Circadiane Pflanzenuhr

von Annika Simon (Laborjournal-Ausgabe 10, 2019)


Editorial
Stichwort

Pflanzen können wichtige Informationen aus ihrer Umwelt registrieren und sich den jeweiligen Bedingungen anpassen. Sie wissen, wie spät es ist, und erkennen Jahreszeiten, damit sie zur richtigen Zeit ihre Blüten öffnen, Blätter abwerfen oder Knospen auf den Weg nach draußen schicken können. Denn wie Tiere haben auch Pflanzen eine „innere Uhr“.

Der circadiane Rhythmus bei Pflanzen ist Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten, die nicht nur den Wissenshunger stillen, sondern auch bedeutsame Erkenntnisse für Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung liefern. Kürzlich enthüllte ein Team um den Chronobiologen James Locke von der University of Cambridge (UK) ein neues Puzzle-Teil, wie die innere Pflanzenuhr tickt. In der in PLOS Biology publizierten Arbeit kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Pflanzenuhren lokal durch organspezifische Informationen eingestellt, aber global über räumliche Wellen der Expression von Genen der inneren Uhr koordiniert werden können (doi: 10.1371/journal.pbio.3000407).

Editorial

Damit stützten die Forscher die Vermutung, dass der circadiane Rhythmus bei Pflanzen scheinbar nicht wie bei Säugetieren zentralisiert koordiniert wird. Dennoch gibt es Parallelen zwischen den beiden Systemen: die Wellenmuster. Denn auch in tierischen Organismen müssen die physiologischen Prozesse, die mit dem circadianen Rhythmus einhergehen, in einem koordinierten Timing über Gewebe hinweg transportiert werden. Ausgehend vom Nucleus suprachiasmaticus, einem Kerngebiet im ventralen Hypothalamus in Säugetieren, laufen über neuronale und humorale Signale Rhythmen durch den Körper. Dieses vergleichbare Wellenmuster deutet darauf hin, dass die Koordination der inneren Uhr allgemeinen Prinzipien zugrunde liegt.

Innere Gen-Uhr

Welche genetischen Mechanismen hinter der circadianen Pflanzenuhr stecken, konnten Alex Webb von der University of Cambridge und Antony Dodd von der University of Bristol (UK) vergangenes Jahr entschlüsseln. In Arabidopsis thaliana fanden sie, dass die Pflanze die Tageszeit über den aktuellen Zuckergehalt ermittelt (Curr. Biol., doi: 10.1016/j.cub.2018.05.092). Dieser Zucker wird bei der Photosynthese gebildet und sammelt sich mit der Produktionszeit kontinuierlich in den Pflanzenzellen an. Wird eine gewisse Menge erreicht, wirkt sich das auf die Transkription von Genen aus.

Zucker und Kinasen

In der Publikation beschreiben Webb, Dodd und Kollegen, dass der Transkriptionsfaktor namens Basic Leucine Zipper 63 (bZIP63) das circadiane Oszillatorgen Pseudo Response Regulator 7 (PRR7) aktiviert beziehungsweise reguliert, um in der Folge die circadiane Phase als Reaktion auf einen steigenden Zuckergehalt in der Zelle zu verändern. Darüber hinaus konnten sie mit SnRK1 eine zuckersensible Kinase identifizieren, die wiederum den Transkriptionsfaktor bZIP63 steuert. Schließlich waren sich die Forscher auf Basis ihrer Ergebnisse einig, dass auch der Signalzucker-Produzent namens Trehalose-6-Phosphat-Synthase 1 (TPS1) bei der circadianen Phasenanpassung in Zusammenhang mit dem Saccharosegehalt erforderlich ist.

Die Forscher konnten also zeigen, dass die täglichen Rhythmen der Energieverfügbarkeit den circadianen Oszillator mitreißen und steuern können, und zwar durch die Funktionen von bZIP63, TPS1 und der KIN10-Untereinheit des SnRK1-Energiesensors. Sie identifizierten damit erstmals einen molekularen Mechanismus, der die circadiane Phase als Reaktion auf Zucker anpassen kann. Zusammengefasst sorgt also eine steigende Zuckerkonzentration in der Zelle als Folge der Photosynthese für eine Veränderung der Genregulation und gibt damit der Pflanze indirekt Rückmeldung über die aktuelle Tageszeit.

Während die innere Pflanzenuhr vor dem Hintergrund der alarmierenden Klimaveränderungen zukünftig helfen könnte, Pflanzen in Bezug auf ihre Umwelt robuster zu machen und Erträge zu steigern, könnte sie auch direkt im Lebensmittelregal nützlich sein.

Eine Gruppe von Biochemikern und Zellbiologen um Janet Braam von der Rice University in Houston, USA, hatte 2013 gezeigt, dass die Kohl-Pflanze (Brassica oleracea) auch noch nach der Ernte auf Hell-Dunkel-Zyklen reagiert, was zu einer erhöhten Resistenz gegenüber Fressfeinden führt (Curr. Biol., doi: 10.1016/j.cub.2013.05.034). Besonders interessierten sich die Forscher für das Pflanzenfresser abwehrende Kohl-Glucosinolat 4-Methylsulfinylbutyl (4MSO), das aufgrund seiner krebsbekämpfenden und antimikrobiellen Wirkung ein gerne gesehener Zusatz in essbaren Pflanzen ist. Die Art der Lagerung von frisch geerntetem Obst und Gemüse kann also nicht nur die Schädlingsresistenz beeinflussen, sondern auch den Nährwert der Pflanzen für uns Menschen steigern.

Routinierte Fressattacken

Den Grund, warum Pflanzen die vor Fressfeinden schützenden Chemikalien auf die Hell-Dunkel-Tageszyklen abstimmen, hatte Braam bereits ein Jahr zuvor in Arabidopsis beobachtet (PNAS, doi: 10.1073/pnas.1116368109): In der Natur pumpt die Pflanze Abwehrstoffe aus der Jasmonat-Familie in die Zellen – und zwar pünktlich zu speziellen Uhrzeiten, zu denen ein häufiger Fraßschädling (die Raupen des Falters Trichoplusia ni) im Freiland üblicherweise großen Hunger auf die Pflanzen bekommt. Auch in Salat, Spinat, Zucchini, Süßkartoffeln, Karotten und Blaubeeren konnte der Hell-Dunkel-Rhythmus die Pflanzen vor den Falter-Larven schützen. Ohne den Hell-Dunkel-Rhythmus verloren die Pflanzen die Abwehrstrategie und wurden häufiger angeknabbert.

In der Current-Biology-Studie von 2013 gaben Braam et al. noch einen Tipp: Kohl, der unter zwölfstündigen Hell-Dunkel-Zyklen gelagert wurde, lieferte zwei- bis dreifach mehr 4MSO-Phytochemikalien, als wenn der Kohl unter konstantem Licht oder in Dunkelheit auf seinen Verzehr warten musste.



Letzte Änderungen: 10.10.2019