Virosomen

von Annika Simon (Laborjournal-Ausgabe 4, 2019)


Editorial
Stichwort

Vieles im Leben hat eine gute und eine schlechte Seite. Bei Viren verhält es sich nicht anders: Einerseits verursachen die Erreger schwerste Erkrankungen von der Influenza bis hin zum Ebola-Fieber. Andererseits helfen sie Forschern bei der Entwicklung von Krebsmedikamenten oder Impfstoffen gegen die von ihnen selbst verursachten Krankheitsbilder. Ein Beispiel sind Virosomen, die Wirkstoffe direkt in die richtigen Zellen schleusen sollen. Überdies könnten sie eventuell sogar die Entwicklung von Impfstoffen revolutionieren.

Virale Mogelpackung

Schon seit Jahrzehnten sind Forscher bemüht, Transportsysteme zu entwickeln, die Wirkstoffe direkt in die Zelle bringen. Einen Meilenstein bildeten dabei die sogenannten Liposomen. Dabei handelt es sich um kleine Vesikel, die von einer Lipid-Doppelschicht gebildet werden, einen amphiphilen Charakter haben und gewünschte Arzneistoffe in ihrer Mitte einschließen können. Das Paket war also geschnürt, jetzt fehlte nur noch der Adressaufkleber.

Editorial

Um die Lipid-Vesikel zielgerichtet zu einer bestimmten Zellart zu schicken, wurden sie zu Immuno-Liposomen weiterentwickelt. Die Lipiddoppelschicht musste dazu mit monoklonalen Antikörpern kombiniert werden, die die passenden Antigene auf der Zielzelle erkennen sollten. Das Paket lag nun also direkt vor der Haustür. Doch wie bekommt man den gewünschten Empfänger dazu, die Tür zu öffnen und das Paket mit hinein zu nehmen?

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Illustr.: Mymetics

Genau hier kommen Virosomen ins Spiel und machen sich klassische virale Zelleintritts-Mechanismen zunutze. Dazu ergänzte man Immuno-Liposomen um Oberflächenproteine von Viren, am häufigsten vom Influenzavirus A. Diese Proteine docken an die Wirtszelle an und gelangen durch Endozytose direkt ins Zytoplasma. Dort entfalten sie ihre genetische Information und zwingen ihre Opferzelle schließlich zur Synthese neuer Viren. Da Virosomen aber keinen viralen Inhalt mehr haben, sind sie praktisch eine virale Mogelpackung.

Zunächst zum Aufbau: Virosomen sind sphärische unilamellare Vesikel, die von einer Phospholipid-Doppelschicht umgeben sind. Im häufigsten Fall wird diese um die Oberflächenproteine des Influenza A-Virus ergänzt – konkret Hämagglutinin-Trimere und tetramere Neuraminidase. Der Durchmesser liegt zwischen 120 und 200 Nanometern. An die Hülle können zusätzlich unterschiedliche Biomoleküle wie Zytokine, Peptide oder monoklonale Antikörper gekoppelt werden. Die Wahl hängt dabei von der anvisierten Zelle ab.

Tumorzellen ausgetrickst

So lassen sich beispielsweise tumorspezifische Monoklonale-Antikörper-Fragmente einbauen, die die Virosomen direkt zu den entsprechenden Tumorzellen schicken. Durch diesen Mechanismus können dann Chemotherapeutika – wie beispielsweise Doxorubicin – durch Endozytose in die Tumorzelle eingeschleust werden. Das Virosom dockt dafür zunächst an der Zielzelle an, die Phospholipid-Doppelschicht verschmilzt mit der Zellmembran der Zielzelle – und wird schließlich aufgenommen. Im Zytoplasma setzt das Virosom schließlich den Wirkstoff frei, der dort beispielsweise den Zelltod einleiten würde. Die Tumorzelle selbst hilft also noch tatkräftig mit, das eigene Ableben einzuleiten, nachdem sie durch die spezifischen Antikörper-Fragmente erkannt und mit Hilfe viraler Oberflächenproteine getäuscht wurde.

Dass dieses Prinzip auch im Organismus funktionieren kann, zeigen Untersuchungen an Mäusen nach einer Impfung mit Tumorzellen. Tiere, die einige Tage später in Virosomen verpacktes Doxorubicin erhielten, sprachen deutlich besser auf den Wirkstoff an, als ihre Artgenossen, die Doxorubicin ganz ohne Transportvesikel verabreicht bekamen. Ganze 90 Prozent der mit den Doxorubicin-Virosomen behandelten Tiere blieben neunzig Tage tumorfrei (Cancer Res. 62: 437-444).

Impfstoff gegen Ebola?

Doch Virosomen werden nicht nur im Labor geboren, sondern scheinen auch in der Natur eine Rolle zu spielen. Nach jüngsten Erkenntnissen können Viren sie sogar selbst bilden und einsetzen. Konkret konnte eine Gruppe Tübinger und Göttinger Forscher um den Virologen Michael Schindler Virosomen beim Ebola-Virus nachweisen (Cell 26: P1841-1853.e6). Unter dem Mikroskop beobachteten die Forscher, dass das Hüllprotein des Ebola-Virus befallene Zellen dazu zwingen kann, Vesikel mit viralen Hüllproteinen freizusetzen, die den oben beschriebenen Virosomen ähnlich sind. Einmal von der Wirtszelle exprimiert, fangen diese Vesikel Antikörper der wirtseigenen Immunabwehr ab und schützen quasi als eine Art Täuschkörper das Ebola-Virus vor ihnen. Darüber hinaus zeigten Schindler und sein Team, dass die Ebola-Virosomen die Arbeit von Makrophagen blockieren, indem sie die Freisetzung von Zyto- und Chemokinen verhindern. Die Immunantwort des Wirtes wird somit erheblich sabotiert.

Doch damit nicht genug. Die Forscher wiesen zudem nach, dass das menschliche Transmembranprotein Tetherin die Bildung von Ebola-Virosomen blockieren kann. Die Charakterisierung der Ebola-Virosomen samt der Beschreibung ihrer Blockade durch Tetherin könnte somit durchaus als Basis für die Entwicklung neuer Impfstoffe dienen – wie auch für die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Behandlung des hämorrhagischen Fiebers.



Letzte Änderungen: 08.04.2019