Karies

von Michaela Petter (Laborjournal-Ausgabe 12, 2002)


Editorial
Das Genom des Karieserregers Streptococcus mutans ist sequenziert. Jeder kennt sie, die beiden Zahnteufel Karius und Baktus, die in ihrem Zahnheim mit Balkon hausen und sich an den Speiseresten ihrer unfreiwilligen Gastgeber laben. Ihre Geschichte erleichterte uns einst die Warterei beim Zahnarztbesuch und brachte uns die Notwendigkeit des lästigen Zähneschrubbens näher.

Zahnpflege hat überall auf der Welt eine lange Tradition. Während sich die Ägypter ihre Zähne mit Grünspan, Weihrauch und einer Paste aus Süßbier und Krokus sauber hielten, wurde im alten Rom mit einem Gemisch aus Honig, Parfumessenzen und Muschelkalk geschrubbt. Noch vor hundert Jahren bestand Zahnpasta aus Schlämmkreide, kohlensaurer Magnesia und pulverisierten Austernschalen.


Vielfältig bewaffnet

Auch die Zahnbürste ist keine Erfindung unserer Tage: bereits Mohammed verordnete den Gläubigen eine strenge Mundhygiene mit dem "Miswak", einem faserig gekauten Ästchen von dem wohlriechenden Zahnbürstenbaum (Salvadora persica). Diese rituelle Zahnreinigung breitete sich mit dem Islam von Persien bis nach Indien und Westafrika aus, wo sie teilweise noch heutzutage angewandt wird. Die erste richtige Zahnbürste, wie wir sie kennen, stammt vermutlich aus dem China des 15. Jahrhunderts.
Editorial

Während die Notwendigkeit der Zahnpflege also schon in der Antike erkannt wurde, ist die Ursache für Karies eine neuere Entdeckung. Jahrtausendelang glaubte man daran, dass ein "Zahnwurm" zwischen Zahnfleisch und Zähnen lebt und die Zahnschmerzen auslöst. Erst im Jahr 1867 zeigte Emil Magitot, dass die Fermentation von Zuckern zur Zerstörung des Zahnschmelzes führt. Den hauptsächlich verantwortlichen Produzenten der schädlichen Säuren, Streptococcus mutans, konnten Paul H. Keyes und Robert J. Fitzgerald 1960 schließlich aus Zahnläsionen von Hamstern isolieren. Inzwischen weiß jedes Kind: Karius und Baktus sind Bakterien.

Karies gehört mit über 95% Durchseuchung zu den am weitesten verbreiteten Infektionskrankheiten. Natürlich will man etwas dagegen tun - nicht nur durch fleissiges Zähneputzen. Wissenschaftler aus Oklahoma lieferten kürzlich eine große Hilfestellung für den Angriff gegen die gram-positiven Mikroben: Sie entschlüsselten das Genom von S. rnutans (PNAS 99, S. 14434). Und lieferten gleich noch jede Menge Information über den Stoffwechsel der Mundhöhlenbewohner mit.

Das etwa 2 Millionen Basenpaare große Genom von S. mutans kodiert für 1.963 potenzielle Gene. Joseph J. Ferretti und sein Team fanden heraus, dass nahezu 15% der Genprodukte - und damit mehr als bei allen anderen bisher sequenzierten gram-positiven Bakterien - zur Aufnahme verschiedenster Kohlenhydrate dienen. S. mutans kann nicht nur alle möglichen Zucker verwerten, sondern setzt auch Zuckeralkohole zu Zwischenprodukten der Glykolyse um, wie es auch Enzyme zum Abbau von Stärke besitzt. Das Bakterium ist somit der Generalist unserer Mundflora.

Obwohl S. mutans in der Mundhöhle in sauerstoffreicher Umgebung lebt, ist es nicht zum oxidativen Stoffwechsel fähig, sondern nur zur Fermentation. Es bewohnt die ökologische Nische Mund nicht alleine, sondern teilt sie sich mit etwa 200-300 anderen Bakterienarten. Daher dienen ihm die sauren Endprodukte seines Metabolismus (beispielsweise Milchsäure oder Acetat) optimal zur Verteidigung seines Reviers. Unglücklicherweise werden hierdurch aber nicht nur die Platzkonkurrenten fern gehalten, sondern auch der Zahnschmelz des Menschen zerstört.

Doch der Löcher nicht genug: Zusätzlich zum sauren Angriff auf die menschlichen Kauwerkzeuge identifizierten die Forscher in der S. mutans-DNA Gene für verschiedene Proteasen, welche der Karies-Erreger sezerniert, um für ihn unverdauliche Speisereste kleinzuschnibbeln. Auch hier leiden die Strukturproteine seines Wirtes mit - was S. mutans letztlich zum Verhängnis werden könnte, denn der Mensch sinnt daher verständlicherweise nach Wegen, sich des lästigen Bazillus zu entledigen.


Schluss mit Bohren?

Bei der Pathogenese von Karies spielen zudem Virulenzfaktoren eine Rolle, die dem Bakterium das Leben und Überleben in unseren Mündern möglich machen. Die Wissenschaftler um Ferretti entdeckten beispielsweise eine Reihe von neuen Genen in der Genomsequenz von S. mutans, welche die Anheftung an die Zähne erlauben. Solche Adhäsionsmoleküle oder Glukan-bindenden Proteine repräsentieren ideale Angriffspunkte für eine Therapie, die S. mutans vertreibt, während nützliche Bakterien der Mundflora unbeschädigt bleiben.

Ein Team aus Schweden dagegen stellte kürzlich eine Joghurt-Therapie vor: Genmanipulierte Lactobazillen, die einen Antikörper gegen das Streptokokkenantigen I/II auf ihrer Oberfläche exprimieren, sollen statt der Zahnoberfläche an S. mutans binden und es einfach mit sich reißen auf dem Weg in den Verdauungstrakt (Nature Biotechnology 20, S. 702).

Können wir uns also womöglich bald das Zähneputzen nach dem Naschen sparen und stattdessen die bakteriellen Mitesser einfach "wegessen"? Bei Ratten scheint es schon zu funktionieren. Aber nicht jeder freut sich bei dem Gedanken an das Zahnschutzjoghurt, denn sollte es zukünftig wirklich auf den Markt kommen, dann könnte so mancher Zahnarzt seinen Bohrer an den Nagel hängen.


Letzte Änderungen: 20.10.2004

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