Arbitrium-System

von Juliet Merz (Laborjournal-Ausgabe 03, 2017)


Editorial
Stichwort
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Viren sind per definitionem keine Lebewesen – oder doch? An diesem Thema scheiden sich nicht erst seit gestern die Geister. Zwischen Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachrichtungen gibt es jedenfalls immer wieder aufgebrachte Diskussionen darüber, ob Viren überhaupt zu den Lebewesen gehören oder wie nahe sie dem Leben stehen. (Einen sehr amüsanten Briefwechsel zum Thema brachte übrigens ein im April 2009 veröffentlichter Artikel in Nature Review Microbiology (7: 306-11) ins Rollen. Aber das nur am Rande...)

Eine israelische Studie dürfte für neuerlichen Zündstoff sorgen. Ihre Erkenntnis: Viren können miteinander kommunizieren. Das stellten der Molekulargenetiker Rotem Sorek und seine Doktorandin Zohar Erez vom Weizmann-Institut in Rehovot bei Tel Aviv fest, als sie sich die Bakteriophagen von Bacillus subtilis genauer anschauten.

Editorial
Entweder ... oder

Viele Viren können zwischen zwei unterschiedlichen Entwicklungsphasen wählen: dem lytischen und dem lysogenen Zyklus. Zuvor jedoch muss das Virus an die Wirtszelle binden und sein Erbgut in deren Genom injizieren. Beim lytischen Zyklus beginnt die Wirtszelle dann, die Viren-Bausteine zu produzieren, und gibt diese fertig zusammengebastelt entweder durch Knospung oder Lyse der Zelle wieder ab. Im Fall der Lysogenie hingegen wird das virale Erbgut in die DNA des Wirts eingebaut. Dort ruht es, wird durch Zellteilung reproduziert und kann irgendwann in den lytischen Modus wechseln.

Die Entscheidung, welcher Zyklus eingeleitet wird, geschieht nicht willkürlich, sondern hängt von verschiedenen Umweltbedingungen und dem physiologischen Zustand der Wirtszelle ab. Bis heute war allerdings nicht klar, wie das Virus sein Urteil fällt.

Sorek und Erez sollten sich aber vorerst auf dem Holzweg befinden. Die Genetiker vermuteten zu Beginn ihrer Studie nämlich etwas vollkommen anderes – und zwar, dass Bakterien Kommunikationsmoleküle ausscheiden, um andere Bakterien vor Phageninfektionen zu warnen. Um dies zu bestätigen, infizierten sie B. subtilis mit vier unterschiedlichen Phagen-Typen aus der SPbeta-Gruppe und filtrierten anschließend das Kulturmedium, sodass nur kleinste Moleküle zurückblieben. Das gefilterte Medium wurde dann für eine neue Infektionsrunde mit den gleichen, aber frischen Phagen und Bakterien verwendet.

Kommunikation mit sechs Aminosäuren

Interessanterweise konnten Sorek und Erez nur in dem Versuch mit dem Phagen-Typ phi3T Unterschiede erkennen: Während in den Ansätzen mit anderen Phagen-Typen die Bakterien im Kontroll- und Filtermedium gleich oft lysiert wurden, blieben die Bakterien in dem phi3T-Filtermedium weitgehend verschont (Nature 541: 488-93). Irgendetwas im filtrierten Medium musste die Bakterien vor der Lyse der phi3T-Phagen geschützt haben. Doch die Einzeller, so vermuteten die Genetiker, konnten das nicht ausgelöst haben, denn in den anderen Medien war schließlich kein Effekt sichtbar. Also schlossen Sorek und Erez daraus, dass allein phi3T B. subtilis dazu bringen musste, kleine Lyse-Schutz-Moleküle abzugeben.

Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um ein sechs Aminosäuren großes Peptid handelt, welches die Bakterien in Gegenwart der Viren produzierten. Sorek und Erez nannten es Arbitrium. Warum? Dazu kommen wir später...

Komplex, aber doch so simpel

Der Code für Arbitrium befindet sich auf dem viralen Gen aimP, das der Phage in den Wirt injiziert. Dort wird die Sequenz von B. subtilis exprimiert – und das fertige Peptid schließlich in das umliegende Medium abgegeben. Arbitrium schützt das Bakterium dann zwar vor der Lyse, trotzdem kann es dem lysogenen Zyklus der Phagen nicht entkommen. Aber wie entscheidet das Virus anhand des Kommunikationsmoleküls, ob es das Bakterium lysieren oder lysogenisieren soll?

Sorek und Erez fanden noch zwei andere wichtige Komponenten des Systems. Infiziert der Phage das Bakterium, injiziert er zudem zwei weitere Gene: aimR und aimX. Diese werden wie aimP in das Wirtsgenom eingebaut und abgelesen. aimR codiert für den AimR-Rezeptor, welcher als Dimer vor aimX an die DNA bindet, sodass dessen Leseraster abgelesen werden kann. Als Resultat wird der Signalweg für den lysogenen Zyklus inhibiert – die Zelle lysiert also.

Im gleichen Atemzug wird das bereits erzeugte Arbitrium und ins Medium abgegeben. Andere Bakterien nehmen das Kommunikationspeptid durch den Oligopeptid-Permease-Transporter auf. Arbitrium bindet dann im Inneren an den AimR-Rezeptor, wodurch dieser monomerisiert und von der DNA gelöst wird. AimX wird inhibiert, und damit der lysogene Zyklus eingeleitet. Doch welchen Sinn hat dieser Vorgang für das Virus?

Phagen auf Beutezug

Befinden sich genügend Bakterien in der Umgebung, ist die Arbitrium-Konzentration relativ gering. Für jeden Phagen gibt es genug „Beute“ in Form von nicht-infizierten B. subtilis-Zellen, weshalb sich die Viren munter „vermehren“ können. Steigt die Zahl der Phagen aber immer weiter, so steigt auch die Gefahr, dass nicht alle Viren einen Wirt abbekommen. Das wird durch die steigende Konzentration von Arbitrium kommuniziert, damit nicht noch mehr Phagen produziert werden – quasi als Feedback Loop. Die Viren ruhen dann im Zuge des lysogenen Zyklus lieber im Genom und werden nur durch die bakterielle Zellteilung mitreproduziert – die Bakterienkultur kann sich wieder erholen.

Und wie kommen Sorek und Erez auf den Namen Arbitrium-System? Manche Leser könnten es schon erkannt haben: Arbitrium kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Entscheidung“.


Letzte Änderungen: 06.03.2017