Bakteriotherapie

von Valérie Labonté (Laborjournal-Ausgabe 10, 2010)


Editorial
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Solange „gute“ Mikroorganismen unsere Nase, Mund und Darm bewohnen, sind wir gesund. Nehmen aber pathogene Keime Überhand, werden wir krank. Meist schafft das Immunsystem alleine, die Eindringlinge wieder loszuwerden, manchmal aber auch nicht. Und manchmal helfen noch nicht einmal Antibiotika.

Selten wird bislang in solchen Fällen eine Bakteriotherapie durchgeführt. Diese zielt weniger auf die „bösen“ Bakterien selbst, vielmehr wird das von ihnen gekaperte menschliche Habitat mit Mikroorganismen derart frisch beimpft, dass sich wieder eine „gesunde“ Flora einstellen kann. Die dazu verwendeten „Probiotika“ enthalten entweder Bakterien oder Hefen, die auch naturgemäß in den aus dem Gleichgewicht geratenen Körper-Habitaten vorkommen. Oder solche, denen gesundheitsfördernde Effekte zugeschrieben werden: Laktobazillen um die Scheidenflora bei einer Vaginose zu sanieren, Bäckerhefen zur Wiederherstellung des bakteriellen Gleichgewichts bei Durchfall, Streptokokken um wiederkehrende Mandelentzündungen zu bekämpfen.

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Gesunde Fäkalien

Weiteres Beispiel: chronische Mittelohrentzündung. Göteborger Mediziner um Susann Skovbjerg und Agnes Wold behandelten Kinder, denen zum Ablauf der entzündlichen Flüssigkeit aus dem Ohr eine Paukendrainage gelegt werden sollte, zehn Tage vor der Operation mit einem Nasenspray, das entweder Streptococcus sanguinis, Lactobacillus rhamnosus oder einen Placebo enthielt (Arch Dis Child 94(2):92-8). Nach den Operationen untersuchten die Mediziner dann die aus dem Ohr entfernte Flüssigkeit. Keines der Sprays hatte die natürliche Flora des Nasenrachenraumes verändert. In der Gruppe der Kinder, die das Nasenspray mit Streptococcus sanguinis bekommen hatten, waren aber über ein Drittel nach der Anwendung genesen (7 von 19). Dagegen nur drei von 18 aus der Lactobacillus rhamnosus-Gruppe, beziehungsweise ein Kind von 17 aus der Placebo-Gruppe. Keine wirklich überzeugende Statistik. Zudem ist noch unklar, warum die Therapie anschlug.

Das wusste man bisher auch bei der „Fäkaltransplantation“ nicht. Mit dieser Art der Bakteriotherapie wurden zuletzt vereinzelt Patienten mit chronischen bakteriellen Darminfektionen behandelt, die resistent gegen Medikamente waren. Übertrug man dagegen eine kleine Menge Stuhl von einem gesunden Spender in den Darm der kranken Empfänger, konnte sich die Darmflora oftmals wieder erholen.

Meist war Clostridium difficile der Übeltäter, dessen Toxine A und B chronische Darmentzündung und Durchfall verursachen. Dies oft auch nach einer vorangegangenen Antibiotika-Behandlung, da diese die natürliche bakterielle Darmflora teilweise ausgerottet hatte (pseudomembranöse oder antibiotikaassoziierte Kolitis). Schon das Absetzen des Antibiotikums bringt hier oftmals Besserung.

Welche Arten genau bei Fäkaltransplantationen die Harmonisierung der Darmflora bewirken, wusste man jedoch lange nicht. Erst jetzt gelang es dem Team um Alexander Khoruts und Michael Sadowsky von der Universität Minnesota, die bakterielle Zusammensetzung im Stuhl einer Patientin vor und nach der „Transplantation“ genetisch zu analysieren (J Clin Gastroenterol 44(5):354-60.). Demnach fehlten im Darm der Patientin vor allem Bakterien der Gruppen Firmicutes und Bacteroidetes, die dort normalerweise stark vertreten sind. Nach Übertragung einer Stuhlprobe in deren Blinddarm besserten sich innerhalb weniger Tage die Durchfälle, die zuvor acht Monate lang angehalten hatten. Die Darmflora der Patientin war zu diesem Zeitpunkt bereits nahezu mit derjenigen des Spenders identisch. Überdies fanden Khoruts et al. nun Stämme von Bacteroides spp. und ein bisher unbekanntes Butyrat-produzierendes Bakterium in ihrem Darm. C. difficile dagegen wurde erfolgreich vertrieben und kehrte auch nach sechs Monaten nicht wieder.

Dass die Erneuerung der Darmflora eine pseudomembranöse Kolitis langfristig heilen kann, bestätigten nachfolgend Martin Grehan und Anthony Wettstein und Co. aus Penrith, Australien. Die Darmflora ihrer zehn Patienten stimmte noch 24 Wochen nach der „Fäkaltransplantation“ mit der ursprünglichen gespendeten Flora nahezu überein (J Clin Gastroenterol 44(8):551-61).

Sonja Yoon und Lawrence Brandt vom Albert Einstein College of Medicine in New York bezeichnen die „Fäkaltransplantation“ inzwischen sogar als sichere und effektive Methode zur Behandlung chronischer wiederkehrender C. difficile-Infektionen. Die Mediziner heilten alle zwölf Patienten im Alter von 30 bis 86 Jahren, deren Beschwerden bereits zwischen 79 und 1532 Tage angehalten hatten (J Clin Gastroenterol 44(8):562-6.).


Kontraproduktive Antibiotika

Mehr Nebenwirkungen hat dagegen die herkömmliche Antibiotika-Behandlung. Nicht nur, dass sie in manchen Fällen nichts gegen C. difficile ausrichtet. Vielmehr zeigte das Team um Chaysavanh Manichanh und Francisco Guarner von der Uniklinik Vall d‘Hebron in Barcelona an Ratten, dass eine vorausgegangene Antibiotika-Behandlung die erneute Besiedlung des Darmes mit der gespendeten Flora sogar erschwert (Genome Res 2010 Aug 24, Epub ahead of print).

Auch spätere Antibiotika-Gaben können nach einer „Fäkaltransplantation“ wieder zu einem Rückschlag führen. So behandelten etwa kalifornische Forscher 19 Patienten zuerst erfolgreich. Drei davon erhielten allerdings nach einer Zeitspanne zwischen sechs Monaten und vier Jahren aufgrund ganz anderer Beschwerden wieder Antibiotika – worauf Tests auf C. difficile anschließend wieder positiv ausfielen (J Clin Gastroenterol 2010, 44(8):567-70).

Das bakterielle Gleichgewicht im Menschen ist offenbar genauso empfindlich wie er selbst.



Letzte Änderungen: 20.10.2010

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