Editorial

Beiträge zur Biochemie seltsamer Lebewesen (19)

Die Marsmännchen

von Siegfried Bär (Laborjournal-Ausgabe 11, 2008)


Marsmännchen

Siegfried Bär, der Experte für die Biochemie seltsamer Lebewesen, stellt revolutionäre Überlegungen zu Hautfarbe, Geschlecht und Parkverhalten der Marsmännchen an.

Ende 2007 gelang es dem NASA-Roboter „Spirit“, das Bild eines Marsmännchens zur Erde zu funken (siehe portal.gmx.net/de/themen/wissen/weltraum/5280062.html und Abbildung 2 auf der rechten Seite). Das Wissen über die Marsbewohner ist aber älter. Schon Giovanni Schiaparelli (1835-1910), Direktor der Sternwarte in Mailand, entdeckte 1877 Kanäle auf dem roten Planeten. Während Schiaparelli dies­e Formationen für Flusstäler hielt, interpretierte sie der Astronom Percival Lowell (1855-1916) kurz darauf als künstliche Kanäle zur Bewässerung des Mars.

Dank der eifrigen Tätigkeit etlicher Wissenschaftsreporter namhafter Zeitungen sickerten auch Informationen über die Erbauer dieser Kanäle in die Öffentlichkeit: Es handele sich um kleine Wesen männlichen Geschlechtes mit grüner Haut, dünnen staksigen Beinchen und zwei Antennen auf dem Kopf. Diese Männchen seien nicht nur begabte Kanalbauer, sondern verfügten auch über eine überlegene Technologie, die sich in der Fähigkeit zum Bau fliegender Untertassen manifestiere. Im deutschen Sprachraum erhielten diese Wesen daher den Namen Marsmännchen. Ihr Bild hat sich als ähnlich standfest erwiesen wie die Relativitätstheorie, die etwa zur gleichen Zeit entstand: Bis heute gelten sie als klein, grün und mit Antennen behaftet. Der Phänotyp darf daher als gesichert gelten. Doch seltsamerweise wurden seit der Zeit Lowells kaum neue Erkenntnisse über diese Spezies veröffentlicht. Nur ihre Psychologie wurde in einigen amerikanischen Dokumentarfilmen (zum Beispiel „Mars attacks“) untersucht. Danach wären die Marsmännchen bösartig und heimtückisch. Auch wird kolportiert, die Marsianer würden, verkleidet als Schokoriegel, Menschen infizieren und Adipositas auslösen.

Nun sind aber die Erkenntnisse der Psychologie notorisch schwammig und unzuverlässig. Was heute als sichere Erkenntnis verkauft wird, gilt morgen als obsolet oder gar reaktionär (das allerschlimmste, was einer Theorie geschehen kann, noch schlimmer als falsch). Haben nicht Marsianer aus Budapest – die Stadt gilt als marsianische Kolonie auf Erden – den Menschen bereitwillig von ihrem überlegenen physikalischen Wissen abgegeben? Kann man das bösartig nennen? Nebenbei: Durch die Budapester kennt man einige marsianische Eigennamen: Szilard, Erdös, Gabor, Karman ...

Doch zurück zur Biologie. Hier sind etliche, eigentlich alle, Fragen offen.
  • Wieso gibt es nur Marsmännchen?
  • Wie pflanzen sich Marsmännchen fort?
  • Warum sind Marsmännchen grün?
  • Wovon ernähren sich Marsmännchen?

Eigenartiges Ungleichgewicht der Geschlechter

Und die allerwichtigste Frage: Gibt es tatsächlich nur Marsmännchen? Zumindest auf der Erde scheinen nur Männchen aufzutreten: Die Eingabe „Marsmännchen“ erzielte bei Google 32.300 Treffer, „Marsweibchen“ nur 340 (arithmetischer Mittelwert aus fünf Versuchen Ende Oktober 2008). Auch die erwähnten Budapester Marsianer bestanden durchweg aus Männchen. Erklärungen dafür wären, dass die Marsweibchen zu Hause bleiben, dass die Marsweibchen ausgewandert sind (zum Beispiel auf die Venus) oder dass es sich bei den „Marsmännchen“ um Zwitter oder sich vegetativ vermehrende Organismen handelt, die irrtümlich für Männchen gehalten werden. Die Tatsache, dass Marsmännchen auf fast allen Abbildungen geschlechtsneutral dargestellt werden – zwischen den staksigen Beinchen befindet sich in der Regel nichts aber auch rein gar nichts – spricht für die Zwitterhypothese oder vegetative Vermehrung.

Zwitter könnten als Produkt einer prähistorischen Genderisierungs-Kampagne auf dem Mars entstanden sein. Da derartige Kampagnen jedoch oft zum Aussterben der betroffenen Population führen, erscheint die Hypothese der vegetativen Vermehrung plausibler.

Mit anderen Worten: Bei den „Marsmännchen“ handelt es sich wahrscheinlich um intelligente Pflanzen. Dies erklärt auch problemlos die grüne Hautfarbe und die Fähigkeit der „Marsmännchen“, lange Raumfahrten in winzigen fliegenden Untertassen (siehe Abbildung 3), also ohne größere Nahrungsvorräte, Frauenbeauftragte und Auslauf, zu überstehen: So lange Sonnenenergie verfügbar ist, stellt die Photosynthese (hier der Haut) die Grundversorgung des Marsianers mit Energie sicher. Zudem stabilisiert die Abwesenheit sexueller Bedürfnisse das Gemüt, soweit bei Pflanzen von einem solchen die Rede sein kann.

Auch die dünnen Beinchen sprechen für Pflanzen: Pflanzen haben traditionell ein Fortbewegungsproblem. Bei den Beinchen der Marsmännchen dürfte sich um umgewandelte Blätter handeln ähnlich wie bei der Mimose, wo – allerdings äußere – Reize über einen Turgorverlust eine schnelle Blattbewegung auslösen (Faltung innerhalb von Sekunden, die Turgorerholung dauert etwa zehn Minuten).

Ist aber Intelligenz bei Pflanzen vorstellbar?

Durchaus! Selbst bei irdischen Pflanzen wurden elektrische Impulse beob­achtet, die den Aktionspotentialen von Nervenfasern ähneln. So laufen bei der Venusfliegenfalle Dionaea muscipula Aktionspotentiale von den Sinneshaaren des Fangblatts zu Zellen, die die Falle schließen. Signale können sich in irdischen Pflanzen mit einer Geschwindigkeit von einem Zentimeter pro Sekunde ausbreiten.


Gesicht
Körper
UFO
Auf Abbildung 1 (Gesicht) und 2 (Körper) ist der Habitus der Marsmännchen hervorragend zu erkennen. Abbildung 3 zeigt ein UFO, das bevorzugte Fortbewegungsmittel der Marsmännchen.

Langsame Denker

Es ist denkbar, dass der Evolutionsdruck auf dem Mars die Geschwindigkeit der pflanzlichen Signalverarbeitung erhöht hat. Andererseits sind schnelles Denken und rasche Bewegungen auf langen Raumfahrten schädlich und erzeugen nur Langeweile. „Besser lange langsam denken, als schnell zum falschen Planeten lenken“, scheint die Devise der Marsmännchen zu sein. Eine Autorität, das „Biologie“-Lehrbuch von Campbell/Reece, sagt: „Pflanzen besitzen wie alle Organismen die Fähigkeit, sowohl spezifische Umweltreize als auch interne Signale zu empfangen und auf sie in einer Weise zu antworten, die ihnen das Überleben und die Fortpflanzung ermöglicht.“ Das macht doch letztlich das Wesen der Intelligenz aus!

In der Tat wurde eine intelligente Pflanze schon 1951 in einer amerikanischen Forschungsstation in der Antarktis gesichtet (dokumentiert im Film „Das Ding aus einer anderen Welt“ von Christian Nyby). Dabei scheint es sich aber nicht um Marsianer gehandelt zu haben, sondern um fleischfressende Pflanzen eines anderen Planeten. Wie oft in der Wissenschaft gibt es auch zu den Marsmännchen abweichende Meinungen. So wurde in einer früheren Ausgabe dieser Zeitschrift die Vermutung geäußert, dass Marsmännchen grün seien, weil ihnen beim Landeanflug auf die Erde immer schlecht würde. Diese Hypothese ist unhaltbar, denn nach ihr wäre das Grünsein eine vorübergehende Eigenschaft dieser Wesen. Alle Beobachter stimmen aber darin überein, dass Marsmännchen konstitutiv grün sind.


Spargel verursachte Legende

Klar ist zudem, dass bei „Marsmännchen“ weder von Männchen noch von Weibchen die Rede sein kann. Wie aber kommt es dann, dass „Marsmännchen“ für Männchen gehalten werden? Weil sie rückwärts einparken können? Es ist unwahrscheinlich, dass Marsmännchen rückwärts einparken können; auf dem Mars mit seiner großzügigen Parkplatzsituation wäre eine solche Fähigkeit von keinerlei Vorteil.

Vermutlich steckt eine Art optischer Täuschung hinter dieser Namensgebung.

Bodenanalysen der US-Marssonde „Phoenix“ haben ergeben, dass sich der Marsboden ausgezeichnet für den Spargelanbau eignet. „Da ist nichts, was Leben ausschließen würde. In der Tat scheint alles sehr lebensfreundlich“, wird Samuel Kounaves von der Tufts-Universität in Medford (US-Staat Massachusetts) vom Internetdienst Space.com zitiert. Kounaves, der die „Phoenix“-Mission wissenschaftlich begleitet, weiter: „Man könnte vielleicht ganz gut Spargel anbauen, aber wahrscheinlich keine Erdbeeren“. Die harte UV-Strahlung auf der Marsoberfläche würde Erdbeeren und andere oberflächlich wachsende Pflanzen vernichten. Weißer Spargel jedoch wächst unterirdisch.

Es ist also möglich, daß die „Marsmännchen“ Spargel züchten und einen Vorrat davon, als Ergänzung zur Photosynthese, auf ihre Reisen mitnehmen. Auf Erdausflügen dürften sie die Spargel mit sich tragen, vielleicht wie die Känguruhs in einer Beuteltasche auf dem Bauch. Offensichtlich haben ihre Beobachter den Spargel als männliches Geschlechtsorgan mißdeutet. Daß dies nicht in die Abbildungen der „Marsmännchen“ einfloß, mag an der Prüderie des viktorianisch/wilheminischen Zeitalters liegen in dem die Marsmännchen erstmals beobachtet wurden. Spätere Zeichner haben dann, mangels eigener Beobachtungen, von ihren Vorgängern abkopiert. Das ist im Journalismus, dem die Berichterstattung über die „Marsmännchen“ bis heute überlassen blieb, gang und gäbe.

Bleichhäute?

Wie der Spargel, so dürften auch die Marsmännchen auf ihrem Heimatplaneten weitgehend unterirdisch leben und dann ähnlich wie das Stangengemüse eine weiße Hautfarbe aufweisen. Kein Wunder, dass bisherige Marssonden keine „Marsmännchen“ gesichtet haben! Das von „Spirit“ fotografierte Exemplar (Abbildung 2) war vielleicht ein Ausgestoßener: seine Körperhaltung jedenfalls läßt auf nachdenkliche Reue und Verzweiflung schließen. Doch will ich nicht psychologisieren: Es ist ebenso möglich, daß sich dieses Marsmännchen auf seine nächste Reise vorbereitete und sich für einige Monate dem Sonnenlicht aussetzte, um den rechten Farbton zu erhalten. Nur dunkelgrüne Männchen dürften längere Raumfahrten ohne Hunger überstehen. Erst wenn die Marsmännchen ihre Höhlen verlassen, kommt es – vermutlich über einen irdischen Verhältnissen ähnlichen Mechanismus (Phytochromaktivierung, G-Protein, Guanylatzyklase, Transkriptionsfaktoren) – zum Ergrünen. Über die Schattierung des Grüns wird gestritten, es dürfte sich aber angesichts der geringen Lichtdichten im All und auf dem Mars um ein dunkles Grün handeln – ähnlich dem British Racing Green. Vielleicht ist es kein Zufall, dass dieser Farbton sich besonders bei Jaguar-XK- und Austin-Healey-Fahrern großer Beliebtheit erfreut.




Letzte Änderungen: 15.01.2010