Synthetische Biologie

von Michaela Petter (Laborjournal-Ausgabe 03, 2004)


Editorial
Als Eckard Wimmer vor zwei Jahren die völlig synthetische Herstellung von infektiösen Pockenviren in Science (Bd. 297, S. 1016) publizierte, war dies der erste Beweis dafür, dass man einen funktionierenden Mikroorganismus ohne jegliches natürliches Template im Labor "zusammenbasteln" kann (LJ 09/2002, S. 8).

Zur gleichen Zeit hatte sich bereits der "Pabst der Genome", J. Craig Venter, zusammen mit Nobelpreisträger Hamilton Smith das ehrgeizige Vorhaben zum Ziel gesetzt, innerhalb von drei Jahren ein bakterielles "Minimalgenom" zu charakterisieren und synthetisch zusammenzubauen. Ausgangsorganismus für die Ableitung der essentiellen Gene war das Bakterium Mycoplasma genitalium, das mit nur 517 Genen über eines der kleinsten bekannten Genome verfügt.


Nicht nur nachbauen,...

Auf die Idee, "Leben" auf diese Weise molekular zu definieren, kam Venter, als er in Knock out-Experimenten mit M. genitalium an die Grenzen der Technik stieß. Er schaltete der Reihe nach alle Gene des Bakteriums aus und konnte so die Anzahl der essentiellen Gene auf 265-300 einschränken. Allerdings war es in diesem Ansatz nicht möglich, redundante Funktionen zu berücksichtigen – zwei oder mehr Gene könnten die gleiche Aufgabe erfüllen und sich daher ergänzen. Fehlen jedoch alle der vermeintlich überflüssigen Gene, dann hätte dies womöglich letale Folgen. Mit reduktiven Methoden kam man hier offenbar nicht weiter. Warum also nicht den Spieß umdrehen: statt zu fragen, was ein funktionierender Organismus entbehren kann, versuchen Venter und Smith jetzt Stücke zusammenzuflicken, die das Leben zum Laufen bringen.
Editorial

Eines ähnlichen Ansatzes – "Bottom up" statt "Top down" – bedient sich neuerdings eine Reihe von Wissenschaftlern, die dem Bioingenieurwesen in den letzten Jahren eine neue Richtung gegeben haben. Die "synthetischen Biologen" wollen Bakterien nicht nur künstlich generieren, sondern zusätzlich neue Systeme aus genetischen Komponenten einbauen, die es in der Natur gar nicht gibt. Sie streben eine Fusion von technischen oder elektronischen Prinzipien mit den biologischen Strukturen einer Zelle an – einen "Bakteroiden" sozusagen.


...sondern kreativ gestalten

Das ist heute schon keine Science Fiction mehr. Vor vier Jahren stellten etwa Michael B. Elowitz und Stanislas Leibler an der Princeton University den ersten synthetischen Biooszillator vor (Nature 403, S. 335). Sie hatten Bakterien gebastelt, die blinken: ein Regelkreis aus drei Repressorproteinen, die sich reihum nach dem Schere-Stein-Papier-Prinzip gegenseitig inhibieren, sorgt wie eine genetische Uhr für die regelmäßig wiederkehrende Expression von GFP.

Dieser "Repressilator" ist nur eines von inzwischen zahlreichen synthetischen DNA-Bauteilen, die die Mitarbeiter der weltweit ersten Forschungsabteilung für synthetische Biologie am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zusammentrugen. In der Datenbank BioBricks (http://parts.syntheticbiology.org/) kann man seitdem Komponenten für den eigenen maßgeschneiderten Bakteroiden auswählen, sowie selbst neue Regelkreise entwerfen und planen. Zu den geläufigen genetischen "Legosteinen" wie Operatoren, Terminatoren, Promotoren oder Reportergenen gibt es dort auch nach dem Vorbild einfacher elektronischer Geräte gestaltete Kippschalter, Sender- und Empfängermodule, Synchronisatoren, oder Feedback-Kreisläufe. So stellt sich also der synthetische Biologe seine Zukunft vor: Man gehe an den Kühlschrank, nehme sich die nötigen Teile samt zellulärer Verpackung, verdrahte alles und schließe den neuen Organismus an – Design-Bakterien auf Bestellung.


Problem der "unscharfen Biologie"

Die Realität ist natürlich noch weit davon entfernt. Vor allem, da die Gesetze der Biologie bisher lang nicht so klar umrissen sind, wie die physikalischen Prinzipien, die in der Elektronik Anwendung finden. Oft tappt der Forscher im Dunkeln, wenn es darum geht, vorauszusagen wie ein neuer genetischer Regelkreis in der physiologischen Umgebung einer Zelle reagieren und interagieren wird.

Mit diesem Problem beschäftigen sich Timothy Gardner und Kollegen von der Boston University. Sie entwickelten am Modell des SOS-Pathway von E. coli einen Algorithmus, der die gesamte Verschaltung des Regelkreises unter Berücksichtigung der mRNA-Level berechnen kann (Science 301, S. 102). Die Methode, die sie sich zu Nutze machten, heißt "System Integration" und ist altbekannt – als Werkzeug zur Ableitung funktioneller Verbindungen zwischen Komponenten von elektronischen Netzwerken.


Vorteil durch Evolution

Synthetische Biologie lernt also von der Elektronik – in manchen Dingen ist sie ihr jedoch sogar voraus. Obwohl ein biologisches System sicherlich störanfälliger ist als ein physikalisches, hat es einen entscheidenden Vorteil: die Fähigkeit zur Evolution. Und Evolution ist lenkbar, durch die Kombination aus Mutation und Vorgabe einer selektiven Umgebung. Einer US-Gruppe gelang es auf diese Weise etwa nicht nur, einen genetischen Schaltkreis gerichtet zu perfektionieren – sie brachten sogar ein nicht-funktionierendes Netzwerk in Gang (PNAS 99, S.16587).

"Und wozu das Ganze?", fragt der Begutachter Ihres Forschungsantrags, den Sie möglicherweise gerade beim neuen EU-Förderprogramm für synthetische Biologie eingereicht haben. Anwendungen gibt es mannigfach. Venters Minimalmikrobe beispielsweise soll, mit den richtigen Bauteilen versehen, einmal Wasserstoff als Biotreibstoff im industriellen Maßstab produzieren. Andere träumen von molekularen Fabriken und Biocomputern, oder bauen Spürbakterien für Umweltgifte oder Krankheitserreger. Eines jedenfalls ist sicher: Neue Horizonte bietet die synthetische Biologie genug.


Letzte Änderungen: 20.10.2004