La Jolla, Kalifornien, koppelte 1997 ein Gen für ein fluoreszierendes Protein an period und hegt seitdem Zweifel an der Dominanz des SCN: "Es war unbeschreiblich! Wir erhielten diese über und über grün leuchtende Fliege! Mit einem anderen, kurzlebigeren Fluorophor konnten wir unsere Drosophilas sogar regelrecht ein- und wieder ausschalten". Jetzt ist Kay auf der Jagd nach den Photorezeptoren, die auf der ganzen Körperoberfläche der Fruchtfliegen verteilt sein könnten. Und Scott Campbell von der New Yorker Cornell Universität entdeckte vor wenigen Monaten den Reiz menschlicher Kniekehlen: Helles Licht genau dorthin verstellte die innere Uhr seiner Versuchspersonen um drei Stunden. Jetzt möchte der Wissenschaftler an die Kniekehlen schnallbare Licht-Boxen zur Jet Lag-Bekämpfung entwickeln.


Letzte Änderungen: 19.10.2004