Virophagen

von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 10, 2008)


Editorial
Virophagen
Mamavirus mit Sputnik im Huckepack
Wohin nur mit den Viren im phylogenetischen Baum? Sie infizieren als obligate Parasiten Eukaryoten, Bakterien (als so genannte Bakteriophagen) und Archaeen, um sich deren Dienste zu Nutze zu machen. Nur mit Hilfe der Wirtszelle können sie sich vermehren. Zudem haben sie keinen eigenen Stoffwechsel und wurden deshalb aus der "belebten" in die "unbelebte" Natur verbannt.


Entdecker des Riesenvirus'

Ein kürzlich vom französischen Forscherteam um Didier Raoult und Bernard La Scola von der Université de la Méditerranée in Marseille (Nature 2008, 455(7209):100-4.) entdeckter Virus-Winzling entfacht jedoch von neuem die Debatte, ob Viren zu den Lebewesen gezählt werden können oder nicht. In der Welt der Mikroorganismenforscher ist das Team um Didier Raoult kein unbeschriebenes Blatt. Im Jahr 1992 fischten sie aus einem Kühlturm in Großbritannien zufällig das bislang größte bekannte Virus, Acanthamoeba polyphaga mimivirus (APMV). Es hielt mit 400 Nanometern bis vor kurzem den Größenrekord und ähnelt äußerlich den Kokken, weshalb es lange als Bakterium klassifiziert wurde und in den Tiefen des Laborkühlschranks verschwand.

Erst 2003 gelang Raoults Team die Identifizierung. Man nannte es "Mimicking Virus" (täuschendes Virus), kurz Mimivirus.

Editorial

Anhänglicher Flickenteppich

In ihrer neu erschienen Arbeit beschreiben sie nun ein ikosaedrisches, nur 50 nm kleines Virus. Es sitzt Huckepack auf einem neuartigen Amöben-Virus, das mit dem Mimivirus verwandt, jedoch etwas größer ist und Mamavirus getauft wurde. Der Virus-Zwerg, Sputnik genannt (russisch für "Weggefährte", "Begleiter"), besitzt eine 18,343 kb große, ringförmige Doppelstrang-DNA mit einem Potpourri aus Genen, die teils für Eukaryotenviren, teils aber auch für Bakterio- und Archaeo-phagen typisch sind.

Unter den 21 Protein-kodierenden Genen versteckt sich ein klug ausgefeilter Replikations-Flickenteppich: drei sind zuständig für Proteine, die offensichtlich aus dem APMV stammen. Weiter vorhanden sind Gene für ein homologes Protein- einer Archaeen-Virus-Integrase, eine Primase-Helicase (ein Enzym, das direkt an der viralen DNA-Replikation beteiligt ist), eine Verpackungs-ATPase mit homologen Proteinen in Bakteriophagen und Eukaryoten-Viren, ein homologes Protein einer DNA-bindenden Untereinheit, zuständig für den Einbau zusätzlicher Nukleotide in eine bakterielle DNA-Sequenz, und ein Zink-Ribbon-Protein. Letzteres ist Teil einer Zinkfinger-Domäne, die unter anderem für DNA- oder RNA-Bindung und Aktivierung der Transkription verantwortlich ist.


Ursprung im Meer?

Nahe Verwandte dieser Proteine wurden im Zuge der sogenannten "Sorcerer II Global Ocean Expedition" gefunden. Craig Venter will in diesem Vorhaben die biologische Mannigfaltigkeit der mikrobiellen Sequenzdaten in Wasserproben der Sargasso-See darstellen. Raoult vermutet, dass Sputnik Teil einer unbekannten marinen Virenfamilie ist.

Sputnik sitzt nicht als blinder passiver Passagier auf dem Amöben-Virus, es infiziert und schwächt dieses, weshalb ihn die Wissenschaftler als "Virophagen" klassifizieren (in Anlehnung an Bakteriophagen, also bakterieninfizierende Viren). Die exotische Tatsache, dass ein Virus durch virale Infektion erkrankt, scheint Viren eine Spur Leben zu geben.

Genetisches Allerlei, wie es Sputnik enthält, beschäftigte schon vor Jahren Forschergruppen, die sich mit Enzymen der Replikationsmaschinerien von Eukaryoten, Archaeen und Bakterien auseinandersetzten. Unter ihnen war auch der französische Evolutionsbiologe Patrick Forterre von der Universität Paris-Sud in Orsay. Seine Annahme: Viren sind der Ursprung der Evolution lebender Organismen. Sie reichten vor Urzeiten DNA an die Mikroorganismen der RNA-Welt weiter und halfen so dabei, die drei bislang definierten Gruppen - Bakterien, Archaeen und Eukaryoten - zu kreieren.

Nach Forterres Meinung stammen die drei Gruppen von einfach gebauten RNA-Organismen ab, die sich zu selbst-replizierenden Zellen mit autonomer Proteinsynthese entwickelten (Virus Research 2006, 1:5-16). Mit ihnen tauchten auch die ersten RNA-Viren in der Evolution auf.


DNA wehrhafte RNA?

Doch wie kam es zur Umwandlung von RNA in DNA? Forterre vermutet, dass sich RNA-Viren stabileres Erbgut anschafften, um sich besser verteidigen zu können. Dazu kombinierten die Viren die Basenpaare ihrer Einzelstrang-RNA zu doppelsträngiger DNA. Die verwundbaren Nukleotide mit genetischer Information wurden somit in die Innenseite der Doppelhelix eingebettet und nach außen durch Phosphate und Zucker geschützt. DNA ist nach dieser Theorie wehrhafte RNA. Bei einer Infektion wirkten die Viren dann als Gen-Vehikel. Sie schleusten DNA in die RNA-Wirtszelle. Mit der Zeit fühlten sie sich dort heimisch und entledigten sich ihrer Hülle. Die Wirtszelle gewöhnte sich an den ungebetenen Gast. Übrig blieb nackte DNA, die sich mit der Zeit zum Genom des Wirts entwickelte. Selektionsvorteile der DNA-tragenden Organismen verdrängten dann die Zellen mit reinem RNA-Genom.

Können mittels Virophagen virale Krankheitserreger des Menschen bekämpft werden? Die Forscher gehen davon aus, dass Sputnik und mögliche Verwandte nur sehr große Viren kapern können. Das HIV oder auch Adenoviren, zu denen zahlreiche Krankheitserreger gehören, wären zu klein.


Letzte Änderungen: 16.10.2008