Editorial

RNA für Frauen

Archiv: Schöne Biologie

Ralf Neumann


Schöne Biologie

Manche Dinge können Männer einfach besser – manch andere dagegen nicht. Die reinen Fakten lassen daran oftmals keinen Zweifel.

Fragen Sie etwa mal den Betreiber einer Seidenspinnerfarm. Der wird Ihnen klar sagen: „Sicher, sowohl männliche wie auch weibliche Larven wickeln sich zur Verpuppung in einen Seidenkokon. Doch nur das Männchen produziert dazu die hochedlen, langen Seidenfäden.“

Dreimal darf man nun raten, welches wohl das höchste Begehr eines kommerziellen Seidenspinner (Bombyx mori)-Züchters sein dürfte. Richtig – dass aus ihren Bombyx-Eiern weitgehend Männchen schlüpfen.

Die Natur tut ihnen diesen Gefallen natürlich nicht. Der ein oder andere Forscher dagegen wurde hellhörig – und sagte sich: „Okay, warum schauen wir uns die Sache nicht mal an.“ Und schon bei der Eingangsfrage „Was macht den Bombyx-Mann überhaupt zum Mann“ wurde die Sache schnell interessant...

Bekannt war bereits, dass es mit den Spinnern wie bei Vögeln und Reptilien läuft (also anders herum als bei uns): Männchen haben zwei Z-Chromosomen, Weibchen dagegen ein Z und ein W. Und wie bei vielen anderen dieser Organismen auch ist das W-Chromosom dominant – das heißt, die Anwesenheit eines W-Chromosoms reicht aus, um aus dem Bombyx-Embryo ein Weibchen zu machen.

Damit schien auch weiterhin klar: Irgendwo auf dem W-Chromosom sitzt ein Masterregulator-Gen, dessen Produkt die ganze Entwicklungskaskade zum weiblichen Schmetterling anwirft. Genau wie bei anderen Tieren mit analogem Geschlechts-bestimmendem System. Und mit den heutigen High-End-Methoden müsste man das potentielle „Bombyx-Frauenmachergen“ doch im Nu aufspüren können...

Weit gefehlt. Japanische Forscher drehten das Bombyx-W-Chromosom durch alle möglichen molekularbiologischen Mühlen – und fanden nichts. Mehr noch, sie fanden überhaupt keine Protein-kodierenden Gene darauf. Stattdessen entpuppte sich das Bombyx-W-Chromosom als übersät mit Transposon-Sequenzen. Die einzigen transkribierten W-Sequenzen, die die Japaner fanden, kodierten für sogenannte PIWI-interacting RNAs (piRNAs).

Diese 2006 entdeckten RNAs kannte man bis dahin nur aus Keimzellen, wo sie deren Entwicklung durch Bindung an die PIWI-Proteine maßgeblich mitsteuern. Am Ende blieb also nichts anderes übrig, als sich dem Gedanken zu stellen, dass womöglich eine RNA statt eines Transkriptionsfaktors die Bombyx-Frau zur Frau macht.

Und so sollte es sich tatsächlich herausstellen: Eine Gruppe aus Tokio publizierte mit dem Bombyx-Mechanismus das erste RNA-gesteuerte Geschlechtsbestimmungssystem überhaupt (Nature 509: 633-6). Demnach produziert Bombyx aus einem W-kodierten piRNA-Vorläufer eine RNA namens Fem. Fem legt seinerseits die mRNA des Z-kodierten Gens Masculinizer (Masc) still, woraufhin sich das Spleißmuster des Gens B. mori doublesex (Bmdsx) komplett zur weiblichen Isoform verschiebt. Ohne Fem-Blockade sorgt Masc für die Herstellung der männlichen Bmdsx-Isoform.

Bmdsx fungiert somit als tatsächlicher exekutiver Schalter zwischen den Geschlechtern. Kritisch ist dabei vor allem, welche der beiden Isoformen im Zeitfenster 18 bis 21 Stunden nach der Eiablage im Bombyx-Embryo dominiert.

Womit wiederum klar wäre, was die Seiden-Hersteller sich nun wünschen: Einen Fem-Hemmstoff, den sie den Embryos vorher verabreichen können.



Letzte Änderungen: 04.11.2014