Editorial

Nie geboren

Archiv: Schöne Biologie

Ralf Neumann


Schöne Biologie

Oft kann man nur staunen, welch elegante Lösungen das stete Wechselspiel zwischen Variation und Selektion selbst für die vertracktesten Probleme einzelner Organismen hervorgezaubert hat. Keine Frage, der Slogan „Geht nicht, gibt‘s nicht“ passt zur Evolution ungleich besser als zu gewissen Baumärkten.

Ein Rätsel bleibt aber gerade deshalb: Warum hat die Evolution gewisse Dinge, die vergleichsweise leicht realisierbar und vor allem vorteilhaft erscheinen, nicht etabliert. Wir hatten diese Frage hier schon einmal gestellt – konkret in Zusammenhang mit der Photosynthese (LJ 5/2011:45). Diese wurde bereits vor 2,5 Milliarden Jahren in den Vorläufern der Cyanobakterien etabliert, von wo aus sie dann ihren Siegeszug bis zu den heutigen höheren Pflanzen antrat. Theoretisch dürfte es für die Evolution daher doch ein Klacks gewesen sein, die Photosynthese auch in den tierischen Linien zu erhalten oder wieder neu einzuführen. Zumal es doch als klarer Vorteil erscheinen muss, wenn auch wir Tiere unseren Energiebedarf wenigstens hin und wieder aus dem Sonnenlicht decken könnten. Dennoch hat die Evolution uns die Photosynthese vorenthalten. Und auch wenn wir es vielleicht (noch) nicht verstehen – es wird gute Gründe dafür geben.

Ähnlich wie oben argumentiert gerade die australische Evolutionsbiologin Monica Gagliano in ihrem Review „Green symphonies: a call for studies on acoustic communication in plants“ (Behav. Ecol. 24:789-96). Klangliche Kommunikation habe entscheidend zu Ökologie, Evolution, Verhalten und damit ganz allgemein zum Erfolg vieler Tierarten beigetragen, schreibt sie. Und fragt weiter: Hätten nicht auch Pflanzen einen klaren Vorteil, wenn sie die Klänge und Geräusche aus ihrer Umgebung wahrnehmen könnten? Geschweige denn, wenn sie selbst Geräusche produzieren könnten, um ihren „horchenden“ Nachbarn wichtige Dinge zu signalisieren? Eindringlich ruft sie daher auf, nochmals genauer nachzuschauen, ob es nicht doch so etwas wie pflanzliche Bioakustik gibt – wobei sie natürlich etwas anderes meint als im Wind raschelndes Gestrüpp.

Ziemlich sicher hätte die Evolution neben den photosynthetischen Tieren auch akustisch aktive Pflanzen im Repertoire gehabt. Allerdings bot in deren Linien die akustische Kommunikation offenbar zu keiner Zeit einen wirklich erstrebenswerten Vorteil. Oder unsere grünen Freunde hätten „Rufen und Hören“ nur auf Kosten anderer Dinge einrichten können, auf die sie nicht verzichten wollten – so dass die evolutionäre „Kosten-Nutzen-Rechnung“ schließlich doch zuungunsten bioakustisch aktiver Pflanzen ausfiel.

Noch eine andere Frage passt in diesen Rahmen: Wieso hat die Evolution ausgerechnet die Proteine ausgewählt, die wir in den Organismen finden? Schließlich sind mit den 20-plus Aminosäuren noch jede Menge andere Proteine möglich (und sicher probiert worden), die aber nicht fixiert wurden.

Der Unterschied zu Zoo-Photosynthese und pflanzlicher Bioakustik ist indes, dass man solche Proteine im Labor herstellen kann. 2006 haben italienische Forscher dies gemacht – und festgestellt, dass 20% der zufällig erzeugten Proteine sich tatsächlich in diskrete dreidimensionale Strukturen falten (Chem. Biodivers. 3(8):840-59). Folglich hätten Zellen diese „Never Born Proteins“, wie die Autoren sie nannten, durchaus für irgendwelche Funktionen nutzen können.

Warum die Evolution aber gerade diese zugunsten anderer „ungeboren“ ließ? Reiner Zufall oder doch deterministisches Kalkül?




Letzte Änderungen: 09.07.2013